In der sich anbahnenden Verbindung von Wissenschaft und Gemeinschaften steckt noch viel Potenzial.
von Felix Wagner, erschienen in Ausgabe #22/2013
In den Anfangszeiten der Ökodorfbewegung gab es die Überlegung, mit Wissenschaftlern zusammenzuwirken. Aber dann ging die Tendenz dahin, sich lieber an die Praktiker der Weltverbesserung zu halten, die wirklich etwas tun, statt nur Artikel und Vorträge für die nächste Konferenz vorzubereiten. Trotzdem fanden Kontakte zwischen beiden Welten statt – etwa indem sich Ökodörfer explizit als Modell- und Forschungsprojekte oder als Experimentalräume für das Schaffen von neuem Wissen verstanden. Über die Jahre wuchs die Zahl wissenschaftlicher Arbeiten über Gemeinschaftsprojekte. An der Universität Münster bildete sich eine – heute leider nicht mehr aktive – Gruppe zur Gemeinschaftsforschung, die ein Buch herausgab und mehrere Umfragen durchführte.
In der »International Communal Studies Association« (ICSA), die sich seit Jahrzehnten mit der Erforschung meist historischer Gemeinschaften beschäftigte, rücken nun auch die modernen Gemeinschaftsprojekte in den Fokus, wie die Beiträge auf ihrer diesjährigen Konferenz zeigten. Die Organisation »Living Routes« bietet Ausbildungen und Feldforschungsaufenthalte in Gemeinschaften für Studierende an. »Research in Community« (RIC) hat sich seit 2007 als Netzwerk von Wissenschaftlerinnen und Gemeinschaften auf den Weg gemacht, die Verbindungen durch gemeinsame Aktionen und Studien zu fördern. Dazu gehört auch die Vermittlung und Beratung von Forschungsarbeiten mit Kooperationspartnern in Gemeinschaften. So fanden in der sogenannten Gemeinschaftswerkstatt im ZEGG und im Lebensgarten Steyerberg in den letzten Jahren Versuche einer bewussten Annäherung statt. Allerdings zeigten sich dort auch Schwierigkeiten in der Kommunikation, und eine beidseitige Zurückhaltung war spürbar. Von einem kulturellen Zusammenstoß zu sprechen, wäre wohl übertrieben, aber es treffen hier zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen aufeinander: Auf der einen Seite gibt es die in abendländischer Geistestradition stehende, sehr rational geprägte Vorgehensweise der Wissenschaft. Dem steht ein häufig im Gemeinschaftskontext anzutreffendes Weltbild gegenüber, das die Intuition sowie eine emotionale und spirituelle Sichtweise betont. Es bleibt zu wünschen, dass diese Unterschiedlichkeiten sich zukünftig gegenseitig befruchten, braucht es doch für die Lösung komplexer Probleme die Berücksichtigung verschiedenster Perspektiven.
Neue Annäherungen Auf der letztjährigen Konferenz des »Global Ecovillage Networks« wurde die Zusammenarbeit mit Wissenschaft zu einem der Hauptziele erkoren. In den letzten Jahren gibt es vermehrt auch Förderprogramme, an denen Ökodörfer beteiligt sind. So unterstützt das Umweltbundesamt derzeit die Veranstaltungsreihen »Modelle gelebter Nachhaltigkeit« und »Allmendebasierte Wirtschaftsformen in Ökodörfern«. Auch die Wissenschaftswelt in Deutschland befindet sich in den Anfängen einer »großen Transformation.« Unter selbigem Titel löste 2011 ein Bericht des »Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für globale Umweltfragen« große Resonanz aus. Dort wird von der Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Wandels und von der Bedeutung sogenannter »Pioniere des Wandels« ausgegangen. Mit Hilfe einer »Transformationswissenschaft« soll das Innovations- und Wandelwissen dieser Nachhaltigkeitsakteure genutzt werden, um die »Große Transformation« zu bewerkstelligen. Daneben soll die transformative Forschung selbst Wissen zum Wandel hervorbringen. Beides soll auch transdisziplinär erfolgen, das heißt: in Kooperation mit Praktikern in beispielsweise Ökodörfern. Es fanden bereits viele Aktivitäten zum Thema statt (z. B. die Veranstaltungsreihe »Transformatives Wissen schaffen« oder die »Zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende«), die zum Teil auch über das Wissenschaftsjahr für Nachhaltigkeit 2012 hinaus weitergeführt werden. Zu nennen wäre hier etwa das transformative Symposium »Pioniere des Wandels« im Oktober in Berlin. Es scheint, als würden Gemeinschaften in der Gesellschaft »salonfähiger« werden. Das mag auch an ihrem eigenen Wandel liegen. Neuere Initiativen, wie etwa das Projekt Lebensdorf, sind von Anfang an auf Kooperation mit Gesellschaft und Wissenschaft ausgelegt und verstehen sich eher als eine Gemeinschaft von Ein- und Umsteigern, denn als Zufluchtsort für Aussteiger. Zeitgleich gehen in den heiligen Hallen der etablierten Institutionen Türen auf, deren Existenz vorher nicht einmal zu ahnen war. Der Expertenbericht »Wissenschaft für Nachhaltigkeit« für die Landesregierung Baden-Württemberg betont die Bedeutung der »Reallabore« als Plätze, an denen die Transformation ganz umfassend und praktisch angegangen wird. Es werden verschiedene Beispiele für Reallabore wie die Umwandlung ehemaliger militärischer Gelände aufgeführt, um dort Orte zu schaffen, »in denen nachhaltigkeitsorientierter Konsum und alternative Lebens- und Wirtschaftsformen erprobt und evaluiert werden können«.
In jeder Kommune ein gemeinschaftliches Wohnprojekt Auch in anderen Bundesländern vollziehen sich geradezu wundersame Wandlungen. So äußerte sich die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), in ihrer Regierungserklärung vom Januar 2013 deutlich: »Ich habe die Vision, dass in jeder Kommune in unserem Land gemeinschaftliche Wohnprojekte entstehen, damit Menschen jeden Alters, Arme und Reiche, Menschen mit und ohne Behinderungen, zusammenleben können – wenn sie dies wollen.« Wenn das nicht mal eine Einladung an Gemeinschaften und Wissenschaftler ist! Es ist sehr spannend, was aus den Annäherungen zwischen Wissenschaft und Gemeinschaften erwachsen mag. Ob es zu einer richtigen Partnerschaft mit allen Höhen und Tiefen und gegenseitigen Bereicherungen kommen wird? Deutlich zeichnet sich jedenfalls ein großes Potenzial ab, gemeinsam zu einer Kultur der Nachhaltigkeit beizutragen. •
Felix Wagner (34), Gemeinschaftslebender und Forschender, Mitbegründer von »Research in Community e. V.« und dem Projekt Lebensdorf (siehe Oya Ausgabe 20). f.wagner@researchincommunity.net