Cha-Cha-Cha ohne Konsumzwang, Solidarität gegen soziale Not und Nachbarschaftshilfe für Apfelbäume aus dem Internet – was die Transition-Town-Bewegung in Hannover ausmacht.von Jan Dohren, erschienen in Ausgabe #23/2013
Wenn man möchte, dass jemand etwas Bestimmtes tut, kann man ihm vorhalten, was passiert, wenn er es nicht tut: »Hör mit dem Rauchen auf, mein Freund, sonst sieht deine Lunge bald so aus wie die auf dem Foto hier – wie ein halber Meter frisch geteerter Straße nämlich.« Meist führt das nicht weit. Wie weit es führt, den Menschen zu erklären, dass sie lieber Äpfel aus dem Alten Land als aus Neuseeland essen sollen und dass ein Wochenende in Jork/Hamburg vielleicht ebenso schön sein kann wie in New York, kann man jeden Tag bei Lidl an der Kasse und auf den Urlaubsfotos bei Facebook sehen: ebenfalls nicht weit. Die Welt wird absaufen, verhungern, ersticken, wenn wir weitermachen wie bisher – wir kennen die Litanei. »Oh Mann, krass, aber jetzt lasst uns mal über was anderes reden, ja?«
Verheißungsvolle Visionen Rob Hopkins weiß, dass Menschen sich leicht überfordert und ratlos fühlen, wenn ihnen gesagt wird, dass der weltweite CO2-Ausstoß um mindestens 90 Prozent reduziert werden muss, weil es sonst zu Kriegen um Trinkwasser und zum Zusammenbruch der Ökosysteme kommt. Einer wie Hopkins hätte allen Grund zu verzweifeln, wenn der Klimaschutz dem Premiumsegment der deutschen Autoindustrie zum Opfer fällt. Doch er verzweifelt nicht, oder zumindest lässt er es sich nicht anmerken. Stattdessen vergleicht er die Erschließung der schwindenden Ölvorkommen mit dem Bierausschank in der Eckkneipe: Wenn das Bier zur Neige geht, wird der Teppich ausgekocht, der in der Kneipe liegt – da müsste ja noch jede Menge verschütteter Gerstensaft drin sein. Und dann stellt Hopkins seine Vision von einer Welt vor, in der es nicht nötig ist, Bier aus Teppichen zu gewinnen. Er erzählt von einem Tal in Pakistan, in dem die Leute Zeit für ein Gespräch und für ihre Kinder haben; von Früchten, die zum Trocknen auf Hausdächern liegen; von einem Netz aus Ökodörfern mit viel Natur dazwischen; von sinnvoller Arbeit für alle; von Nahrungsmitteln, die aus der Region stammen; und von Gemeinschaften, in denen klar ist, dass man sich für die gleichen Ziele und Werte einsetzt. Pinselstrich für Pinselstrich entsteht so in Hopkins’ Energiewende-Handbuch ein Gemälde lebenswerter Regionen und Städte, die in ihrer Umgebung bestehen können, ohne auf weltweites Wirtschaftswachstum und Zwiebeln aus Ägypten angewiesen zu sein. Weil diese Vision, die Rettung der Welt mit einem hohen Maß an Sinn und Selbstbestimmtheit zu verbinden, so verheißungsvoll klingt, hat sie Anhänger gefunden: erst in Hopkins’ Heimat Großbritannien, dann in den USA und mittlerweile auch in vielen deutschen Gegenden. Zuerst in Berlin, und dann in immer mehr Städten. Eine davon ist Hannover. Dort sitzt Marion in einer Kleingartenparzelle vor ihrer Laube in der Sonne und trinkt Ingwertee. Es ist Sommer geworden, die Sauerkirsche blüht, Marion hat 18 Obstbäume. Ein paar Gärten weiter sitzen ältere Damen bei Kaffee und Kuchen, in der Nähe schippern die Binnenschiffe auf dem Mittellandkanal vorbei. Es ist schön hier, ein kleines Paradies inmitten der Stadt – aber was hat das mit der Verwandlung Hannovers in ein lebenswerteres und von globalen Güterströmen unabhängiges Gemeinwesen zu tun? Um Trinkwasser zu sparen, schwimmt Marion morgens lieber im See als zu duschen, und sie koordiniert die Gruppe Nord der Transition-Town-Initiative Hannover. Zur Gründung kam es, weil die Attraktivität der Transition-Initiativen auch von dem Gefühl abhängt, selber Einfluss nehmen zu können. Das ist in einem 5000-Seelen-Dorf, in dem jeder jeden kennt, viel eher gewährleistet als in einer Großstadt. Transition-Vordenker Hopkins empfiehlt deshalb, sich in überschaubaren Stadtvierteln zusammenzuschließen. Marions Problem besteht bislang allerdings darin, dass es zu wenige Menschen sind, die in Hannover-Nord Einfluss nehmen wollen. Alleine das Streuobstwiesenprojekt macht jede Menge Arbeit, aber es fehlt an Unterstützung. Woran das liegt? »Transition-Town Hannover hat die kritische Masse noch nicht erreicht«, analysiert Marion. »Es gibt tolle und wichtige Projekte, aber es fehlen noch die Menschen, die dabei helfen, sie umzusetzen.« Der Wissenschaftler Peter Russell, den Hopkins in seinem Handbuch zitiert, sagt über die Dynamik der Transition-Bewegung: »Wenn man eine starke Vision von dem hat, was man erreichen möchte, ist es, als wolle die Welt diese Vision mittragen.« Visionen scheinen hierzulande jedoch seit Altkanzler Schmidts berüchtigtem Ausspruch »Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen!« in Verruf geraten zu sein. Um möglichst viele Menschen für einen Wandel zum Besseren zu begeistern, wäre es aber womöglich doch hilfreich, eine konkrete und alle Lebensbereiche umfassende Vorstellung davon zu entwickeln, wie das Zusammenleben in Hannover in zehn oder in zwanzig Jahren aussehen könnte – und auch den Weg zu beschreiben, auf dem dieses Ziel erreicht werden kann. Marion muss eingestehen, dass es an solch einer ganzheitlichen Leitvision, auf die sich alle Transition-Gruppen in Hannover geeinigt hätten, noch fehle.
Mitreißende Aktionen Und dennoch: Wie man die kritische Masse erreicht, lässt sich in der Hannoveraner Innenstadt beobachten: mit Cha-Cha-Cha, veganem Reiscurry und einem Zukunftsmobil in Alufolie nämlich! Der Künstler Joy Lohmann veranstaltet mit dem regionalen Nachhaltigkeitsnetzwerk »KdW« am Ballhof ein Fest, und dazu gehört kubanischer Hüftschwung. Aus Südamerika importierte Tänze sind okay, von dort eingeschiffte Bananen nicht. Auf der Tanzfläche pulsiert es, und mancher Hannoveraner, der gerade vom Frühschoppen kommt, entdeckt ein südamerikanisches Feuer in sich, das man hier nicht vermutet hätte. Dass das Fest beinahe so heißt wie das berühmte Berliner Kaufhaus, ist originell – schließlich lautet eines der Ziele der Transition-Bewegung, regionale Märkte und Betriebe zu stärken – ein Ansatz, der sich mit dem internationalen Warenangebot des Kaufhaus des Westens nicht sonderlich gut verträgt. KdW bedeutet hier denn auch »Kultur des Wandels«. Joy ist von Haus aus Street-Art-Künstler, initiiert gerne große Aktionen und hat den Kopf voller Ideen, die Verwirrung stiften und die Köpfe der anderen für ungebrauchte Gedanken freimachen sollen. Diesem Joy ist aufgefallen, dass Jugendliche zwar problemlos verschiedene Logos dem jeweiligen Unternehmen zuordnen können, aber kaum noch ein Blatt dem richtigen Baum. Was ihn stört, sind Innenstädte, in denen es keine Gelegenheiten zum Aufenthalt ohne Konsumzwang gibt, und Straßenfeste, die aus Bierständen großer Getränkevertriebsketten bestehen. Die Getränke zum KdW-Gemeinschaftsfest soll man sich deshalb selber mitbringen, und auf den Tischen rund um die Tanzfläche stehen Schüsseln mit selbstgemachtem Salat. Straßenfeste, die keine »Events« sind, zu denen in- und ausländische Touristen herbeigeschafft werden, damit sie die Hotels füllen, sondern Feste von und mit den Menschen von nebenan – so etwas stärkt das Gemeinschaftsgefühl, die Identifikation mit dem eigenen Lebensumfeld und macht außerdem noch Spaß. Aber besteht das Ziel der Transition-Bewegung nicht vielmehr darin, die Energiewende voranzubringen, um Gemeinden und Kommunen unabhängig zu machen? »Schon«, bestätigt Joy Lohmann, der sich für die Einzelheiten des vermutlich bereits überschrittenen Ölfördermaximums – das zentrale Motiv von Hopkins’ Konzept – gar nicht so sehr interessiert. »Aber was wir brauchen, ist ein Wandel, der die ganze Gesellschaft erfasst. Dazu gehört auch und vor allem die Kultur.« Nicht zuletzt ist damit die Kultur des Zusammenlebens gemeint. Ein Wandel hat sich ein paar Tage später auch im »Pagalino« vollzogen, allerdings kein erfreulicher. Radieschen und Lavendel sind aus den bunt bemalten Holzkästen gerissen worden, in denen auf einer Wiese zwischen zwei vielbefahrenen Straßen gegärtnert wird. In der Zeitung sind Fotos von umgeworfenen Einkaufswagen zu sehen. »Pagalino« ist die Abkürzung für »Palettengarten Linden Nord«. In der Nachbarschaft gibt es jede Menge Wohnbebauung, ein Freizeitheim und Bolzkäfige, in denen die Jugendlichen aus dem Viertel ihre Partien austragen – gute Voraussetzungen für den Pagalino, ein Gemeinschaftsgarten für die Menschen aus dem Viertel zu werden, ein Treffpunkt, ein Symbol für Selbstversorgung, ein Ort der Kommunikation und eine Initialzündung für andere Gemeinschaftsprojekte.
Einladende Gemeinschaftsorte Gemeinschafsgärten sind das Herzstück der Transition-Projekte, weil kaum etwas besser verdeutlichen kann, worum es der Bewegung im Kern geht, als Salatköpfe vor Stadtsilhouetten. Gemeint ist natürlich die Lokalisierung der Güterproduktion in Verbindung mit mehr Selbstverantwortung und einem Gewinn an Lebensfreude. »Ich bin dafür, dass wir uns in die Lage versetzen, alles, was irgendwie machbar ist, vor Ort zu erzeugen«, schreibt Rob Hopkins in seinem Energiewende-Handbuch. Jetzt müssen sich die Gärtner aber erst einmal mit der Frage auseinandersetzen, wie sie auf den nächtlichen Vandalismus reagieren. Die meiste Zustimmung erhält der Ansatz, noch stärker auf die Anwohner zuzugehen, zum Sommerfest einzuladen, für die Jugendlichen ein Fußballturnier zu organisieren und so nach und nach zu einem Ort zu werden, der auch vielen Transition-Mitgliedern bisher gefehlt hat: ein offener Gemeinschaftsort, an dem abends zusammen gekocht wird und an dem alle, die Lust auf ein Gespräch oder eine Portion Spaghetti haben, sich dazusetzen können. Ein Ort, an dem Andrea mit Terra Preta gärtnert und den kleinen Apfelbaum gesundpflegt, den die alte Dame mit dem Gehwagen, die fast täglich kommt, im Internet gekauft hat. An dem der junge Mann, der manchmal mittags eine Stunde auf dem blauen Sofa am Eingang liegt und in den Himmel schaut, eines Tages zu den anderen herüberkommt. Probleme mit dem Apfelbaumwuchs und der Radieschenernte – Annette, Ronald, Jochen, Werner und Antje sind Heftigeres gewohnt. Die Mitglieder der Transition-Town-Gruppe Solidarität beraten Menschen, die Arbeit, Wohnung oder Lebensmut verloren haben, und begleiten sie zum Jobcenter, wenn es um die Durchsetzung von Ansprüchen geht – manchmal auch um mehr, nämlich um die schiere Existenz. Wenn Werner von der Panik erzählt, die manchen befällt, der vor ihnen sitzt und nicht weiß, wie er über den Monat kommen soll, spürt man, wie betroffen ihn die Schicksale machen, denen er eine neue Wendung zu geben versucht, an jedem Donnerstag in einem Seminarraum in der Innenstadt. Dann ist man froh, dass Menschen wie er anderen das Gefühl geben, nicht alleine zu sein, sondern Teil einer Gemeinschaft. Und dass Annette auf die Frage, wie die Mitglieder der Arbeitsgruppe »Solidarität« mit der Belastung umgehen, die mit ihrer Aufgabe verbunden ist, und ob es Freundschaft sei, die sie mit denen verbindet und die sie unterstützt, antwortet: »Freundschaft! Und zwar doppelt unterstrichen.«
Luftschlösser mit Fundament »Hast du Schlösser in die Luft gebaut, dann war das nicht unbedingt vergebliche Arbeit; eben dort sollten sie stehen. Doch gib ihnen nun ihr Fundament«, rät der berühmteste aller Aussteiger, Henry David Thoreau, in »Walden«, der Beschreibung seines Versuchs, in den Wäldern von Massachusetts einen alternativen Lebensstil zu verwirklichen. Thoreau ist morgens im See schwimmen gegangen wie Marion; Joys freier Kopf hätte ihm sicher gefallen, mit Norman hätte er Bohnen gezogen, sein Lieblingsgemüse; und Werner hätte er gebeten, ihn zum Jobcenter zu begleiten, wenn es nicht mehr anders gegangen wäre – ganz sicher. Das Transition-Town-Hannover-Schloss hat freilich bereits ein Fundament: Es gibt eine Vielzahl an Projekten, die Initiative arbeitet mit anderen Gruppierungen zusammen – und mit ihrem Begründer Thomas Köhler verfügt sie über einen eloquenten und in der Stadt vernetzten Menschen, dem es an Ideen nie mangelt. Transition-Town Hannover hat einiges aufgebaut. Das Luftschloss mag vielleicht noch nicht perfekt sein, aber es ist startklar zum Abheben. •
Jan Dohren (31) ist als Anwalt im öffentlichen Recht und außerdem als freier Journalist in Hannover tätig. Derzeit gründet er die Initiative »Hannover summt!«, die Bienen zu mehr Wertschätzung verhelfen soll.