Eigenarbeit zeigt, was wirklich wichtig ist – die Abhängigkeit von der Industrie aber bleibt.von Anja Humburg, erschienen in Ausgabe #24/2014
Der Brite Thomas Thwaites wollte es genau wissen. Vor einiger Zeit beschloss er, etwas Ungewöhnliches »from scratch« – also von Grund auf – selberzumachen. Ein typisches Produkt der industriellen Fertigung sollte es sein. Kein zu komplexes für den Anfang, ein elektrischer Toaster erschien ihm simpel genug. Thwaites ist Designer, kein Ingenieur. Produktionsstätte sollte sein eigener Haushalt, sein Hinterhof werden. Er kaufte einen Billig-Toaster für zehn Euro, zerlegte ihn in seine etwa 400 Teile und identifizierte 100 verschiedene Materialien, wie Kupfer, Nickel und Gummi. »Von Grund auf« – das hieß für Thomas, das Eisenerz für den Stahl selbst zu schürfen, aus den Rohmaterialien Kabel, Heizstäbe und das Netzteil zu fertigen und das Plastik für das Gehäuse selbst anzurühren. Er fragte bei BP nach Öl, schöpfte kupferhaltiges Wasser aus einer stillgelegten britischen Mine und nahm einen Koffer voller Eisenerzbrocken aus einem alten Bergwerk mit nach Hause. Zum Schmelzen des Erzes griff er auf »De re metallica« zurück, ein Lehrbuch aus dem 16. Jahrhundert. Aktuelle Lehrbücher erforderten stets einen Hochofen. Doch um das Licht der Flamme oder den Geruch der Schmelze beurteilen zu können, fehlte ihm der kundige Blick eines Meisters an seiner Seite. Nach einem gescheiterten Versuch behalf Thomas sich mit der Mikrowelle – im Internet tat er einen Weg auf, Erz mit Mikrowellen in Stahl zu verwandeln. Da half also nur ein Gerät unserer übertechnisierten Gegenwart weiter. Zumindest war Thomas nun mit dem spätmittelalterlichen Hüttenwesen aus eigener Anschauung vertraut. Mit moderneren Materialien war es nicht einfacher. Bioplastik aus Kartoffelstärke erwies sich leider als wenig haltbar und wurde schon beim Trocknen von Schnecken in seinem Hinterhof aufgefressen. Trotz aller Hindernisse entstand schließlich ein zwar etwas unförmiger, aber vollständiger Toaster. Doch statt nun den Duft von geröstetem Brot genießen zu können, musste Thomas nach fünf Sekunden Laufzeit ansehen, wie sein Werk dahinschmolz. Das Experiment hatte neun Monate Zeit und 1400 Euro gekostet. »Es wäre viel einfacher gewesen, Brot über dem Feuer zu rösten«, sagt er und zitiert einen Text von Leonard Read. Der Ökonom schrieb 1958 in »I, Pencil«: »Kein einziger Mensch auf der Welt weiß, wie man mich (den Bleistift) herstellt.« Read sah darin marktwirtschaftliche Prinzipien wie Arbeitsteilung, Mechanisierung und Industrialisierung positiv bestätigt. Auch Thomas Thwaites musste – allerdings schmerzlich – feststellen, dass ein elektrischer Toaster all dies erfordert.
Das Geheimnis industrieller Ware lüften In einer Post-Kollaps-Gesellschaft, das zeigt mir dieser ebenso skurrile wie auch tragische Versuch, kann es wohl nicht mehr all die Geräte und Maschinen geben, von denen wir heute umgeben sind. Ganze Industriebranchen werden nicht mehr existieren können. Doch teilen die Protagonisten der aufkeimenden Selbermachszene meine Vision einer schrumpfenden Wirtschaft? Einer Wirtschaft, die nicht mehr wachsen muss? Ich mache mich auf die Suche nach Menschen, die sich gegen die industrielle Entfremdung, wie sie Thomas erfahren musste, wehren. Kann das Wissen über das Selbermachen komplexer Produkte nicht doch in die eigenen Hände gelangen? Wie entstehen Infrastrukturen für die Herstellung nützlicher Dinge jenseits des Marktgeschehens? Ich nehme die Spur auf zu einem Ur-Ort des Selbermachens: das Gelände des Maastrichter Kulturprojekts »Landbouwbelang«. Die Halle des ehemaligen Getreidelagers wird an diesem Tag im März zur offenen Werkstatt. 50 Freiwillige bauen aus Brettern, großen Blechdosen und Stahlseilen ein Pflanzenregal mit Bewässerungssystem. Der Prototyp des kleinen, vertikalen Gartens steht ein paar Schritte weiter im Schuppen von Reinder van Tijen. Reinder ist Profirecycler und vor allem Designer praktischer Alltagsdinge. Er entwickelt Bauanleitungen für Gepäckträger, Liegestühle und Zelte. Einfache, aber essenzielle Gegenstände sollen »für alle nachbaubar sein ohne tiefes Fachwissen, große Investitionen oder spezielle Maschinen«, meint der Tüftler. Das »Demotech Lab«, wie Reinder das Projekt nennt, ist eine der ältesten offenen Werkstätten in Europa, es existiert bereits seit 35 Jahren. Der heute 81-Jährige forschte erst in Holland, dann auch in Ländern wie Burkina Faso, Indonesien und Guatemala nach lebensfreundlichen Techniken. »Crowd workshopping« nennt er das Prinzip, nach dem er sein technisches Wissen heute weitergibt: eine Art Ad-hoc-Arbeitsteilung für Laien. Reinder verteilte die Arbeitsschritte für den vertikalen Garten auf gut ein Dutzend Stationen, die von den Teilnehmenden selbst betreut wurden. So entstand ein ständiges Wechseln zwischen dem Selbstlernen und dem Weitergeben von Wissen. Anderswo heißen die offenen Werkstätten Eigenbaukombinat, Freischrauber, Maker Space, Fab Lab, Open Design City, oder Dingfabrik. Die einen haben eine Keramik- oder Holzwerkstatt, die anderen raumfüllende Druckmaschinen oder Geräte für die Reparatur von komplexer Elektronik. Ganz unterschiedliche Motive treibt die Menschen an, hier den Bohrer oder den Lötkolben zu schwingen.
In den Laboren der Zukunft In der 400 Quadratmeter großen Werkstatt in Köln-Nippes heult die Kreissäge auf, ein Staubsauger surrt, als sich knapp zwei Dutzend Menschen an diesem Septemberabend zum Montagsplenum zusammenfinden. Etwa 50 Menschen, darunter Physiker, Programmierer, Schreiner, Elektrotechniker, Ingenieure und Sozialpädagogen, leisten sich einen riesigen Maschinenpark mit Ledernähmaschine, 3-D-Drucker und Schweißgerät. Jeden Freitag ist die Werkstatt für alle geöffnet. Wer für 23 Euro im Monat Mitglied wird, kann sie auch zu anderen Zeiten nutzen. Regelmäßige Kurse vermitteln das Arbeiten mit Beton, Schweißen oder den Umgang mit der Kreissäge. Die Kölner Dingfabrik mischt den Charme einer futuristischen Volkshochschule mit dem eines Bürgerzentrums. Ihre Protagonisten kapern Techniken und Maschinen und geben ihnen ihren eigenen Sinn. Sie decodieren Geräte, Materialien und Prozesse als Waren, die normalerweise zu einem bestimmten Zweck genutzt, verbraucht und weggeworfen werden. Ihre Herstellung war lange Geheimnis der Produktionsstätten, versiegelt durch die Gesetze des Markts, oder der Kellerwerkstätten privater Bastler, ebenfalls für die Öffentlichkeit geschlossen. Die Stiftungsgemeinschaft anstiftung & ertomis nennt die Bewegung der offenen Werkstätten eine »Variante der Hackerbewegung« – nicht im virtuellen Raum, sondern im physisch-materiellen. In der Dingfabrik ist viel Geld im Spiel. Viele Aktive verdienen recht gut und freuen sich, das Geld in diese kollektive Fabrikationszelle zu stecken. Als der Wunsch nach einem Lasercutter wuchs, wurden kurzerhand 5000 Euro eingesammelt und zwei Bekannte beauftragt, ihn zu bauen. Mit diesem neuen »Ding« werden nun zum Beispiel Lampenschirme hergestellt. Doch nicht jeder muss investieren. Einige sind erwerbslos und bringen viel Zeit für die Vereinsarbeit, Workshops oder die Betreuung der Bastelnachmittage mit. »Die Dingfabrik ermöglicht uns, selbst wirksam zu sein«, sagt der Maschinenbauingenieur Alexander Speckmann, der sich neben seiner Forschungsarbeit für den Verein engagiert.
Mehr als ein Hobby Orte wie die Dingfabrik erscheinen mir als »Einstiegsdroge«. Das Bedürfnis nach Autonomie treibt die Profis der Eigenarbeit an, Fachwissen und die erforderliche Ausstattung mit anderen zu teilen. Nicht immer ersetzt das, was sie an solchen Orten herstellen, den Kauf von Dingen. Oft entsteht Zusätzliches, das Spaß macht – etwa eine Maschine, die Torten mit Smarties dekoriert. Doch immer wieder geht es auch um essenzielle Dinge, wie ein zum Kinderbett erweitertes Babybett, von dem ich in der Dingfabrik erfahre. Indem solche offenen Werkstätten am starren Eigentumsbegriff hinter den Dingen rütteln und mit ihrer kollektiven Infrastruktur ein Commons – ein Gemeingut – schaffen, fördern sie den Blick über den eigenen Tellerand hinaus. So wachsen bei den Beteiligten mit der Zeit ökologische Motive, wie Ressourcenbewusstsein und Wachstumskritik. Doch so weit zu gehen, Elektronik selbst in Frage zu stellen, ist eher selten. Im Internet dokumentieren Selbermacher ihr Wissen und ihre Baupläne, statt dies in Tresoren einzuschließen, wie es Firmen tun. Auf Plattformen wie »Ifixit«, »Expli« oder »Let’s Share« entstehen Datenbanken mit kommentierten Anleitungen für den Bau von Minilautsprechern aus Pappbechern oder einer LED-Taschenlampe aus Lego, Videos zum Wechseln von Autoreifen und Foren zum Austausch über Rezepte für Bioplastik aus der Küche. Wikis schlüsseln auf, wie komplexe Geräte zu bedienen, nachzubauen oder zu reparieren sind. Doch diese Datenbanken ersetzen nicht die sinnliche Erfahrung in der Werkstatt. Vielleicht lernt man als feinmotorisch Begabte, das Plastikgehäuse eines CD-Spielers an einem Nachmittag zu öffnen, ohne die dünnen Verschlüsse abzubrechen, doch defekte Pins auf der Platine zu orten und verschachtelte Schaltkreise zu überprüfen, erfordert jahrelang geübtes Fingerspitzengefühl. Der Transfer von technischem Wissen ist gerade bei einmaligen Ereignissen wie den berühmten Repair Cafés auf das Assistieren von Werkzeug und das Verfolgen der kundigen Hände des Mechanikers beschränkt. Von der Tiefe des Wissens hängt ab, ob das kollektive Selbermachen eine gesellschaftliche Bewegung für eine neue Kultur wird. Echte Eigenarbeit jenseits vorgefertigter Baukastensysteme und eingebettet in Tausch- und Schenkökonomie fördert Suffizienz – ein Prinzip, das sich mit »Achten auf das richtige Maß« oder »von nichts zuviel« übersetzen lässt. Eigenarbeit hat das Potenzial, die Erwerbsarbeitszeit und den Geldbedarf zu reduzieren, doch das ist meist noch Utopie. Ob optische Linsen der Mikroskope, Gummiringe für Einmachgläser oder strombetriebene Sägen – ohne industrielle Bestandteile kommt der Eigenbau heute nicht aus, wie das Beispiel von Thomas Thwaites zeigt. Sein Experiment lässt eigentlich nur eine Frage zu: Warum überhaupt so ein seltsames Gerät wie ein Toaster? Warum nicht selbst leckeres Brot backen? Und das am besten im Gemeinschafts-Lehmofen auf dem nächsten Dorf- oder Stadtplatz? Traditionelle Techniken – wie beim Einmachen das Verschließen von Gläsern mit Pergament und Schnur – sind oft erstaunlich ressourcensparend. Hier und da entdecke ich in den Köpfen der Selbermacher eine andere Logik oder eine andere Strategie, die das Produkt überflüssig macht, so dass es gar nicht selber hergestellt werden muss. Das ist vielleicht das größte Potenzial des Selbermachens: Es kann das auf Metall, glatte Oberflächen und Geschwindigkeit reduzierte Technikverständnis durch eine Idee von lebenswerter Technik ersetzen, die »commonisch« am Erhalt des Ganzen orientiert ist. Selbstgemacht und repariert wird seit jeher. Doch erst jetzt erfährt es wieder Wertschätzung. Vielleicht wird – suffizientes – Selbermachen bald ebenso zu einer Kulturtechnik wie Lesen und Schreiben. •
Anja Humburg (28) ist Umweltwissenschaftlerin und Journalistin für Transformation. Sie experimentiert mit der Idee einer Postwachstumsgesellschaft.