In Passau entstand ein Fokus für lebendige, engagierte Nachbarschaft.
von Sylvia Buttler, erschienen in Ausgabe #25/2014
Vor drei Jahren eröffnete in der Höllgasse, einer Passauer Künstleradresse, ein kleiner Laden. Keine ganz alltäglichen Dinge lagen da in den Regalen: Gürtel aus alten Fahrradreifen, handgestrickte Mützen, Recycling-Taschen, Secondhand-Kleidung, gestrickte Hausschuhe und faire Schokolade. »Der Laden ist in kürzester Zeit zu einem tollen Treffpunkt geworden«, erzählt Andrea Hentschel, eine der Gründerinnen. »Die Besucher konnten jede Menge Sachen kaufen, die ökologisch, fair oder regional hergestellt wurden, und unsere Veranstaltungen waren richtig gut besucht. Manchmal kam auch jemand herein und schenkte uns etwas, zum Beispiel zwei bequeme Sessel.«
Der Laden war mehr als eine Geschäftsidee. Dahinter steckten eben die Besserwisser. »Mit unserem selbstironischen Namen wollen wir auffallen und mit Spaß und Kreativität die Lust auf nachhaltiges Handeln wecken«, erklärt Andrea. Der erhobene Zeigefinger oder Horrormeldungen über ökologische Katastrophen schrecken die Menschen nur ab, meint sie. Bei der Gründung kam für Andrea Hentschel, Karolina Böhm und drei weitere Freunde, die sie aus dem Studium kannten, nur eine Genossenschaft als Rechtsform in Frage. »Das war mit Abstand das Schwierigste an der ganzen Sache«, erinnert sich Karolina. Vor der Gründung mussten etliche offizielle Stellen erst mühsam von dem Konzept überzeugt werden. »Man hielt uns für totale Freaks«, lacht sie. Nachdem sämtliche bürokratische Hürden gemeistert waren, kamen die Besserwisser schnell in Gang, luden zu Infocafés und Filmabenden in ihrem Laden ein. »Es kamen anfangs so viele Leute auf uns zu – das war großartig«, meint Andrea. Als in Passau ein verkaufsoffener Sonntag stattfand, riefen die Besserwisser über Facebook zu »Waldlauf statt Kaufrausch« auf und luden dazu ein, die schöne Landschaft an der Ilz zu Fuß kennenzulernen. »Wir sind mit der Ilztalbahn rausgefahren und nach Passau zurückgewandert. Es waren Leute dabei, die seit zwei Jahren hier studierten und noch nie an der Ilz waren.« Zudem gingen sie auf die Suche nach ökologischen Produkten aus der Region. »Da gab es mehr, als wir dachten«, berichtet Karolina. »Wir waren überrascht, wer sich hier in der Provinz so alles versteckt. Alles, was wir an empfehlenswerten Adressen fanden, haben wir dann in einem Einkaufsführer verarbeitet, den wir ›Fuchs‹ nannten. Die Fotos und das Layout entstanden in unserer Freizeit«, erklärt sie stolz. Der Fuchs erscheint in diesem Jahr in der dritten Auflage und ist schon fast ein Klassiker. »Der Höhepunkt unseres ersten Jahres war der Besuch von Niko Paech in unserem Laden«, lacht Karolina. Der Vordenker einer Postwachstumsökonomie hatte an der Uni einen Vortrag gehalten und sich danach begeistert im Besserwisser-Laden umgesehen.
Befreiter Neuanfang Der Tiefpunkt in der bisherigen Geschichte der Besserwisser war das Hochwasser im Juli 2013. Die gesamte Innenstadt war überflutet, viele Häuser wurden beschädigt. Es zeichnete sich schon früh ab, dass das Hochwasser besonders schlimm werden würde, und die Freunde gaben im Halbstundentakt die Pegelstände durchs Telefon weiter. »Es war ein Bauchgefühl, aus dem heraus wir uns zum Glück schnell entschlossen haben, unsere Ware in ein oberes Stockwerk zu räumen, statt wie üblich nur in die oberen Regale«, erzählt Karolina. So konnten sie die wichtigsten Sachen retten. »Während dieser zwei Wochen war die ganze Stadt im Ausnahmezustand. Einmal wurde ich nachts wach und sah vor dem Fenster Schlauchboote durch die Straßen fahren, zu Leuten, die in ihren Häusern eingeschlossen waren. Über uns kreisten Hubschrauber, sonst war alles totenstill. Das war gespenstisch«, erinnert sie sich. Andererseits rollte eine überwältigende Welle der Hilfsbereitschaft an, die alle überraschte. Als das Wasser abgeflossen war, zogen allein Tausende Studenten mit Schaufeln durch die Stadt, um beim Aufräumen zu helfen. Freiwillige bauten riesige Buffets zur Versorgung der Hilfskräfte auf. Für die Besserwisser stand bald fest, dass sie das Risiko einer Neueröffnung ihres Ladens nicht mehr eingehen wollten. Nach dem ersten Schock begriffen die Freunde die Schließung als Neuanfang. »Das Hochwasser war der Kick, in die richtige Richtung zu gehen«, meint Karolina. »Wir wollten ja nie hauptsächlich Einzelhandel machen. Der Laden war zwar ein guter Schritt, um bekannt zu werden, aber die Phase haben wir jetzt hinter uns gelassen.« Von nun an konzentrieren sie sich auf ihre Kernthemen, wie Veranstaltungen, Bildungsarbeit und Netzwerke. Da waren einem Besserwisser im letzten Jahr die verwaisten Fahrräder aufgefallen, die überall in der Stadt herumstanden und nach einiger Zeit vom Bauhof entfernt wurden. Er brachte die Stadtverwaltung dazu, diese Räder der Genossenschaft zu überlassen. Die rief die Aktion »Fahrradwerkstatt für Flüchtlinge« ins Leben: Gemeinsam mit Freiwilligen werkelte man einen Tag lang gemeinsam für die Bewohnerinnen und Bewohner eines Asylbewerberheims. Am Ende waren aus 50 alten fast 30 fahrtüchtige Fahrräder entstanden, die den Flüchtlingen übergeben werden konnten. Eine neue Heimat hat die Genossenschaft im Ökologischen Zentrum Stelzlhof gefunden. »Hier haben wir eine Postadresse und von hier aus ziehen wir durch die ganze Stadt«, erzählt Karolina. »Ohne den Laden sind wir auch befreiter, müssen uns nicht mehr darum kümmern, dass zu Öffnungszeiten immer jemand dort ist und dass die Miete bezahlt wird. Heute kommunizieren wir per Mail und Facebook und treffen die Leute da, wo wir gerade Lust haben. Je nachdem, ob wir 5 oder 50 sind, suchen wir den Raum aus.« Das Gemeinschaftsgefühl entsteht also auch ohne konkreten Ort, solange eine gemeinsame Idee die Menschen verbindet. Das ist bei den Aktiven der Besserwisser eG ganz deutlich zu spüren.
Gemeinschaft als Angebot Wenn die Gründungsmitglieder gefragt werden, warum sie ihre Freizeit in dieses Projekt stecken, lautet die Antwort meist: »Besserwisser ist für uns, was für andere ihr Hobby, ihr Pferd oder ihr Boot ist.« Und ihre Arbeit trägt Früchte. Es machen mehr Menschen mit, als sie zu Beginn zu hoffen gewagt hatten. Von der 15-jährigen Schülerin, die einen Praktikumsplatz sucht, über den Alt-68er bis zur strickenden Oma ist alles vertreten. Andrea erklärt sich den Zulauf so: »Viele Menschen wollen etwas verändern, wissen aber nicht so recht, wie. Da kommen wir ins Spiel, denn in der Gemeinschaft ist es viel leichter, Dinge anzugehen. Wir bringen hier viele Herzen dazu, freudiger zu schlagen.« Die Veranstaltungen sind mittlerweile fester Bestandteil des Stadtlebens: Konzerte, eine Filmreihe und Workshops, in denen man Handarbeiten oder Upcycling ausprobieren kann. »Auf keinen Fall bieten wir Vorgefertigtes, das nur konsumiert wird«, stellt Andrea klar. »Wir wollen ein Treffpunkt sein. Hier soll jede und jeder seine Ideen einbringen und umsetzen können – eine Spielwiese zur Weltverbesserung.« Im Stadtmagazin »Pasta« haben die Besserwisser ein Jahr lang eine Doppelseite zum Thema »Nachhaltiges Leben« gestaltet. »Wir haben lange diskutiert, schließlich wird das Magazin nicht auf Ökopapier gedruckt«, meint Andrea. »Einige von uns waren deshalb dagegen. Aber wir hofften, damit Leser zu erreichen, die sich noch nicht mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt haben.« Diskutieren – das ist so eine Sache bei den Besserwissern. »Wir sind nie einer Meinung«, lacht Karolina. »Am Ende dann aber doch.« Der unermüdliche Einsatz fand auch öffentliche Würdigung: 2013 wurde die Genossenschaft vom Nachhaltigkeitsrat als »Projekt N« ausgezeichnet, und 2014 reihte sie die UNESCO in die Projekte des Programms »Bildung für nachhaltige Entwicklung« ein. •
Sylvia Buttler (45) züchtet auf ihrem Bauernhof im Bayerischen Wald bedrohte Haustierrassen. www.am-schimmelbach.de