Permakultur

Vom Garten auf den Teller

Das Berliner »Café Botanico« verbindet geschickt Anbau und Vermarktung.
von Judith Henning, erschienen in Ausgabe #27/2014
Photo

Freunde erzählen von einem Café mit Permakulturgarten mitten in Berlin. Das muss ich sehen! Am Samstagabend gehen wir dort etwas ­essen – es gibt leckeren Wildkräu­tersalat, Linseneintopf und Risotto. Am Sonntag besuche ich den Garten ein zweites Mal, um ihn bei Tageslicht zu betrachten und nach der Führung mit Gärtner Martin Höfft zu sprechen.

Schon das Schild am Eingang mit der Aufschrift »Trau nicht dem Ort, an dem kein Unkraut wächst!« lässt vermuten, dass es sich hier nicht um einen jener Gemüsegärten handelt, in denen Zwiebeln und Erbsen in Reih und Glied neben Schnittlauch und Möhren in feinsäuberlich gejäteten Beeten stehen.
Der Blick um die Ecke auf die 1000 Quadratmeter große Parzelle, die sich im rundum von Häusern eingefassten Hinterhof des Cafés erstreckt, bestätigt die Vermutung: Der Garten ist auf den ersten Blick eine Wildnis mit Wegen und einigen Mäuerchen. Doch bei der Führung lernen wir dann, zu sehen, was sich alles in den Beeten verbirgt, und wir erfahren, nach welchen Prinzipien der Garten gestaltet wurde und weiterhin bepflanzt und gepflegt wird.
Anfang 2012 angelegt, beliefert der Garten seit August 2013 das angeschlossene Café. Neben Obst und Gemüse gibt es hier auch fünf Bienenstöcke – im Café wird »Echt Neuköllner Honig« verkauft.
Artenvielfalt zu fördern, mit Kompost zu düngen, Schädlingen durch Mischkulturen und geschickte Fruchtfolge das Leben schwer zu machen und Pflanzenkrankheiten mit organischen Mitteln wie Beinwelljauche zu bekämpfen, anstatt Chemikalien einzusetzen, das ist für den biozertifizierten Betrieb selbstverständlich. Darüber hinaus gibt es weitere Besonderheiten, die Martin Höffts Permakulturgarten von einem herkömmlichen Biobetrieb unterscheiden.
»Beobachte und interagiere!« – das erste Gestaltungsprinzip des Permakultur-Mit­begründers David Holmgren (siehe Oya Ausgabe 18) war bei der Anlage des Geländes maßgebend. Auf dem Grundstück befand sich einst eine Kleingartenanlage, die in den 20 Jahren vor der Einrichtung des Permakulturgartens verwildert war.
Einige groß gewordene Nadelbäume mussten gefällt werden, um die Fläche überhaupt wieder für Gemüseanbau nutzen zu können. Ansonsten ging Höfft eher dezent vor. Anstatt großflächig mit der Bodenfräse das Unkraut zu beseitigen, um danach einen neuen Garten nach seinen Vorstellungen anzulegen, rückte er dem Dickicht mit kleiner Hacke, Schaufel und Bestimmungsbuch zu Leibe, um so viele der vorhandenen Pflanzen wie möglich zu erhalten und sie seinen Plänen entsprechend umzupflanzen. Vorgefundene Obstbäume, Himbeeren, Erdbeeren und ein Weinstock konnten so bereits im ersten Jahr zur Ernte beitragen und sorgten mit dafür, dass der Garten schon ein halbes Jahr nach seiner Anlage im Wettbewerb »Berlin summt« zu einem der bienenfreundlichsten Orte der Stadt gekürt wurde.

Bewusst getroffene Pflanzenauswahl
Hier werden bevorzugt mehrjährige Gemüsesorten angebaut, die möglichst lange – idealerweise die ganze Gartensaison über – beerntet werden können. Diese sind generell robuster als einjährige Pflanzen und brauchen, sobald sie einmal etabliert sind, viel weniger Pflege. Zum Beispiel müssen Salatpflanzen vorgezogen und dann ausgepflanzt werden, sie müssen regelmäßig gegossen und vor Schnecken beschützt werden, und schließlich gilt es, durch regelmäßiges Jäten die Wildkräuterkonkurrenz in Schach zu halten. Der mehrjährige Gemüseampfer, der unter anderem als Salat taugt, kann hingegen mehrmals pro Saison geerntet werden und ist nicht so anfällig für Schnecken; die große Pflanze übersteht durch ihr gut ausgebildetes Wurzelsystem auch Trockenperioden besser als einjährige Salat- oder Gemüsepflanzen. Da der Gemüseampfer selbst dazu neigt, sich unkrautartig auszubreiten, gehen hier Jäten und Ernten Hand in Hand.
Freilich wachsen auch einjährige Gemüsesorten im Garten, doch bei diesen überwiegen jene, die über einen längeren Zeitraum beerntet werden, wie beispielsweise der Pflücksalat. Sie sind mit bodendeckenden, essbaren Wildkräutern kombiniert. Besonders beeindruckt hat mich ein gigantischer Grünkohl von bestimmt 2,50 Meter Höhe, an dessen Stämmchen sich noch Stangenbohnen hochrankten – eine Berliner Interpretation der »Milpa«, der traditionellen mittelamerikanischen Mischkultur aus Mais, Bohnen und Kürbis, wo der Mais den Bohnen als Rankhilfe dient.

Bewirtschaftung nach Beobachtung
Die gärtnerische Aktivität von Martin Höfft richtet sich eher darauf, eine Balance zwischen den Pflanzen zu fördern, als darauf, deren Wachstum durch steten Arbeitseinsatz zu regulieren. Durch sorgfältige Beobachtung der Pflanzen und ihrer Verbreitung versucht er, ein gutes Verhältnis zwischen Arbeitseinsatz und Ernte zu erzielen. Martin Höfft sucht durch Ausprobieren und Beob­achtung Antworten auf Fragen wie: »Wo säen sich bestimmte Wildkräuter erfolgreich selbst aus, damit ich sie dort ernten kann, ohne sie jedes Jahr neu zu säen? Da erhalten sie ihren Ort! Kümmern die Erdbeeren vor sich hin? Wo wachsen sie besser? Was kann überhaupt unter dem Walnussbaum gedeihen?«
Hier zeigt sich ein weiteres leitendes Prinzip aus der Permakultur: »Optimieren statt maximieren!« Es geht nicht wie in der konventionellen Landwirtschaft um maximalen Ertrag um – fast – jeden Preis, sondern um einen optimalen Einsatz von Material und Arbeit im Verhältnis zur Ernte. Dieser energiesparende Ansatz zeigt sich im Detail in der geschickten Auswahl und Platzierung der Pflanzen in den Beeten. Aber nicht nur dort.

Vermarktung und Verzehr vor Ort
Auch beim Verkauf der Gartenprodukte gibt es eine geschickte Konzeption in Form der Direktvermarktung im »Café Botanico«. Die Ernte kann zu Fuß vom Garten unmittelbar in die Küche gebracht werden. In dem sympathischen Familienbetrieb kocht der Schwiegervater des Gärtners schmackhafte italienische Gerichte. Das Besondere ist hier: Die Ernte bestimmt den Speiseplan, nicht umgekehrt. Das Angebot ist saisonal und regional. Freilich müssen so manche Lebensmittel zugekauft werden, aber der Anteil aus dem Garten wird mit der Zeit wachsen. Das Wesentliche ist jedoch, zunächst diese direkte Verbindung überhaupt zu etablieren. Denn indem der lokale Kreislauf geschlossen wird, kann Energie gespart und Müll vermieden werden. Auch der Kontakt zwischen den Erzeugern und den Konsumenten kann auf neue Weise intensiviert werden.
Weil für Martin Höfft das Ganze nicht nur sein Garten, sondern auch seine Mission ist, gibt es auch einen botanischen Lehrpfad: Bei schönem Wetter findet stets sonntags um 15 Uhr eine Führung statt.
Für mich ist das ein wegweisendes Konzept. Mit so radikal lokaler Nahrungsmittelproduktion können wir ressourcenschonender leben. Zugleich wird eine Stadt, in der Gemüse angebaut wird, zu einem lebendigen und lebenswerten Ort.
Mein Rat: Unterstützt dieses Projekt, probiert euch durch die Speisekarte! Und besichtigt diesen tollen Garten! •


Judith Henning (38) ist Künstlerin und Permakulturdesignerin mit dem Schwerpunkt urbaner Lösungen zu »Müll« und »Materialkreisläufen«. In Hamburg gründete sie das Kunstprojekt »metagarten für mehr Wildnis in der Stadt«.


Mal im Café Botanico schlemmen?
12043 Berlin, Richardstraße 100, U-Bahn Karl-Marx-Straße.
Offen ab 11 Uhr, Montag Ruhetag.
www.cafe-botanico.de.

weitere Artikel aus Ausgabe #27

Photo
von Marietta Schürholz

Räder des Lebens (Buchbesprechung)

In der Reihe »Library of Healing Arts« ist soeben ein neuer, kluger Band zu »Rädern des Lebens« als »­Orientierungsmodelle für tiefe Transformation« erschienen. Reagiert wird hiermit auf die fühlbare Dringlichkeit, das lineare, in Paradigmen

Photo
von Manuela Pusker

Wege zur Energie-Autarkie (Buchbesprechung)

Götz Warnke denkt in diesem Buch visionärer als die meisten Autoren, die sich dem Thema Energie-Autar­kie verschrieben haben. Sein Weg ist konsequent; wohl deshalb hat sein Modell auch einen eigenen Namen: »Home Energy Harvesting«, kurz HEH genannt.Während die meisten

Photo
Permakulturvon Ulrike Meißner

Nutze und schätze die Vielfalt!

Das zehnte von David Holmgren formulierte Permakulturprinzip erinnert uns daran, dass Vielgestaltigkeit eine erprobte Überlebensstrategie für alle möglichen Populationen und Arten ist.

Ausgabe #27
Verbundenheit

Cover OYA-Ausgabe 27
Neuigkeiten aus der Redaktion