Pflanzen haben kein Gehirn, sie »wissen« aber eine Menge Dinge, die sie zum Leben brauchen: Sie wissen, ob Tag oder Nacht ist und wann für sie die beste Zeit zum Blühen ist. Da sie fest an ihrem Standort verwurzelt sind und nicht weglaufen können, sind sie dar auf angewiesen, ihre Umwelt sehr genau wahrzunehmen. Lebewesen, die kein Nervensystem vergleichbar mit dem menschlichen haben, wird das Fühlen oft abgesprochen. Der Biologe Daniel Chamovitz zeigt in seinem Buch anhand einer Fülle wissenschaftlicher Fakten, dass die Sinneswahrnehmungen von Pfl anzen äußerst vielfältig sind, manchmal sogar komplexer als die menschlichen. (Ganz bewusst zieht der Autor Parallelen zwischen den Sinnesorganen von Menschen und Pflanzen.)
Jedes Kapitel widmet sich einem anderen Sinn, und so behandelt Chamovitz nacheinander: was Pflanzen sehen, was Pfl anzen riechen, was sie fühlen, hören und woran sie sich erinnern. So nehmen Pflanzen etwa ein viel breiteres Lichtspektrum wahr als Menschen; sie sehen aber nicht in Bildern, sondern setzen die Lichtsignale in Wachstumsimpulse um. Doch es gibt auch eine Ebene, auf der wir wie Pflanzen »sehen«. So funktioniert etwa unsere innere Uhr ähnlich wie die eines Gänseblümchens: Das Gefühl für den Tag-Nacht-Rhythmus wird über die Blau-Anteile des Lichts gesteuert, und diese nehmen wir mit denselben Rezeptoren wie Pfl anzen wahr. Beispiele wie diese bezeugen unsere gemeinsame Evolutionsgeschichte. Dabei verfällt der Autor an keiner Stelle in einen anthropozentrischen Anthropomorphismus und tut so, als seien Pflanzen wie wir. Chamovitz ist Naturwissenschaftler durch und durch. Über Pflanzen zu sprechen, als ob sie sehen oder riechen könnten, ist für ihn vielmehr eine Methode, um grundsätzlich neu darüber nachzudenken, was eigentlich »Sehen« und »Riechen« ist, was eine Pfl anze ist und was wir selbst als Menschen sind. Denn die Art, wie wir über Lebewesen sprechen, beeinfl usst unsere Wahrnehmung der belebten Welt.
Allerdings negiert der Autor, dass Pflanzen so etwas wie Schmerz oder Leid empfi nden könnten. Trotz der vielen Beispiele, an denen er zeigt, dass Pflanzen sehr wohl wahrnehmen können, was ihr Wachstum fördert oder hemmt, und dass sie zwar nicht mit einem Gehirn, aber doch mit ihrem ganzen Körper »wissen «, was »gut« oder »schlecht« für sie ist, traut sich der Biologe Daniel Chamovitz nicht, die ethischen Konsequenzen daraus zu ziehen und Pflanzen eine Würde zuzusprechen. Das bleibt ein kleiner blinder Fleck des Buchs.
Dennoch ist es eine faszinierende Reise in die Sinneswelt der Pflanzen, die uns einen Einblick gibt, wie Lebewesen fühlen, die so ganz anders sind als wir.
Was Pflanzen wissen Wie sie sehen, riechen und sich erinnern. Daniel Chamovitz Hanser Verlag, 2013 ISBN 978-3446435018 17,90 Euro