Buchtipps

Die Post-Kollaps-Gesellschaft (Buchbesprechung)

von Jochen Schilk, erschienen in Ausgabe #17/2012
Photo

Für Johannes Heimrath ist der Kollaps des konsumgetriebenen Weltsystems nicht mehr zu verhindern – und er ist einer der wenigen, die diese unbequeme Wahrheit auch in aller Deutlichkeit aussprechen. Dabei ist es nur logisch, dass eine nicht-nachhaltige Welt eben nicht nachhaltig ist und die Übernutzung der begrenzten irdischen Ressourcen – Heimrath nennt sie »Lebensquellen« – unsere Zivilisation vor ein erwartbares Ende stellt. Er ist aber beileibe kein Katastrophiker. Die beinahe erschlagende Fülle seiner sorgfältig mit Quellen unterlegten Engpässe der globalen Entwicklung dient ihm vielmehr zum leidenschaftlichen Appell an die Zeitgenossen, die Augen aufzureißen und die Dinge anzunehmen, wie sie sind. Der Versuch, den Zusammenbruch aufzuhalten oder gar zu vermeiden, kommt ihm wie die Lawinenverbauungen in den Bergen vor: Sie schützen die Talbewohner nur, solange der Hang hält. Da aber inzwischen der ganze Hang ins Rutschen gekommen ist, erscheint es dem Autor besser, die »Kraft unserer Vision« für die Beantwortung der Frage »Wie wollen wir nach dem Kollaps eigentlich leben?« zu nutzen. »Egal, was wir tun – der Weg in eine nachhaltige Welt wird durch ein Tal der Tränen führen. Statt unsere Kräfte im Versuch zu vergeuden, den Kollaps aufhalten zu wollen, sollten wir uns mit aller Kraft auf die Welt vorbereiten, in der wir dann leben werden.«
Die Frage nach dem Was-Dann wird selten gestellt, wo es im Angesicht einer Krise doch gilt, Vorbereitungen für alle Fälle zu treffen. Dazu ermuntert das Buch mit großer Energie: Eine »Post-Kollaps-Gesellschaft des guten Lebens« verlangt, dass wir heute die Fähigkeiten üben, die morgen gebraucht werden. Allen voran stellt Heimrath die Gemeinschaftsfähigkeit, die Erfahrung der Verbundenheit mit den Menschen und der »mehr-als-menschlichen Welt« (wie der Autor nach David Abram die Natur nennt) sowie die Vertrautheit mit den eigenen Bedürfnissen, die in Einklang mit dem Gegebenen stehen müssen.
Johannes Heimrath sieht sich und seine Leserschaft vor der Aufgabe, schon jetzt die Fundamente für eine neue Gesellschaftsordnung, die auf der Hege und Pflege der Gemeingüter basiert und die nicht mehr in konventionellen Staaten, sondern in regionalen Zusammenhängen organisiert ist, zu legen. Diese nennt er »Commonien« – von Commons, Allmende abgeleitet. Er betont, dass eine Commonie kein fixes Modell ist, sondern etwas, das die Menschen auf der Grundlage von Prinzipien wie Vertrauen und Gleichwertigkeit aller Stimmen für jeden Ort neu entwickeln müssten. Eine Gesellschaft von Commonien wäre ihm zufolge eine Gesellschaft des Gemeinsamen, des freiwilligen Beitragens, des Füreinanders und des Respekts vor dem Leben als Ganzem.
Der Untertitel des Buchs, »Wie wir mit viel weniger viel besser leben werden – und wie wir uns heute schon darauf vorbereiten können«, ist ein trojanisches Pferd: Wer erwartet, dass das »viel besser« mit einem Mehr an Komfort und Gütern – etwa einer »grünen« Ökonomie – eingelöst wird, sieht sich getäuscht: Heimrath stellt vielmehr ein Mehr an Lebensqualität in Aussicht, das in einer wesentlich weniger komfortablen Welt als heute erst erarbeitet werden muss. Dies ist einer »enkeltauglichen« Welt – ein Begriff, der sich nicht zuletzt durch Heimraths publizistisches Wirken allmählich im kulturkreativen Wortschatz einbürgert – geschuldet. Dabei ist ihm klar, dass sich nur eine kleine Minderheit überhaupt auf seine Gedanken einlassen wird. Er fordert nämlich dazu auf, sich auch jener Realität zu stellen, die Aktivisten und Aktivistinnen meist übersehen: Niemand von denen, die das Gute in der Welt verwirklichen wollen – damit meint er sowohl sich als auch seine Leserinnen und Leser –, habe einen »Hebel der Macht« in der Hand. Die Chancen, dass sich eine »commonisch« geordnete Post-Kollaps-Gesellschaft des guten Lebens einstellt, gibt er denn auch mit nur 0,01 ­Prozent an …
Man darf die Frage stellen, was den Autor berechtigt, ein solches Buch zu schreiben, das ohne Kompromisse und ohne Schielen nach »Erfolg« die Dinge beim Namen nennt und sich zugleich selbstkritisch in die Schranken des Möglichen verweist. Die Begründung liefert Heimrath, indem er seine Einsichten nicht aus Theorien oder Sekundärliteratur herleitet, sondern seine Biografie heranzieht: Als Pionier der »neuen sozialen Bewegungen« seit den 70er Jahren hat er der Gemeinschaftsbewegung, der Naturkostbewegung, der freien Bildung, dem alternativen Wirtschaften und der ländlichen Regionalentwicklung Impulse gegeben. Das macht seine Argumente glaubwürdig und sein Gesellschaftsmodell der Commonie bedenkenswert. Heimrath lebt vor, was er zur Überprüfung vorschlägt.
»Die Post-Kollaps-Gesellschaft« enthält neben einer Fülle bestürzender Fakten über den Zustand der Welt eine attraktive, eigenartig sanfte Vision von einer Möglichkeit, die Welt nach dem Zusammenbruch der heutigen Systeme neu, eben wahrhaft enkeltauglich zu gestalten, sofern nicht die anderen im Buch geschilderten Szenarien – allesamt um Größenordnungen wahrscheinlicher – dauerhaften Schrecken verbreiten. Es ist ein Buch für Menschen, die nicht mehr an das Alte glauben und für das Neue Impulse und Orientierung suchen. Zu wünschen ist, dass die Idee der Commonie in naher Zukunft im Dialog etwa mit Post-Wachstums-Denkerinnen und -Denkern sowie Commons-Fachmenschen weiter vertieft wird. Über all das hinaus beeindruckt das Buch mit einer bilderreichen, empathischen Sprache.

Die Post-Kollaps-Gesellschaft
Wie wir mit viel weniger viel besser leben werden – und wie wir uns heute schon darauf vorbereiten können.
Johannes Heimrath
Scorpio Verlag, 2012, 336 Seiten
ISBN 978-3942166782
19,95 Euro

weitere Artikel aus Ausgabe #17

Photo
von Jochen Schilk

Archäologie und Macht (Buchbesprechung)

Von George Orwell stammt die griffige Formel: »Wer die Vergangenheit beherrscht, kontrolliert die Zukunft. Und wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.« So mag sich erklären, warum seit langer Zeit ein heftiger Streit darüber entbrannt ist, ob wir

Gerechtigkeit & Friedenvon Friederike Habermann

Aneinandergekettet

Wir waren kaum vor Anker gegangen in Royal Bay, als eine große Anzahl Eingeborener von ihren Kanus auf das Schiff stiegen und Kakaobohnen etc. mit sich brachten; diesen schienen sie viel Wert beizumessen«, notiert Kapitän James Cook im April 1769 in sein Tagebuch, als er zum ersten

Gesundheitvon Vera Kalitzkus

Mein Tod, dein Leben?

Im Herbst 1992, als ich während meines Studienjahrs in den USA den Antrag für einen kalifornischen Führerschein ausfüllte, ging es mir ähnlich wie vielen Menschen heute, wenn sie Post von ihrer Krankenkasse erhalten: Ich wurde aufgefordert, mich zu meiner Haltung zur

Ausgabe #17
Gewalt

Cover OYA-Ausgabe 17
Neuigkeiten aus der Redaktion