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Ich hänge im Triolengitter (Buchbesprechung)

von Farah Lenser, erschienen in Ausgabe #15/2012
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Liebe auf den ersten Blick: Eine schicksalshafte Begegnung auf einer Straße in Köln im Jahr 1957 ist der Beginn einer künstlerischen Vermählung zwischen Mary Bauermeister und Karlheinz Stockhausen – letzterer schon damals ein bekannter Komponist elektronischer Musik, sie eine junge Malerin, die mit neuen Kunstformen experimentiert.
Es ist Nachkriegszeit: Der Nationalsozialismus hatte moderne Kunst als entartet diffamiert; jetzt drängen junge Künstler auf eine Veränderung der Gesellschaft, stellen alle Regeln in Frage. Auch in der Musik hört man nun andere Töne; in Köln treffen sich Avantgardekünstler wie John Cage oder Nam June Paik, der mit seinen wilden Performances rund ums Klavier und später auch als Videokünstler weltberühmt wurde. Das Atelier in der Lintgasse 28 wird zum Labor zeitgenössischer Kunst und Neuer Musik. Mary Bauermeister lädt Musiker, Bildhauer, Maler und Schriftsteller zu Experimenten ein, einer »Art informel« ohne festen Formen. Alles ist im Fluss – mit ihr beginnt die europäische Fluxusbewegung.
Karlheinz Stockhausen umwirbt die begabte, schöne Künstlerin, die sich gegen die Liebe zu einem verheirateten Mann sträubt. Doch sie entkommt dem Triolengitter nicht: Die neue Liebe wird eine Liebe zu Dritt, die Stockhausens Frau Doris und die vier Kinder aus dieser Verbindung einbezieht. Erst 1967 heiraten Kama und Maka – so die Kürzel in ihrem Ehering – in San Francisco, ihre beiden Kinder Julika und Simon waren da schon geboren.
Das Buch ist eine Hommage an die Liebe und das Leben: Vier Jahre nach dem Tod von Karlheinz Stockhausen erinnert sich Mary Bauermeister an die gemeinsame Zeit mit dem »größten Musikgenie des 20. Jahrhunderts«, beschreibt ihre Begegnungen mit zeitgenössischen Künstlern wie Duchamps, Miró, Chagall und Leonard Bernstein. Sie selbst feierte als bildende Künstlerin in Amerika große Erfolge und wird gerade wieder in Bonn mit einer Retrospektive geehrt. Mary Bauermeister blickt zurück mit einer gewissen Wehmut, denn sie beendete die enge Symbiose und Ehe mit Karlheinz Stockhauses 1973, um »ihre eigene Biografie« zu leben. Mit dem Komponisten David Johnson und dem israelischen bildenden Künstler Josef Halevi verbinden sie ihre Töchter Esther und Sofie.
Die tiefe Verbundenheit und künstlerische Zusammenarbeit mit Karlheinz Stockhausen hatte jedoch Bestand, Mary Bauermeister entwarf auch Bühnenbilder und Kostüme für seine Werke. In der Oper »Momente« hat Stockhausen die Figuren Kama und Maka verewigt: »Denn die Liebe ist stärker als der Tod« singt dort der Chor.
Ein großartiges Buch über eine inspirierende Künstlerehe, die Kunst- und Zeitgeschichte eines halben Jahrhunderts und die ewige Liebe.


Ich hänge im Triolengitter
Mein Leben mit Karlheinz Stockhausen.
Mary Bauermeister
Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann, 2011
336 Seiten
ISBN 978-3570580240
21,99 Euro

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