von Sylvia Buttler, erschienen in Ausgabe #14/2012
Um es vorweg zu sagen: Dieses Buch zu lesen, macht nicht wirklich Spaß. Es räumt so radikal mit unserem Naturbegriff auf, dass sich beim Lesen massive Ent-Täuschung breitmachen kann. Zu gerne möchte man glauben, dass für den Naturschutz viel getan wird. Aber Peter Wohlleben ist konsequent in seinem Verständnis von ursprünglicher Natur. Gleich die ersten Seiten provozieren mit der Aufforderung, sich im Amazonasgebiet riesige Viehherden und Zuckerrohrplantagen vorzustellen mit dem Hinweisschild: »Willkommen im Naturschutzgebiet Amazonasweiden!« Nichts anderes finden wir in Deutschland in zahlreichen Naturschutzgebieten wie zum Beispiel der Lüneburger Heide vor: menschengemachte Landschaft als Naturschutzprojekt. Mit der ursprünglichen Natur, nämlich dichten Buchenwäldern, die das Land einst prägten, habe das alles nichts zu tun. Wenn wir diese Landschaften als schützenswert einstufen, dann bitte als »Kulturlandschaft«, also vom Menschen und seinen Weidetieren geschaffen. Die Einsicht, dass das, was mit viel Aufwand geschützt wird, wenig mit der Handschrift der Natur zu tun hat, ist schmerzhaft. Aber folgerichtig. Auch mit den Jägern und Anglern geht der Autor wie schon in seinem Buch »Wald ohne Hüter« hart ins Gericht. Ihre Betätigung sei nicht mehr als eine Freizeitbeschäftigung unter dem Deckmantel des Naturschutzes, die erheblichen Einfluss auf die Beschaffenheit unserer Wälder und deren Bewohner ausübe. Zu hohe Wildbestände sowie Bekämpfung von Wildkatze und Wolf als Beutekonkurrenten sind die Folge. Angler werfen immer noch den Fisch nach einem obligatorischen Foto verletzt zurück ins Wasser. Jagen und Angeln sind dank Lobbyarbeit sogar in stark geschützten Gebieten erlaubt. Auch Landwirte und Naturschutzverbände tragen statt zum Naturschutz zur Vernichtung der Natur bei. Vielerorts heißt Landwirtschaft gleichzeitig Umweltverschmutzung, und Mitarbeiter von Naturschutzverbänden zeichnen sich nicht immer durch Kenntnis der Materie aus. So werden Tiere geschützt, die in Deutschland gar nicht heimisch und in ihrem Ursprungsland auch nicht gefährdet sind. Über einige Thesen lässt sich streiten, die Radikalität seiner Parteinahme für die ursprüngliche Natur ist gewollt provokativ. Aber eines erreicht der Autor sicher: Nachdenken über die Natur, so wie sie mal war und wie sie heute sein darf. Und ein wacheres Auge für die Schutzmaßnahmen, die oft nicht mehr sind als Gewissensberuhigung. Denn auch beim Naturschutz gilt: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.
Naturschutz ohne Natur Von den Grenzen der Umweltpolitik. Peter Wohlleben Wjs-Verlag, 2009 149 Seiten ISBN 978-3937989501 18,00 Euro