Gesundheit

Ich traf eine Entscheidung

Borreliose ist in Deutschland weitverbreitet und kann eine Vielzahl verschiedener Symptome bis hin zu chronischen Beschwerden auslösen. Grit Scholz sprach mit Alexander Süßmuth über seinen persönlichen Weg aus einer scheinbar ausweglosen Situation.von Grit Scholz, Alexander Süßmuth, erschienen in Ausgabe #14/2012
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Alexander, wie kam es zu deiner Borreliose?

Mich hatte beim Sensen eine Zecke am Unterschenkel gebissen. Da ich an Zecken gewöhnt war, dachte ich überhaupt nichts Schlimmes dabei. Es bildete sich jedoch eine kreisrunde Entzündung, die ich vier Wochen lang zu ignorieren versuchte, bis ich zu einer Heilpraktikerin ging, die darin Borreliose erkannte und mir eine Nosode herstellte. Auf keinen Fall wollte ich Antibiotika nehmen, weshalb ich auch nicht zum Arzt gegangen bin.

Wie hat sich die Krankheit dann weiter entwickelt, denn sie kam ja nicht zum Stillstand … 

So genau weiß das wohl niemand. Ich bekam immer wieder Schübe mit Symptomen, wie Schmerzen in den Gelenken, Schwäche und Kopfschmerzen. Jedesmal wurde mein Blut untersucht, und ich musste Antibiotika nehmen, manchmal im Krankenhaus am Tropf, manchmal als Tabletten. Die Abstände zwischen den Schüben wurden immer kürzer. Zum Schluss waren es nur noch ein bis zwei Wochen, die ich zwischendurch halbwegs beschwerdefrei war.
Ich wurde zu sämtlichen Borreliose­spezialisten überwiesen, und jeder sagte etwas anderes. Schließlich hatte ich das Gefühl, dass keiner sich wirklich auskennt, und verlor vollkommen das Vertrauen in Hilfe von außen. Worin sich alle einig waren, war, dass ich die Sache anfangs zu lange hingeschleppt hatte, wodurch sich die Borrelien im ganzen Körper ausbreiten und einkapseln konnten. Hätte ich sofort Antibiotika genommen, wäre das angeblich nicht passiert.

Hieß die Diagnose für dich also »unheilbar krank«?

Ja, so könnte man das sagen. Es machte mir niemand mehr Hoffnung, sondern man erklärte mir, dass ich damit leben müsse, solange es noch ginge. Ich fühlte mich völlig ausgeliefert – den Borrelien in mir und den Medizinern. Dieses Gefühl der Ohnmacht zermürbte mich am meisten. Natürlich informierte ich mich überall über Borreliose, doch die Informationen waren so widersprüchlich. Es war zum Verzweifeln.

Wie kamst du dann aus dieser Verzweiflung wieder raus?

Ich war wieder im Krankhaus, und es wurden Borrelien im Nervenwasser gefunden. Der Weg zum Gehirn war also offen. Doch dann las ich in einer Zeitschrift, dass Borrelien nur dann Öffnungen im Immunsystem fänden, wenn der Mensch sich emotional in einem ausweglosen Zustand befinde. Da klingelte es in mir, nein, es donnerte regelrecht. Und ich erinnerte mich an den Zeitpunkt des Zeckenbisses. Damals steckte ich in einer mir vollkommen ausweglos scheinenden Lebenssituation, die sich noch nicht verändert hatte. Im Gegenteil – es war nun die Krankheit mit ihrer Ausweglosigkeit dazu gekommen. Also doppelte Ausweglosigkeit.
Und plötzlich sah ich die Lösung. Ich musste die Ausweglosigkeit in meinem eigenen System, in meinem Leben beenden. Die Borrelien werde ich vielleicht nie los, sie sind im Körper und kapseln sich dort ein, doch sie werden nur dann aktiv, wenn das Immunsystem durch Ausweglosigkeit »Löcher« bekommt. Ich entschied auf der Stelle, das Krankenhaus zu verlassen und malte mir aus, wie ich meine Borrelioseunterlagen, die schon einen ganzen Ordner füllten und die ich gut aufbewahren sollte, in einem Feuerchen verbrennen würde.

Du hast also einfach auf eigene Faust das Krankenhaus verlassen?

Richtig, das war unglaublich herrlich. Die Ärzte waren entsetzt, und ich war voller neuer Energie. Ich unterschrieb meine Selbstentlassung, nahm auch alle Papiere mit und verbrannte sie. Danach fühlte ich mich wirklich befreit, und es ging mir schlagartig körperlich besser. Am Feuer traf ich noch eine zweite Entscheidung, die meine ausweglose Lebenssituation veränderte. Nach dem Motto: Verlasse alles, und du findest alles. Und plötzlich fühlte ich mich frei – jenseits von ausgeliefert.

Wie ging es dir danach, und wie geht es dir heute?

Ich erholte mich schnell. Nach einem halben Jahr fühlte ich mich so gesund wie früher. Später bekam ich noch zwei deutliche Schübe, die mir auch Angst machten und mich kurz an meiner Heilung zweifeln ließen. Doch ich erkannte, dass ich mich wieder innerlich ausweglos fühlte, weil etwas in meinem Leben nicht stimmte. Und nur ich selbst konnte und musste daran etwas ändern. Plötzlich erschien mir die Krankheit als ein wunderbarer Helfer und Wachmacher für meine inneren Strukturen.
Heute habe ich das innere Lauschen so gut gelernt, dass ich seit drei Jahren keine Schübe mehr hatte, weil ich den leisesten Anflug von Ausweglosigkeit und innerer Verzweiflung erkenne und wieder auflöse, bevor mein Immunsystem »Löcher« bekommt. 

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