Seit über zehn Jahren ist Martin Huth umweltpolitisch in Darmstadt unterwegs. Sein besonderes Anliegen ist die Verkehrswende.von Sara Mierzwa, erschienen in Ausgabe #31/2015
Martin sitzt im grünen Wollpulli auf dem Sofa seiner Zwei-Zimmer-Wohnung in Darmstadt. Auf dem Tisch liegen Bücher – »Denkfehler Wachstum« und »Virus Auto« –, daneben die Kamera, mit der er seine Aktionen dokumentiert.
Im Rucksack und auf seinem Fahrradanhänger kann er einiges verstauen: Flyer, Unterschriftenlisten, Klapptische und Megafon. Bricht er zu größeren Aktionen auf, leiht er sich den Transporter einer Carsharing-Gruppe. Letzten Sommer hat er das Motorfahrzeug gebraucht, um einen Marktstand mit Lebensmitteln aufzubauen. Schilder zeigten den Kunden, wieviele Kilometer das Gemüse unterwegs war. Das nächste Mal wird Martin den Transporter buchen, um einen Gehwegsimulator zu transportieren: einen immer schmaler werdenden Gang, der zeigt, wieviel Platz bleibt, wenn Autos den Bürgersteig zuparken. Aber zur Organisation überschaubarer Ereignisse – etwa das Picknick auf einer Parkplatzfläche zum globalen »Park(ing) Day« im September – nutzt er nur Muskelkraft. Seit über zehn Jahren richtet sich Martin mit seinen Aktionen an Bürgerinnen und Bürger ebenso wie an die Politik. Um bessere Unterstützung von der Stadt zu erhalten, ist er in der Klimaschutzgruppe der Agenda 21 aktiv. »Das hat Vorteile bei Genehmigungsverfahren, zum Beispiel wenn ich Plakate aufhängen möchte. Die Stadt stellt auch Räume für Veranstaltungen zur Verfügung oder unterstützt bei der Öffentlichkeitsarbeit.« Martin lacht: »Seit Darmstadt offizielle Fair-Trade-Stadt ist, werden bei den Beiratssitzungen der Agenda-21-Gruppen auch Vollkornbrot und Obst serviert.« Bei diesen Treffen kommen vierteljährlich Vertreterinnen und Vertreter der zehn Agenda-Themengruppen von Darmstadt zusammen und stellen den Stadtverordneten ihre Ideen vor – eine gute Gelegenheit, um sich mit anderen Aktiven zu vernetzen. Martin hat dort schon spannende Interviewpartner für seine Radiosendung »Global denken – lokal handeln« beim Bürgerradio »RaDar« kennengelernt. Als Agenda-Mitglied kann Martin auch zweimal im Jahr am »Runden Tisch Radverkehr« teilnehmen. »Da werden von der Stadtverwaltung neue Projekte vorgestellt, zum Beispiel geplante Fahrradstraßen, und wir geben dazu Rückmeldungen. Ich habe letztes Mal auf gefährliche Kurven hingewiesen.« Es ist Martin ein besonderes Anliegen, die Autos von den Gehwegen verschwinden zu lassen. »Ich finde, der Bürgersteig sollte für die schwächsten Verkehrsteilnehmer – Fußgänger, Rollstuhlfahrer und Kinderwägen – frei sein. Einen Monat lang habe ich selbstentworfene Flyer, die wie Strafzettel aussehen, an gehwegparkende Autos geheftet. Die Presse berichtete neutral, viele Anwohner haben sich aufgeregt, und dann kam ein Brief von der Stadtverwaltung, in dem ich aufgefordert wurde, damit aufzuhören. Also habe ich die Aktion eingestellt, denn ohne die Unterstützung der Stadt ist sie sinnlos.« Nicht alle seine Versuche, mit der Politik zusammenzuarbeiten, sind erfolgreich. »Das ist wie beim Schachspielen«, meint Martin. »Manchmal verliere ich Figuren, manchmal gewinne ich das Spiel. Wichtig ist, sich mit anderen Organisationen zu vernetzen – alleine bleibt man immer der Hanswurst, wird ignoriert oder belächelt.« Umweltorganisationen, die Allgemeinen Studentenausschüsse (AStA) oder die Kirchengemeinden sind seiner Erfahrung nach vielversprechende Kooperationspartner. Kreative Protestaktionen hält Martin für wichtig, ebenso aber auch Engagement in den bestehenden Foren für politische Mitbestimmung. Seit drei Jahren können die Darmstädter im Rahmen eines Bürgerhaushalts Vorschläge machen, wo Kosten eingespart und welche Projekte umgesetzt werden sollen. Bisher machen rund 200 Personen mit. »Bei der letzten Befragung kamen ein paar schöne Vorschläge: ein Pilotprojekt für besseres Essen in städtischen Kitas, ein Spielplatz für unter Dreijährige oder die Idee, Sponsoren für öffentliche Trinkwasserbrunnen zu finden. Verwirklicht wird leider vor allem, was wenig kostet. Meine Idee, für das Gehwegparken Strafe zu verlangen, lief ins Leere. Autos haben in dieser Welt immer noch Vorrang«, meint Martin. Misserfolge schrecken ihn nicht ab. »Wer etwas ändern will, muss bedenken, dass viele Menschen Unterschiedliches wollen. Politik heißt für mich, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Stadt zusammen gestalten.« Es wäre gut, wenn es weniger Hürden dafür gäbe: Ein Wahlrecht ab 16 Jahren und eine niedrigere Zustimmungsquote bei Bürgerentscheiden könnten helfen. Demnächst plant Martin einen ökologischen Stadtrundgang und ein Tausch-Café – und er hofft, neben den vielen Aktionen noch genug Zeit zum Vatersein zu haben. •