Vom Traum, die Kraft der »Ents« zu wecken.von Lara Mallien, erschienen in Ausgabe #32/2015
Lea Hinze liebt die Geschichte vom »Herrn der Ringe«, diesen starken, modernen Mythos. Es gebe darin kein klar definierbares Böses im Außen; alle müssten zu jeder Zeit entscheiden, auf welcher Seite sie stehen, erklärt sie.
Ihre Lieblingsszene spielt im Fangorn-Wald, wo sich zwei Hobbits verirren und schließlich den »Ents« – Baumwesen aus grauer Vorzeit – begegnen. Die Hobbits versuchen, die Ents zu überzeugen, in die tobende Schlacht um Isengard einzugreifen, doch die wollen sich in die Politik der Menschen und Elben nicht einmischen. Schließlich gelingt es den Hobbits, den ältesten der Ents aus dem Wald zu locken und ihm die Verwüstung durch die Schlacht zu zeigen. »Das Entsetzen, das der Ent empfindet, setzt spontan den ganzen Wald in Bewegung«, erzählt Lea die Geschichte nach. »Dieser Urkraft hält nicht einmal die Ork-Armee stand. Genau diese Energie wollte ich im Januar auf die Agrarwende-Demo ›Wir haben es satt!‹ holen. Wenn die Ents kommen, erhält die Geschichte im Herrn der Ringe dieses Drehmoment, dass doch noch alles gut werden kann. Die starken Verbündeten aus dem Wald machen Mut.« Lea, die in der Gemeinschaft »Schloss Tonndorf« lebt, studiert Kunst an der Bauhaus-Universität in Weimar. Der Auftritt der Ents sollte eine Semesterarbeit werden. Die Themenstellung der Uni war offen: »Wir sollten zu dem Motto ›Trans-it‹ arbeiten. Zwar war damit Kunst im internationalen Austausch gemeint, aber das Thema ließ sich auf Veränderungsprozesse jeglicher Art beziehen. Meine Umsetzung war eine Reise der Ents von Mittelerde nach Berlin.« Doch wie würden sich die scheuen Wesen, die sich in der Regel in einem tiefen Baumschlaf befinden, anlocken lassen? Lea schrieb im Programm von Schloss Tonndorf ein Seminar mit einem harmlos anmutenden Titel aus: »Alles nur Gebüsch? Workshop zur Bedeutung der Hecken für die Artenvielfalt«. Ein buntes Volk aus Mitteleuropa meldete sich an. Die Seminargruppe unternahm einen Ausflug in die von industrieller Landwirtschaft geprägte Umgebung von Schloss Tonndorf und begann mit einer Bestandsaufnahme von Rückzugsorten für Baumgeister. Wo gibt es noch Hecken, was wächst darin und was ist ihre Bedeutung für das ökologische Gleichgewicht? Eine Wildnislehrerin erklärte die Heilwirkungen der Gehölze, Lea referierte Erkenntnisse aus dem Weltagrarbericht über die Vorteile einer kleinteiligen Landwirtschaft. Die letzten Tagen des Seminars waren der künstlerischen Umsetzung des Themas gewidmet. Dafür hatte Lea in Second-Hand-Läden jede Menge Material besorgt. »Alte Stoffe, kaputte Kleider und Fahrradschläuche, ausgediente Spielzeugkisten – fast nichts Neues kam zum Einsatz. Vor uns lag eine große Kreativtheke. Es ist großartig, gemeinsam Kostüme zu nähen! Da lässt sich die eine von einem spannenden Stoff inspirieren, ein Zweiter macht weiter, die Dritte setzt noch eins oben drauf.« Schließlich waren vier Stelzen-Kostüme entstanden, durch die sich die Gegenwart der Ents auf der Demo manifestieren sollte. Die Stelzenläufer entschieden, ihre Identität nicht durch Spruchbänder zu erklären. »Es war schön, zu erleben, dass viele Menschen uns spontan erkannt haben«, erzählt Lea. »›Na sowas, die Ents sind da!‹, hieß es immer wieder.« Ob die Leute auf der Demo etwas von der unbändigen Kraft der lebendigen Bäume gespürt haben? Lea und ihre Mit-Ents haben sich jedenfalls bemüht, sie in alle Richtungen hin zu versprühen. Sie wollen das auch in Zukunft auf verschiedenen Veranstaltungen tun und freuen sich, wenn die Ents durch weitere Stelzenläufer Zuwachs bekommen. •