Titelthema

Gut gebunden

Altes Handwerk in jungen Händen: Zu Besuch in einer Böttcherei.
von Maria König, erschienen in Ausgabe #33/2015
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© Böttcherei Götze

Wer in Dresden-Leubnitz der vielbefahrenen Dohnaer Straße folgt, kann leicht das winzige, schwarze Schild mit der weißen Frakturaufschrift »Böttcherei Götze. Seit 1889.« übersehen. Versteckt hinter einem Wohnhaus und alten Bäumen finden sich Laden und Werkstatt des kleinen Familien­betriebs, der letztes Jahr sein 125-jähriges Bestehen in siebter Generation feierte.
Ein Böttcher, auch Küfer, Binder, Büttner oder Schäffler genannt, fertigt Behälter und Gefäße aus Holz, indem er Holzstäbe – sogenannte Dauben – mit hölzernen oder eisernen Reifen zu einem Hohlkörper zusammenfügt. Die Grundtechnik entstand bereits vor 2000 Jahren im keltischen Raum. Erste Fässer waren mit Weiden- und Haselruten gebunden. Das Handwerk verbreitete sich schnell über ganz Europa und erlebte eine erste Hochzeit im 16. Jahrhundert, als Barockfürsten sich mit dem Bau von Riesenfässern überboten. Mit Beginn der Ölförderung im 19. Jahrhundert entstanden zunächst Fabriken und Maschinen zur industriellen Fassherstellung, während neue Materialien wie Edelstahl und Kunststoff die Holzgefäße in der Nachkriegszeit langsam zum Nischenprodukt werden ließen.
»Gegenwärtig entwickelt sich wieder ein Bewusstsein für gute Handwerksarbeit, und die Akzeptanz von höheren Preisen steigt,« sagt der 28-jährige Rainer Götze, der den Familienbetrieb im letzten Jahr zusammen mit seinem Schwager Jost Arnhold und seiner Mutter übernommen hat. In dem kleinen Verkaufsraum der Böttcherei gibt es verschiedene Gefäße – Wannen, Pflanzkübel, Fässer und Eimer – zu entdecken. Dass die aus Dauben zusammengefügten Behälter dicht sind, verdankt sich dem Umstand, dass feuchtes Holz quillt. Ein trockener Eimer oder ein trockenes Fass werden undicht. Früher kannte man diese Eigenschaften und lagerte Waschtröge in feuchten Kellern. »Heute muss ich davon ausgehen, dass die von mir gefertigten Badewannen in beheizten, trockenen Bädern stehen und die Menschen nicht mehr wissen, wie man einen Reifen anschlägt. Also verwende ich anstelle von Reifen mit Nieten Schraubreifen, verleime die Dauben und baue an strategisch günstigen Stellen Dehnfugen ein. Der junge Handwerker lacht: »Die Technik passt sich der Zeit an.«

Holz schmeckt und spricht
Während einige Böttchergefäße in der Gegenwart ganz neu gedacht werden müssen, besinnt man sich an anderer Stelle auf die Qualität traditioneller Produkte. So erlebt gerade das Barrique-Fass für die Weinherstellung eine Renaissance. »Lange wünschten sich die Kunden Einheitsweine. Jede Flasche einer Sorte sollte gleich schmecken, und Wein reifte in Edelstahltanks. Heute reift guter Wein wieder im Holzfass, das gibt ihm eine eigene Geschmacksnote, und weil das atmungsaktiv ist, kann er sich entfalten«, lerne ich von Rainer Götze.
Bei Rotwein entscheidet auch der Grad der Toastung des jeweiligen Fasses über den Geschmack. Dafür wird inmitten des noch bodenlosen Fasses ein Feuer entzündet, das die Innenwände schwärzt. Ein solches bodenloses Fass mit leichter Toastung bestaune ich auf dem Innenhof der Böttcherei, wo sich mächtige Baumstämme und Türme von Dauben stapeln. ­Rainer hebt einen Stab von einem Stapel, dreht ihn in den Händen und erinnert sich lächelnd an die Unbeholfenheit seines Praktikanten mit dem Material. Ihm selbst war es ähnlich ergangen, als er vor drei Jahren mit der Ausbildung zum Böttcher begann.
Was erzählt ihm die Daube in seinen Händen? »Nun, die Graufärbung auf der Oberseite sagt mir, dass das Holz zu lange in der Sonne gelegen hat und so für meine Arbeit unbrauchbar geworden ist.« An einer anderen zeigt er mir die Faser- und Markstrahlverläufe, die entscheiden, ob ein Stab Feuchtigkeit von außen abhalten kann und somit für die Fassherstellung geeignet ist. Rundhölzer müssen auf bestimmte Weise geschnitten werden, damit das hochwertige Böttcherholz entsteht. Derzeit machen Rainer und Jost diese Arbeit selbst; für die Zukunft wollen sie sich ein Sägewerk suchen, das den besonderen Zuschnitt leisten kann.
Sein Baumaterial erwirbt Rainer auf Holzauktionen. Daneben fährt er mit Förstern in die Wälder und wählt geeignete Baumstämme aus. Dort muss er die Zeichen der Landschaft deuten: Wie ist der Boden beschaffen? Ist er sehr feucht, ist der Baum womöglich zu schnell gewachsen. Steht der Baum auf einem Berg, am Hang oder im Tal? Im Tal könnte es modrig sein und das Holz übernässt. Am Hang auf kargem Boden finden sich eher geeignete Bäume.
Wie schon sein Vater Rolf ist auch Rainer der einzige Sohn der Familie. Dass er einmal den Familienbetrieb übernehmen würde, hat er lange Zeit nicht geglaubt. »Als Kind wollte ich Rockstar oder Feuerwehrmann werden.« Nach der Schule begann er ein Ökologiestudium; im dritten Semester öffnete ihm die Frage, was nach dem Studium kommen solle und wie er in Zukunft wirklich leben und arbeiten möchte, die Augen für die Schönheit und Sinnhaftigkeit des väterlichen Berufs. Seinem Schwager, der Geografie studiert, ergeht es ähnlich. »Es war eine Grundsatzentscheidung. Wir hatten das Gefühl, dass sich so ein Betrieb zu zweit stemmen lässt.«

Erfahrungsräume
Seinen Ursprung hat der Familien­betrieb Götze im Erzgebirge. Arbeitsmangel zwang die Familie in den 1880er Jahren, nach Dresden zu ziehen. Die Werkstatt, die den Betrieb seit 1938 beheimatet, bietet ein urig-gemütliches, buntes Bild aus Fässern, Kübeln, Werkbänken, Handwerkzeugen und Maschinenungetümen, von denen einige schon 100 Jahre alt sind. Über allem liegt eine feine Staubschicht. Rainer zuckt mit den Achseln: »Mittlerweile werden viele Gefäße geschliffen. Mein Opa hat weder gehobelt noch geschliffen, aber heutzutage erwarten die Kunden vor allem auch ästhetisch ansprechende Produkte. Die Funktionalität überlassen sie mir, sie bewerten vor allem die Optik.«
Die Grundwerkzeuge und größter Schatz einer Böttcherwerkstatt sind die sogenannten Model, eine Art Schablone, mit deren Hilfe die Dauben für bestimmte Fassmaße zurechtgesägt werden können. Die Herstellung dieser Werkzeuge ist Teil der Böttcherausbildung. Dass sich jemand ohne Ausbildung selbständig dieses Handwerk aneignet, hält Rainer prinzipiell für möglich: »Vermutlich wäre es ein langer Weg über Versuch und Irrtum. Ein gutes und dichtes Gefäß herzustellen, erlernt man vor allem durch Erfahrung – etwa wenn ich durch Wasserdampf oder ein Feuer, das ich immer wieder benässe, die Dauben eines Spreizrumpfs für ein Fass biegsam mache: Warte ich zu lange, wird das Holz feuerstarr, arbeite ich zu schnell, ist es eventuell noch nicht biegsam genug.«
Neben den Handwerkzeugen sind Maschinen wie die Fasskröse seit den Zeiten der Industrialisierung aus keiner Böttcherwerkstatt mehr wegzudenken. Zwar kann jeder Böttcher seine Gefäße auch heute noch vollständig von Hand herstellen, die Maschinen erleichtern und beschleunigen jedoch einige Arbeitsschritte.
Die Entscheidung, die Firma von Rolf Götze weiterzuführen, fällten Rainer und Jost gerade noch rechtzeitig. Als der Generationenwechsel in der Firma anstand, hatten beide gerade genug Erfahrung, um den Familienbetrieb zu erhalten. Vieles lernte Rainer an der Seite seines Vaters, nun bildet er sich selbstständig weiter. Aktuell ist die Erweiterung des Sortiments um Bierfässer geplant, um mit Freunden zu kooperieren, die in Dresden eine Brauerei aufbauen wollen. Die entsprechende Maschine wartet schon auf ihren Wiedereinsatz.
»Um so ein Handwerk auszuüben, musst du arbeiten wollen«, erklärt er mir zum Abschied. »Es ist kein Beruf, sondern eine Berufung. Ich tue das, weil ich gerne mit Holz umgehe, weil mir die Arbeit Spaß macht und es schön ist, zu etwas Seltenem befähigt zu sein. Ich freue mich, wenn dabei etwas Gutes entsteht.« •


Maria König (29) studiert Deutsch und Biologie für das Lehramt in Berlin, wo sie in einer Gemeinschaft lebt.

Zu den Fassmachern überlaufen?
www.boettcherei-goetze.de

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