von Matthias Fersterer, erschienen in Ausgabe #6/2011
Wer beim Absätzeflicken an die Schusterei und beim Dichten ans abflussdichtende Gewerbe denkt, liegt nicht ganz daneben, und auch, wer dabei an die Schriftstellerei denkt, ist nicht auf dem falschen Dampfer. Zwischen Schriftstellerei und Handwerk gibt es mehr Gemeinsamkeiten, als man zunächst meinen könnte: »Der Hans Sachs«, wie die Eselsbrücke für den Knittelvers erinnert, »der war ein Schuh-Macher und Poet dazu«, Literat Arno Schmidt bezeichnete sich selbst als »Wortmetz« und auch H. C. Artmann (1921 – 2000) hatte eine Schwäche für alte Zünfte und Gewerke.
In dreißig, jeweils einem anderen Handwerk gewid- meten Prosagedichten entwirft der Avandgarde- und Mundartdichter (»med ana schwoazzn dintn«) eine geschäftige Werkstattwelt, bei der man sich als Leser vorkommt, als würde man auf ein Miniaturdorf aus Zunfthäusern, Werkstätten und Ateliers blicken: Hier Schmiede und Bäckerei, dort Teekontor und Zeche, hier Metzgerei und Schreinerwerkstatt, dort Bürsten- binderei und Barbiersalon. Darin befinden sich winzig kleine Menschen, die geschäftig hobelnd, hämmernd, sägend, werkelnd, fegend, schneidend ihrem Tagwerk nachgehen und nach Beendigung desselben Wasser im Pfeiftopf aufsetzen, zum Speck ein Bier trinken oder melkenden Hirtinnen unter die Röcke gucken.
Derweil drechselt Meister Artmann mit sprödem Humor poetisch verdichtete Sätze zwischen Weisheit und Banalität, die sich nur einer zu schreiben getraut, der mit allen literarischen Wassern gewaschen ist – etwa dieser: »Wasserfälle sind bäche, die sich erfolg- los im fliegen versuchen, sie sind keine vögel« oder dieser: »Es gibt heute rippchen und kartoffelpüree, ja, und ein bier als bad für innen.«
Alles ist beispielhaft und sprichwörtlich in dieser Werkstattwelt: Es ist nicht irgendein Schmied, der dort schmiedet, es ist ein archetypischer Schmied, so wie auch all die anderen emsigen Figuren Archetypen sind. »Wie sollte bei so viel Sprichwortartigem der Zweifel aufkommen, es wäre nicht wahr?«, fragt Raoul
Schrott im Nachwort. – Wahr ist es sicherlich; dass es stimmt, hat niemand behauptet.
Fleiß und Industrie
H. C. Artmann
Jung und Jung, 2006,
79 Seiten
ISBN 978-3902497062
15,80 Euro