In ganz Europa vernetzen sich Initiativen, die sich um den Erhalt von Bauernhöfen und des zugehörigen Lands bemühen, indem sie Gemeingüter schaffen.von Maria König, erschienen in Ausgabe #35/2015
Ingrid und Fabian betreiben seit 2007 eine Ziegenkäserei in den französischen Rhône-Alpen. Damit sind sie eine von mittlerweile vier jungen Familien, die sich in dem 35-Seelen-Dorf Saint-Dizier en Diois im Departement »Drôme« angesiedelt und einen bäuerlichen Betrieb aufgebaut haben. Wenn heutzutage in einem beliebigen europäischen Land ein Kleinbauernpaar in den Ruhestand geht, gibt es oft keine Nachfolger. Nicht selten gibt es dann keine andere Möglichkeit, als das Land an einen der wenigen verbleibenden, weitgehend industrialisierten Landwirtschaftsbetriebe zu verkaufen. Vor allem in den südlichen und östlichen Ländern Europas, in denen es noch kleinbäuerlich geprägte Dörfer gibt, wirkt sich dies massiv auf die sozialen Zusammenhänge des ländlichen Raums aus. Dörfer werden entweder aufgegeben oder zu Rückzugsinseln für Zweitwohnungsbesitzer. Was ist in Saint-Dizier en Diois anders? Die dort lebenden Menschen haben beschlossen, die landwirtschaftliche Lebensweise in ihrem Dorf zu erhalten. Wann immer hier Hof und Land zum Verkauf angeboten werden, bringen sie alles über die Zukunftspläne der Bauern und Landbesitzer der Gegend in Erfahrung. Wenn sich niemand findet, der oder die den Hof weiterführen möchte, engagieren sich die Ansässigen für dessen solidarischen Erwerb, um ihn an junge Ökolandwirte zu verpachten. Dazu werben sie im ganzen Land Spenden ein. Überall in Frankreich finden solche Prozesse statt, maßgeblich unterstützt von der zivilgesellschaftlichen Organisation »Terre de liens« (»Verbindung zum Boden«). Sie sichert landwirtschaftliche Flächen für die ökologische Nutzung in Stiftungen und Genossenschaften und unterstützt damit eine junge Bauerngeneration, die Land nicht besitzen, sondern als Gemeingut pflegen und nutzen will. In ganz Europa ist es aufgrund hoher Grundstückspreise und eines harten Konkurrenzkampfs um Ackerland und Immobilien schwer für junge Landwirte, einen Hof zu erwerben. Deshalb beschloss Sjoerd Wartena, Gründer von Terre de liens, zu ähnlichen Initiativen in anderen europäischen Ländern Kontakt aufzunehmen und das Thema einer angemessenen und solidarischen Landfürsorge gemeinsam anzugehen.
Bewegungen in Europa Es ist jetzt fünf Jahre her, dass Peter Volz – selbst Mitglied der »Agronauten«, einer Forschungsgesellschaft für nachhaltige, regionale Agrar- und Ernährungssysteme – eine E-Mail von Sjoerd Wartena erhielt. Er erinnert sich: »Wir trafen uns zu einem ersten losen Austausch über die Organisationsplattform ›Agricultural and Rural Convention 2020‹, einer Initiative zur Vernetzung für ökologische und kleinbäuerliche Landwirtschaft in Europa. Später entstand im Rahmen eines EU-Projekts ein Netzwerk zwischen mittlerweile 15 Projekten aus 9 Ländern.« Vereint in der Frage guter Landfürsorge, sind Ausgangslage und Lösungswege in den einzelnen Ländern recht unterschiedlich. Im Vergleich zu Frankreich ist die Bewegung in Deutschland noch jung. Während die Initiativen hier häufig ohne Einbezug staatlicher Institutionen agieren, sind solche Stellen in Ländern Südeuropas als Kooperationspartner sehr wichtig. »Dass die Departements in Frankreich am Ausbau ländlicher Regionen und an einer angemessenen Landwirtschaft interessiert sind und die französische Bevölkerung noch über eine recht große Verbundenheit zur Landschaft als Kulturgut verfügt, macht einen Teil der bemerkenswerten Erfolgsgeschichte von Terre de liens aus«, schätzt Peter. In Belgien arbeitet »Terre-en-vue« (»Land in Sicht«) nach dem französischen Modell, während in England vor allem die Bildung für junge Landwirte im Bereich Agrarökologie im Vordergrund steht und Äcker von verschiedenen Trusts erworben werben. »Xarxa de Custòdia del Territori« (»Netzwerk zum Schutz des Landes«) organisiert in Spanien, insbesondere in Katalonien, Verträge zwischen Landbesitzern und öffentlichen Stellen, die nachhaltige Kriterien für die Landnutzung festhalten, während die »Rurbans« in den Pyrenäen neue Generationen von Schäferinnen und Schäfern ausbilden. In Osteuropa, wo prozentual die meisten Bauern unseres Kontinents leben und wo sie am stärksten von Landgrabbing bedroht sind, liegt der Fokus der Initiativen vor allem auf dem Bewahren und der Aufklärung über diese Zusammenhänge. So gilt es für die Organisation »Eco Ruralis«, den rumänischen Kleinbauern, die politisch zum Aufgeben und Verkauf ihrer Böden gedrängt werden, ein neues Bewusstsein für den Wert ihrer Arbeit zu geben. Initiativen in Litauen wollen die Verbindung von Stadt und Land stärken, um die Existenz der bäuerlichen Kultur nachhaltig zu sichern. Inzwischen sind aus dem Netzwerk all dieser Initiativen auch neue entstanden, zuletzt in der Tschechischen Republik. International bemühen sich die Akteure, dem EU-Parlament die Problematik des Landgrabbing nahezubringen. Ein wichtiger Schritt voran in der Netzwerkarbeit ist die neue Internetseite www.accesstoland.eu. »Es ist ein großes Verdienst von Sjoerd Wartena, dass er den Mut aufbrachte, sich konsequent für die europäische Vernetzung einzusetzen«, sagt Peter Volz voller Bewunderung für die unermüdliche Gestaltungskraft Wartenas. Der gebürtige Holländer ließ sich in den 1970er Jahren in Südfrankreich nieder und begann in den Bergen ein Leben als Landwirt mit Ziegen. Als wacher Beobachter verfolgte er, wie immer weniger Bauern zunehmend größere Flächen bewirtschaften, so dass die regionale dörfliche Kultur verlorenzugehen droht. Dass Land zur Ware geworden ist, bei dem der Preis darüber bestimmt, wem es gehört und wie es genutzt wird, wollte er nicht akzeptieren und gründete 2003 Terre de liens. Die Preise für Ackerland in Frankreich sind inzwischen um 40 Prozent gestiegen. Jede Woche geben mehr als 200 Kleinbauernhöfe auf, meist aufgrund von Druck durch die Agarindustrie. Nur 4,1 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche werden ökologisch bewirtschaftet – das reicht, ebenso wie in Deutschland, nicht einmal aus, um die Nachfrage nach Biokost im eigenen Land zu decken. Immerhin hat Terre die Liens inzwischen 147 Ökobäuerinnen und -bauern zu einem Hof verholfen. Solche Umstände werfen Fragen nach der Kultur auf. Peter Volz meint: »Es geht nicht nur um einen Strukturwandel oder um wirtschaftliche Entscheidungen, sondern um einen Kulturwandel. Wie schätzen wir Landschaft und bäuerliche Traditionen? Kleinteilige Landwirtschaft, Schönheit, Vielfalt, Ernährungssouveränität – all das ist entscheidend. Es geht um eine Art des Umgangs miteinander, die nicht vom Profitdenken gesteuert ist. Doch ohne reale Acker- und Weideflächen bleiben diese Fragen hohl. Wir brauchen Zugang zu Land für Agrarökologie!«
Bewegungen in Deutschland Peter Volz engagiert sich in der »Regionalwert AG«, die vor allem im Raum Freiburg aktiv ist. Gegründet 2006, unterstützt diese Bürgeraktiengesellschaft nicht nur Biohöfe, sondern Akteuere in der gesamten Wertschöpfungskette regionaler Nahrung. Sie fördert auch Verarbeitungsbetriebe wie die Trockenkirschmanufaktur »Troki« in Breisach, deren Aufbau unter marktüblichen Bedingungen nicht so einfach möglich gewesen wäre. Das Interesse an vollständigen Wertschöpfungskreisläufen vom Boden bis zum Vertrieb teilen auch die Gründer der »Ökonauten eG«, eine Genossenschaft für den Kauf von Land und dessen Weitergabe an Ökolandwirte in der Region Berlin-Brandenburg. Auf Initiative der Landwirtin Vivian Böllersen erwarben sie als erstes Projekt 4,4 Hektar Land in Velten und pflanzten einen Walnusshain, der sich in den nächsten Jahren zu einer extensiv bewirtschafteten, idyllischen Fläche entwickeln soll. Die erste nennenswerte Ernte wird einige Jahre auf sich warten lassen – gerade für solche langfristigen Projekte ist solidarische Finanzierung wichtig. Anfang diesen Jahres gegründet, ist die Ökonauten eG eine der jüngsten Pflänzchen der Bewegung für solidarischen Landkauf. Eine weitere Pflanze, die »BioBoden eG«, erblickte im April 2015 das Licht der Welt – nicht als Graswurzelprojekt, sondern gekeimt im Humus der ökologisch-ethischen Finanzinstitute GLS Bank, GLS Treuhand e. V. sowie der Stiftung Evidenz. Ich sprach mit einem Genossenschaftsmitglied. Bilal Alkatout ist weder Biologe oder Ökologe, noch kennt er sich im Detail mit den Problemen konventioneller Landwirtschaft aus, aber er meint: »In einer so hochtechnologisierten Gesellschaft, in der Autos bald in der Lage sind, von alleine zu fahren, erscheint es mir unwürdig, wie wenig wir auf die Qualität unseres Essens achten. Wir treten den Boden sozusagen mit Füßen.« Bisher hat die BioBoden eG über 700 Mitglieder gewonnen. Sie lassen sich darauf ein, dass ihre Anteile im Wert von jeweils 1000 Euro nicht verzinst werden, sondern ihr Ertrag anderer Natur ist. Drei Anteile entsprechen 2000 Quadratmetern – so viel Ackerland steht rechnerisch jedem Erdenbürger zur Verfügung. Die BioBoden eG übernimmt aufgebende Höfe und stellt junge Landwirte ein, um sie weiterzuführen. Außerdem hilft sie bestehenden Ökohöfen, ihr Land nicht zu verlieren oder sich sogar zu vergrößern, indem sie Flächen erwirbt und verpachtet. In dieser Mission ist auch die 2014 gegründete Kulturland eG aktiv. In der Gemeinschaftsbewegung ist der Gedanke des solidarischen Landkaufs seit Jahrzehnten verankert, und inzwischen entstehen auch in diesem Feld Organisationen, die mehr als die eigenen Projekte fördern. Die Stiftung der Gemeinschaft Tempelhof unterstützt inzwischen ein weiteres Gemeinschaftsprojekt in der Nähe von Kempten. Mit Roman Huber spreche ich über das Initialmotiv der Grund-Stiftung Schloss Tempelhof: »In einer solchen Rechtsform kann der Boden nicht mehr veräußert werden und bleibt damit dem Spekulationsmarkt entzogen. Für die Nutzung des Lands haben wir eine Genossenschaft gegründet – sie erwirbt Erbpachtrechte von der Stiftung, baut Häuser und bewirtschaftet das Land, aber es gehört ihr nicht. Grund und Boden sind ein Geschenk der Erde, sie gehören allen oder niemandem. Angemessen wäre, wenn alle so viel nutzten, wie ihnen entsprechend der verfügbaren Fläche und der Größe der Weltbevölkerung zusteht. Wer das überschreitet, muss mehr geben. In meiner schönsten, größten Vision gäbe es einen globalen Trust, der nach diesen Prinzipien wirkt. Stiftungen wie die unsere bilden eine Vorform dazu.«
Die Zivilgesellschaft ist gefragt Nicht nur die Mechanismen der industriellen Landwirtschaft, auch die Bodenversiegelung bedrohen heute die Lebensquelle Ackerland. Pro Tag wird in Deutschland eine Fläche von 72 Hektar neu versiegelt, deshalb ist wichtig, in der Stadt dem spekulativen Markt Boden zu entziehen. So hält es die »Stiftung trias«, die Baugrund für soziale und ökologische Wohnprojekte bereitstellt. Weder Wiesen noch Äcker müssen ihren neuen Bauprojekten weichen. Rolf Novy-Huy, der zwölf Jahre für die GLS Bank arbeitete, bevor er sich an der Gründung der Trias-Stiftung beteiligte, erzählt mir von einem eindrucksvollen Erlebnis zum Thema Bodenversiegelung: »Als ich noch bei der Bank arbeitete, kam ich in Kontakt mit einem Winzer, der seine Streuobstwiesen veräußerte. Auf dem fruchtbaren Land wurde ein Gewerbegebiet gebaut. Dass der gute Boden einfach mit einem Radlader beiseite geschoben wurde, konnte ich kaum fassen. Oft werden auch Ruinen stehengelassen, während auf der Wiese daneben neue Häuser entstehen. Wir sollten sparsam mit der Ressource Boden umgehen. Diese Perspektive ist manchmal auch für engagierte Menschen nicht leicht zu verstehen, wenn wir zu einem geplanten sozialen Bauprojekt auf einer Wiese Nein sagen.« Für das Umdenken, das eine solidarische Landfürsorge erfordert, findet René Tettenborn von den Ökonauten die treffenden Worte: »Partizipative Prozesse benötigen Zeit und Energie, sie gehen langsam voran, bedeuten anderes Wirtschaften. Einen ethisch-moralischen Umgang mit dem Boden haben wir verlernt und müssen ihn erst wiederfinden.« Trotz breit angelegter Kampagnen wie »Meine Landwirtschaft« sieht die Zivilgesellschaft in den sich ausbreitenden Agrarwüsten kein so großes Problem, dass ein Sturm der Entrüstung losbrechen würde und Initiativen für Landallmenden sich vor Zulauf kaum retten könnten. Nur breites Engagement aus der Zivilgesellschaft hätte die Kraft, den Wüsten blühende, reichhaltige und lebendige Landschaften entgegenzusetzen. Es ist höchste Zeit, Landwirtschaft auf viele Schultern zu verteilen und am Gemeinwohl auszurichten! Von Peter Volz erfahre ich, dass die Bauern, vor allen in ärmeren Gegenden Europas, im Schnitt sehr alt sind; viele werden in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand gehen. Junge Bäuerinnen und Bauern werden daher dringend gesucht, solidarische Betreibermodelle immer wichtiger. •
Maria König (29) lebt in Berlin, steht kurz vor dem Absprung aus dem Lehramtsstudium und engagiert sich in der Berliner Gemeinschaftsinitiative Taram.