Bodenwissenschaften und das Unbewusste (Buchbesprechung)
von Farah Lenser, erschienen in Ausgabe #37/2016
Das Phänomen ist bekannt: Ein forschender Wissenschaftler sucht nach einem Schlüssel zum Verständnis seiner Hypothesen – und plötzlich fällt ihm dieser im Traum zu. Das wohl bekannteste Beispiel ist die Entdeckung der Ringstruktur des Benzolmoleküls, die dem Chemiker August Kekulé mit dem alten alchemistischen Symbol der Uroboros-Schlange, deren Kopf den eigenen Schwanz beißt, im Traum erschien. Mit der vorliegenden Dissertation fragt der Autor Nikola Frederik Patzel nach der Bedeutung innerer archetypischer Bilder von Bodenwissenschaftlern für das Verständnis des Bodens und der Boden- und Agrarwissenschaften. Er verweist auf den lebendigen Boden als unser aller Lebensgrundlage und auf die unser seelisches Wohlbefinden stärkende Schönheit von Landschaft. Mit der naturwissenschaftlichen Entwicklung der letzten zwei Jahrhunderte hat sich seiner Meinung nach der Blick auf die Natur entmythologisiert; gleichzeitig schreiten Bodenvernutzung und -zerstörung voran. Patzel beklagt den Verlust eines ethischen Umgangs mit Natur, der – früher von mythischen und religiösen Vorstellungen getragen – heute mit Konzepten der nachhaltigen Bodennutzung nicht wirklich ethisch untermauert wird. Patzel ist selbst promovierter Bodenwissenschaftler und analytischer Psychologe; er arbeitet sozusagen als Person interdisziplinär. Seine Untersuchung des Geistigen in der Natur basiert auf der Jung’schen Tiefenpsychologie und geht von der Hypothese aus, »dass wir der lebendigen (berührenden) Symbole bedürfen, um nicht aus Gier und Getriebenheit die eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören«. Er zeigt, wie sich die neuzeitliche Naturwissenschaft mit der Entdeckung der chemischen Stoffe von der Idee einer »Mutter Erde« löst und stattdessen versucht, das System Boden-Pflanze-Luft nach analytisch messbaren Substanzen zu gliedern und zu verstehen. Die alchemistischen Vorstellungen einer Verbindung von Stoff und Geist scheinen damit überwunden, doch Patel zeigt, dass moderne Chemie »sozusagen hinterrücks mit religiösen Gefühlen und mythischen Phantasien aufgeladen« wird. Denn Innen- und Außenwelt des Menschen entsprechen einander – oder, wie Vandana Shiva es so treffend ausdrückt: »Monokulturen bewohnen erst den Geist und werden dann in den Boden überführt.« Wie dieser Transfer sich konkret gestaltet, zeigt Patzel nicht nur anhand historischer Beispiele wie der »Bedantini-Träume« aus dem 16. Jahrhundert, in denen durch die Umstände ihrer Geburt bestimmte Menschen im nächtlichen Traum um die »Ernte« kämpfen, sondern auch anhand eigener dissertationsbegleitender Träume. Das Buch ist eine äußerst spannende und inspirierende Lektüre, die jedoch höchste Konzentration erfordert!
Bodenwissenschaften und das Unbewusste Ein Beitrag zur Tiefenpsychologie der Naturwissenschaften. Nikola Frederik Patzel oekom, 2015, 220 Seiten ISBN 978-3865817266 24,95 Euro