Buchtipps

Die Welt der Commons (Buchbesprechung)

von Farah Lenser, erschienen in Ausgabe #36/2016
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Nach dem ersten Band der geplanten Commons-Trilogie »Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat« (2012) widmen sich die Autorinnen und Autoren im zweiten Band dem Prozess des Commoning, des Gemeinschaffens, und suchen nach Mustern des gemeinsamen Handelns. Dabei haben sich die Herausgeberinnen von dem wegweisenden Buch »Eine Mustersprache« inspirieren lassen, in dem der Architekt Christopher Alexander 1977 die Attribute von architektonischen Räumen identifizierte, die als lebendig wahrgenommen werden. Lebendigkeit ist bei der Suche nach Mustern des gemeinsamen Handelns eine zentrale Kategorie, wie es der Philosoph und Biologe Andreas Weber noch einmal ausführlich in seinem Beitrag zur »Poetik der Teilhabe für das Anthro­pozän« ausführt. Für ihn ist die Wahrnehmung der Wirklichkeit selbst eine Allmende als »vorübergehendes Ergebnis eines Tanzes in gegenseitiger Abhängigkeit und gemeinsamer Kreativität mit der Welt«.
Das Buch ist wie eine Musikkomposition strukturiert: Nach der Ouvertüre führen verschiedene Autorinnen in das Hauptthema ein; dabei wird der Begriff des Commoning auch mit dem von Ivan Illich geprägtten Begriff der Konvivialität in Beziehung gesetzt. Es folgen drei mit den Begriffen »Begründen«, »Gestalten« und »Verinnerlichen« überschriebene Themensätze, die jeweils durch ein Intermezzo miteinander verbunden sind, bevor das Buch nach 372 Seiten mit einem Finale schließt. Doch keine Angst! Man kann das Buch immer wieder zur Hand nehmen, an einer beliebigen Stelle aufschlagen und weiterlesen. Ich selbst fand meinen Einstieg über Rosa Luxemburg, die in ihrer »Einführung in die Nationalökonomie« einen englischen Staatsrat zitiert, der über »höchst merkwürdige Sitten« des Teilens und Tauschens in den Kolonien berichtet.
Auch der Ethnologe Étienne Le Roy bekennt, dass er 30 Jahre lang soziale Phänomene der gemeinsamen Bewirtschaftung von Grund und Boden in afrikanischen Ethnien vor dem Hintergrund einer ethnozentrischen Ideologie des Kolonialismus, aber auch mit den Kategorien der Entwicklungsvorstellungen der Moderne nicht wirklich erfassen konnte. Aus der Perspektive der Logik der Commons brechen die ­Ideenfundamente der westlichen Zivilisation – Staat, Recht, Markt, Nation etc – zusammen und erscheinen im interkulturellen Vergleich auch nur wie eine fremdartige Sitte. Gemeinsames Gestalten in Selbstorganisation und Freiheit in Verbundenheit entwickelte sich neu mit Open-Source Projekten wie Wikipedia. Diese Muster des Commonings entfalten sich in allen Bereichen der Gesellschaft, wie die 40 Beispiele in diesem Buch deutlich machen.
Eine spannende Forschungsreise!

Die Welt der Commons
Muster gemeinsamen Handelns.
Silke Helfrich, David Bollier, Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.)
transcript, 2015, 384 Seiten
ISBN 978-3837632453
19,99 Euro bzw. Open Access: http://kurzlink.de/Commoning

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