Titelthema

Der Dichter als Kundschafter

Poesie der Wildnisvon Dieter Halbach, erschienen in Ausgabe #5/2010
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Er vereint die neuen Pfade der Beat-Generation in Dichtung, Forschung, Meditation, Wildniswissen, Selbstversorgung, politischem Aktivismus und Gemeinschaftssuche in sich. In seiner Dichtung bilden gelebte Existenz und Wort eine Einheit.
»Die ›Selbstversorger‹ sind jene Dichter, die selbst an einem Ort leben, wo sie bleiben wollen, und die erkennen, dass ihre Dichtung eine nützliche Rolle im täglichen Leben ihrer Gemeinde spielt«, schreibt Gary Snyder über Seinesgleichen.
Geboren 1930, wuchs er in den Wäldern von Washington als Sohn eines Farmers auf. Frühe Begegnungen mit der Kultur der Ureinwohner und das Alleinsein in der Wildnis der Wälder und Berge führten zu seinem Interesse an naturnahen Kulturen. Er studierte Anthropologie und Literaturwissenschaften und machte zwischendurch eine erste lange Seereise. Statt ein elitäres Akademikerdasein zu fristen, ging er mitten ins Leben hinein: »Keiner von der Besatzung hat je gemerkt, dass ich die Universität besucht hatte.« Nach dem Hochschulabschluss arbeitete er als Holzfäller, Forstaufseher und Steinmetz. »Erziehung ist nur sinnvoll, wenn man dazu bereit ist, für die Entziehung ebenso viel Zeit aufzuwenden […] wieder mit Leuten in Berührung zu kommen, mit einfachen Dingen.«
In dieser Phase entstanden seine ersten Gedichte in einer direkten, ungeschönten Sprache. Eine andere Quelle seiner Dichtung ergab sich durch sein Studium der japanischen und chinesischen Sprache und des Buddhismus. Zusammen mit Allen Ginsberg, Jack Kerouac und anderen ist er ab 1955 in San Francisco am Entstehen der sogenannten Beat-Bewegung als Lebensform und literarischer Protestform beteiligt. Snyder ist in dieser Bewegung der schrägen Vögel, der Drogen und Exzesse eine besondere Gestalt: Diszipliniert, ernsthaft meditierend und studierend, sich selbst gesund ernährend, die Sprache der einfachen Leute sprechend – so wird er bald von seinen eigenen Leuten und darüber hinaus hoch geachtet. Ein beredtes Dokument dafür ist der Roman von Jack Kerouac »Gammler, Zen und hohe Berge«, in dem ihm sein Freund als Japhy Ryder ein Denkmal setzt.

Zen und Gemeinschaft
Es folgt Snyders erste Tramptour durch Japan und der Beginn seiner Lehrzeit im Zen-Kloster. Nach einer Weltumschiffung als Heizer und Maschinist setzt er von 1959 bis 1965 das Studium unter seinem Meister Oda Sesso Roshi fort. 1965 wurde er Dozent am Poetry Center in Berkley und vermittelte dort in einer schreibenden Werkstatt-Kommune seine Philosophie: »Man braucht nur eine Minute, um ein Gedicht zu schreiben. Aber mein ganzes Leben besteht darin, dem Lied zuzuhören.«
In Japan hatte er auf einer Vulkaninsel eine Gemeinschaft gegründet. Während jener Zeit notiert er: »Du gibst jemandem einen Pullover, und im nächsten Jahr siehst du denselben Pullover an zehn oder fünfzehn verschiedenen Leuten wieder«. Er kommt gerade rechtzeitig zurück in die USA, um »die Bäume und Gräser zur Rebellion gegen die Ausbeuterklasse aufzuwiegeln.« 1967 initiiert er das erste legendäre »Human Be-In« als »Gathering of the ­Tribes«, als Stammesversammlung der Gegenkultur in San Francisco.
»Ich habe erfahren, dass für meine ­Arbeit und mein geistiges Wachstum das Leben in einer Gemeinschaft wertvoller ist als das in einem Netzwerk Gleichgesinnter. Weil das Netzwerk einen darin bestärkt, sich wichtig zu nehmen, die Gemeinschaft aber nicht.« Ab 1970 lebt er mit seiner Familie und Freunden auf dem Land in Nordkalifornien und erwartet, »die nächsten zwei oder drei Jahrtausende dort zusammenzusein.«
Dieses gedehnte evolutionäre Zeitverständnis wendet Snyder auch politisch in seiner Zeit als Berater in einer Regierungskommission an. Berühmt ist seine Antwort auf die Frage des Gouverneurs: »Kämpfst du nicht ständig gegen den Lauf der Dinge an?« – »Nein, das ist nur ein Wirbel im Fluss, gegen den ich angehe. Mit der großen Strömung bin ich im Einklang.«
Mittlerweile ist Snyder emeritierter Professor der Universität von Kalifornien, hat viele Ehrungen erhalten, unter anderen 1975 den angesehenen Pulitzer-Preis für sein Buch »Schildkröteninsel« und 1998 als erster Amerikaner den Buddhist Transmission Award. Nach einer längeren Pause veröffentlichte er 1996 das epische Gedicht »Mountains and Rivers Without End«, an dem er über 40 Jahre geschrieben hat.
Mit 80 Lebensjahren und der ganzen Evolution im Rücken blickt Gary Snyder ­gelassen in die Zukunft.   

Bücher von Gary Snyder auf Deutsch: www.stadtlichterpresse.de


außen

die stille
der natur
innen.

die Kraft innen.
die Kraft

außen.

der weg ist, was vorübergeht – kein
zweck an sich.

das ziel ist
gnade – linderung –

heilung,
nicht rettung.

singen
bezeugt

bezeugt die kraft innen.


Gary Snyder, aus seinem Buch »Turtle Island«, 1974.
(Mit »Schildkröteninsel« ist Nordamerika gemeint; heute wird die Bezeichnung von vielen indigenen Aktivisten verwendet. Snyder meinte, die Bezeichnung könne zu einem neuen ­Verständnis des nordamerikanischen Kontinents beitragen.)

Übersetzung: www.humantouch.de
Original:


without
the silence / of nature / within.
the power within. / the power
without.
the path is whatever passes – no / end in itself.
the end is, / grace – ease –
healing, / not saving.
singing / the proof
the proof of the power within.

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