Titelthema

Inspirationen vom Vormacher

Die Welt wäre ärmer ohne die »Einfälle-statt-Abfälle«-Bauanleitungen von Christian Kuhtz, meint Jochen Schilk.von Jochen Schilk, erschienen in Ausgabe #6/2011
Photo

Der Mann hat weder Telefon noch Internet, die Kontaktaufnahme und -pflege funktioniert nur über den Postweg. Man könnte meinen, Christian Kuhtz sei ein Technikfeind, aber der gelernte Maschinenbauer ist ­alles andere als das. Kuhtz ist möglicherweise ein Kauz – das war über meinen Briefkontakt mit ihm nicht so genau festzustellen –, aber er ist definitiv kein Spinner. Ganz sicher ist er ein Visionär, ein leidenschaftlicher Vordenker und Vormacher einer echten Energiespar-, Subsistenz- und Recyclingkultur.
Bei Christian Kuhtz muss die Technik dem Menschen dienen, nicht umgekehrt – und das gilt auch für moderne Ökotechnik. Der Kieler ist der Kopf hinter den in deutschsprachigen Alternativkreisen bestens verbreiteten »Einfälle-statt-Abfälle«-Heften mit ihren eingängigen Selbstbau-Anleitungen; in fast allen bisherigen Veröffentlichungen ist er alleiniger Tüftler und Autor in Personalunion. Der 52-Jährige hat sein Leben der Verbreitung des Selbermachen-Gedankens verschrieben und dank entsprechender Fähigkeiten und Anstrengungen die eigenen Lebensumstände mustergültig ressourcenoptimiert. Christian Kuhtz weiß sich Kleidung und Schuhe selbst herzustellen, und das Grundstück seiner Familie hebt sich durch einen wilden Selbstversorgungsgarten von den übrigen Parzellen der Kieler Siedlung ab. Ein auf möglichst umfassende Subsistenz ausgerichtetes Leben kennt durchaus Bereiche, die von Technik wenig berührt sind – etwa das Gärtnern –, doch das richtige technische Know-how macht eben vieles leichter.

Parabolschüsseln zu Solarkochern!
Wer sich in den vergangenen dreißig Jahren für Energie-Selbstversorgung interessiert, in einem Bauwagen gewohnt oder einen Bauernhof saniert hat, dürfte an Christian Kuhtz’ handgeschriebenen bzw. maschinengetippten Broschüren kaum vorübergegangen sein. Die immer mit liebevollen, das Verständnis ungemein erleichternden Zeichnungen ausgestatteten Hefte in konsequent vordigitaler 80er-Jahre-Alternativ­ästhetik drehen sich um den Eigenbau von Spezialfahrrädern aus Schrott (»ganz ohne Schweißen«) oder um die Konstruktion von Stein- oder Lehmöfen zum Heizen und Brennen von Töpferware. Das »Fossil aus den siebziger Jahren« (taz) schrieb und zeichnete schon geniale Bauanleitungen für Sonnenkollektoren zur Warmwassergewinnung bzw. zum Kochen (letzteres aus blankpolierten Satellitenschüsseln) oder Beschreibungen von einwandfrei funktionierenden Komposttoiletten und Müsliquetschen.

Von der Müsliquetsche bis zum Hausbau aus Recyclingstoffen
Das dickste seiner Hefte befasst sich mit einem ungleich umfangreiche- ren Vorhaben, der Titel lautet: »Wir bauen ein Lehm-Fachwerkhaus – Vom Grundstein bis zum First, einfach und schön mit der Hand, aus Abbruch-und Naturmaterialien«. Die 164 Seiten zum recycelten Eigenbau-Eigenheim kosten unschlagbare zehn Euro, die schmaleren Bändchen aus der »Einfälle-statt-Abfälle«-Reihe sind meist für deutlich weniger zu haben. Die Beliebtheit der Hefte ist derart ungebrochen, dass im Internet mehrere Personen unter dem Namen »Christian Kuhtz« gutes Geld mit illegalen Raubkopien machen. Der echte Christian Kuhtz freut sich zwar über die rege Verbreitung seiner Ideen, fühlt sich nun jedoch zu juristischen Schritten gezwungen. Um zukünftig wenigstens die Druckkosten wieder hereinzubekommen, bittet er die Liebhaber seiner Werke dringend um Bestellungen an seine echte Adresse bzw. beim
autorisierten Händler (s.  u.). Andernfalls drohe das baldige Ende seiner verlegerischen Tätigkeit.
Angefangen hat die legendäre Edition Ende der siebziger Jahre. 1976 war Christian Kuhtz Teil des Widerstands gegen das AKW Brokdorf, aber er wollte nicht nur protestieren, sondern dem Atom-Wahnsinn auch eine konstruktive Alternative entgegensetzen. Von klein auf ans Werkeln gewöhnt, experimentierte er im Garten eines Freundes mit Windrädern, die von jedermann und -frau aus leicht verfügbaren Materialien nachgebaut werden können. Die Funktionalität seiner revolutionären Kon­struktionen zur Selbstversorgung mit Strom sprach sich im Atom-Widerstand rasch herum, von überall erreichten ihn Anfragen. Aus den anfangs verschickten fotokopierten Blattsammlungen wurde so schließlich das »Einfälle-statt-Abfälle«-Heft Nummer 1.
Nach abermals ausführlichem Experimentieren sitzt der Eigenverleger übrigens momentan an der Überarbeitung des Bändchens über »Langsamläufer-Windräder aus Waschmaschinenschrott und Holz«, welche angeblich die leichteste Brise in 12-Volt-Strom umzuwandeln vermögen. Die von des Tüftlers fünfköpfiger Familie bewohnte Haushälfte in einer konventionellen Kieler Siedlung ist elektrotechnisch vollständig auf 12-Volt-Betrieb umgerüstet, denn nur so kann das im Garten aufgestellte Windrad (fast) den gesamten benötigten Strom für Licht, Kassettenradio, Waschmaschine und Tüftelwerkstatt liefern. Telekommunikationselektronik braucht die Familie Kuhtz, wie schon erwähnt, nicht, anstelle eines Kühlschranks benutzt sie einfach den Keller bzw. eine Kiste vor der Tür. 2007 hat der Haushalt einen Wettbewerb für seinen unschlagbar niedrigen Energiebedarf gewonnen. Der vom Selbermach-Meister errichtete Grundofen (inklusive Schwerkraft-Wasserheizung für entfernt liegende Räume) heizt mit bloß drei Kubikmetern Brennholz pro Jahr das ganze Haus. Auch die Waschmaschine wird mit dem vom Ofen erhitzten Wasser betrieben – wenn einmal aufgrund von mangelndem Sonnenschein der Solarkollektor ausfällt.

 

Hier gibt’s alle Einfälle der letzten 30 Jahre
www.buecherwinkel.de
oder direkt bei Christian Kuhtz, Hagebuttenstraße 23, 24113 Kiel

Oya im Ohr
Diesen Beitrag gibt es auch als 
Hörstück.

weitere Artikel aus Ausgabe #6

Photo
von Jan Moewes

Salutogenese - Unterwegs zur Gesundheit (Buchbesprechung)

Das neue Buch von Marco Bischof ist ein gewaltiges Werk, ein Brocken, nichts leicht Verdauliches. Aber es ist auch ungemein ermutigend, ein Wegweiser zu einem neuen Verständnis von Krankheit und Gesund- heit. Ein Muss für alle Mediziner, für alle, die ernsthaft an

Gemeingütervon Lara Mallien

Fabber und Stricknadeln

FabLabs sind nicht nur Orte für Computerfreaks, sondern können können Keimzellen alternativer Ökonomie werden.

Selbermachenvon Matthias Fersterer

Wir können (fast) alles

Das Pendel schwingt zurück: Die totale Fremdversorgung bringt das Selbermachen wieder in Blüte und lässt den Wert des selber Tätigseins neu entdecken: Selbermachen tut gut, und Selbermachen tut not, Selbermachen macht unabhängig und erdet uns, Selbermachen ist gelebte Meditation und eröffnet den Weg zur Meisterschaft.

Ausgabe #6
Selbermachen

Cover OYA-Ausgabe 6Neuigkeiten aus der Redaktion