Die Kraft der Vision

Der liebende Kosmos

Über Intelligenz, Leben, Liebe und Bindungskraft im interstellaren Raum.von Jan Moewes, erschienen in Ausgabe #43/2017
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Es ist nicht einfach, nach Intelligenz im Weltraum (oder in der Schule) zu suchen, wenn man keine Ahnung hat, was man eigentlich sucht. Wir wissen das, und die NASA müsste es eigentlich auch wissen. Aber weder die NASA noch wir werden die Suche deshalb aufgeben. Nur werden wir erstmal auf der Erde bleiben, um vielleicht doch n­och ein wenig mehr über das Thema zu begreifen. Die Naturwissenschaft versucht, der Intelligenz im Gehirn auf die Schliche zu kommen, hat aber außer Spuren ihrer Anwesenheit dort nichts gefunden. Das Hirn von Einstein ist nichts Außergewöhnliches, und er selbst hat ja behauptet, dass wir höchstens zehn Prozent davon benutzen – er auch. Das Hirn eines Neandertalers soll nicht kleiner gewesen sein als unseres. Entweder hat der nur mit sechs oder sieben Prozent gedacht, oder wir sind gar nicht intelligenter. Wer, glauben Sie, würde länger durchhalten: ein durchschnittlicher Düsseldorfer in der Eiszeit oder ein durchschnittlicher Neandertaler in Düsseldorf? Es sieht so aus, als ob so oder so der weniger Durchschnittliche die besseren Karten hat – der Intelligentere. Es sieht so aus, als ob die Intelligenz ein Lieblingskind der Evolution ist.
Wenn wir uns wertfrei und offen nach Anzeichen von Intelligenz umschauen, stoßen wir überall in unserem Umfeld darauf. Dass Menschenaffen einen Stock nehmen, um eine Frucht heranzuangeln; dass Hunde lernen, auf bestimmte Kommandos richtig zu reagieren; dass Elefanten einen Menschen nach Jahrzehnten wiedererkennen; dass eine Katze das Jagen von der Mutter beigebracht kriegt; dass eine Brieftaube so sicher ankommt wie die normale Post und dass Eichhörnchen Nüsse vergraben, wenn es auf den Winter zugeht – das und vieles mehr ist doch alles andere als dumm. Und wenn es nicht dumm ist, dann sollten wir uns nicht länger scheuen, es schlau zu nennen.
Genug der Beispiele aus der Tierwelt. Steigen wir eine Stufe tiefer und betrachten die Pflanzen. Viele klappen Blüten und Blätter auf und zu, manche können Fliegen fangen, etliche haben sich Stacheln zugelegt, um nicht wie ein belegtes Brötchen in der Wüste rumzustehen, und alle haben das Sex-Problem gelöst, obwohl sie ja nicht einfach aufeinander zulaufen und sich in die Äste fallen können. Gerade die Fähigkeit, extreme Probleme gut gelöst zu haben, fällt doch bei der Pflanze ins Auge. Glauben Sie, dass es einfach für einen Kaktus war, die Wüste zu besiedeln? Aber da steht er, mächtig und stolz, und zwei Jahre ohne Regen stören ihn genausowenig wie die mörderische Hitze am Tag oder die Schweinekälte in der Nacht. Was glauben Sie, wieviele Bäume zusammengebrochen sind, als es plötzlich zu schneien begann, bis ihre Nachfolger den Trick drauf hatten, die Blätter direkt wegzuschmeißen, wenn es kalt wurde?
Außerdem mögen Pflanzen Musik und können zwischen schlechten Menschen und guten unterscheiden. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass die meisten Pflanzen Hindernissen geschickt ausweichen? Kaum eine Pflanze mag ihre Blätter gegen Mauern scheuern. Das bedeutet doch, dass sie sich entscheidet, hierhin zu wachsen und nicht dorthin. Die Fähigkeit, sich zu entscheiden, war das erste Kriterium der Intelligenz – zwischen etwas wählen, intellegere.
Wenn wir noch eine Stufe tiefer gehen, auf die Stufe von Viren, Bakterien und Einzellern, stehen wir vor dem gleichen Phänomen: Alle diese Kleinst­lebewesen verhalten sich in ihrem täglichen Überlebenskampf ausgesprochen pfiffig, und es gehört schon eine gewisse Arroganz dazu, diesem Verhalten die Intelligenz abzusprechen. Dumm ist es auf keinen Fall.
Aber selbst wenn wir noch eine Stufe hinabschreiten, zur totgesagten reinen Materie, finden wir Belege beispielhafter Intelligenz. Wenn der Fluss nicht in Mäandern laufen würde, könnte er die Landschaft kaum genießen. Im Gegenteil – er würde sie mit sich reißen und in schnurgeraden Kanälen mit unglaublicher Geschwindigkeit ins Meer schießen. Aber er zieht es vor, sich mit der Landschaft aufs Innigste zu vereinen. Auch kosmisch gesehen ist es lächerlich, zu behaupten, dass Galaxienhaufen wegen »kleiner Unregelmäßigkeiten in den ersten Momenten des Big Bang« zusammenkommen. Wahrscheinlich kommen sie zusammen, weil es geselliger ist, genau wie auch ­Sonnensysteme gern beieinander sind, und das Sonnensystem selbst ist ja in sich schon eine kleine Geselligkeit. Genau wie auch wir in der Familie, im Stamm oder im Volk zusammengehören. ­Genau wie wir uns sonntags in der Messe treffen. Wenn ein Haufen Menschen sich zusammenballt, erwartet jeder, dass das seinen guten Grund hat. Wenn wir einen Haufen Galaxien sehen, erklären wir das mit »kleinen Unregelmäßigkeiten«. Weil wir es so erklären wollen. Warum beschreiben wir den Menschen und die Natur, die ihn hervorgebracht hat, mit verschiedenen Maßstäben? Hat das ­irgendeinen Sinn?
Beim Menschen sehen wir, dass sich vieles dem kalten, sach­lichen Forscherblick verschließt. In der restlichen Natur behaupten wir, dass da nichts ist. Dabei ist doch viel naheliegender, dass wir es nur genausowenig sehen wie bei uns.
Man kann nicht oft genug wiederholen, dass diese Sichtweise noch gar nicht so alt ist. Unsere Vorfahren haben noch den Geist in den Dingen gesehen und in jeder Pflanze und in jedcm Tier, auch dem kleinsten. Selbst die Bibel spricht davon, dass am Anfang der Geist über dem Wasser schwebte. Der Geist war vor uns da, aber wir tun so, als hätten wir ihn erfunden. Der Wahrheit näher kamen die Indianer, wenn sie den Geist eines Baums um Verzeihung und Verständnis baten, bevor sie ihn fällten. Auf jeden Fall hat das verhindert, dass sich eine so schwachsinnige Vorstellung verbreiten konnte wie die, dass ein Baum nicht begreift, was um ihn rum vorgeht. Wir müssen wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkommen und uns klarmachen, dass Geist in allem steckt, im Großen wie im Kleinen. Und wenn wir nun statt »Geist« wieder »Intelligenz« sagen, stehen wir vor einem hochintelligenten Kosmos, den wir mit dem gegebenen Respekt zu behandeln haben. Schließlich verdanken wir unser Leben seiner Weisheit.

Alles denkt, fühlt, lebt
Nun ist es also aus mit der Arroganz. Wir sind nicht allein – ganz und gar nicht. Leben und Intelligenz erfüllen den Raum bis in den letzten Winkel, sie sind seine Existenzgrundlage und sie halten ihn zusammen. Das Universum ist ein Lebensprozess. Das soll nun nicht heißen, dass jede Wolke die intellektuellen Fähig­keiten Schopenhauers hätte. Aber auch Schopenhauers Achselschweiß löste keine Rechenaufgaben und gehörte trotzdem zu einem intelligenten System.
Eigentlich müssten es gerade die Astrophysiker längst begriffen haben, benutzen sie doch immer häufiger Begriffe aus dem Reich der Biologie, um die Vorgänge um uns herum zu beschreiben. Geburt, Tod, Evolution und Stoffwechsel sind noch die sachlich­sten davon. Aber es lauern da auch große Galaxien auf kleine, um sie zu verschlingen oder gar »sich einzuverleiben«, oft genug wird die Nahrung knapp, und manchmal kommt es zum Kollaps. Die Wissenschaftler sagen natürlich, dass das nur Bilder sind. Aber wieso sind gerade das die treffenden »Bilder«? Weil sie den Tatbestand beschreiben, wie er ist! Eine ganze Reihe kosmischer Phänomene, die zur Zeit mit meist schwer verständlichen und in keiner Weise vorstellbaren Theorien in den Rahmen reiner Physik gezwängt werden, entpuppen sich als schlichte Selbstverständlichkeit.
Die Galaxien halten zusammen, und damit spotten sie der Fliehkraft. Lasst sie doch! Für uns ist es nur gut und außerdem ist es ein Zeichen für mehr als Leben – für Lebenslust. Wenn man Sympathie als physikalische Größe anerkennt, braucht man keine »dunkle Materie« mehr und wahrscheinlich auch keine ­»Gluonen« – die hat auch noch niemand gesehen, aber sie erklären im Mikrokosmos, wieso die kleinen Quarks so schön zusammenhalten. Dabei ist es so was Schönes wie Liebe!

Die Kraft, die alles bewegt
Viele abenteuerliche Theorien werden überflüssig, wenn man die Liebe auch kosmisch zulässt. Abenteuerliche Ideen vom Himmel wie vom Leben auf Erden. Der Liebe könnte es nur guttun, wenn man sie als kosmische Kraft erkennen und Messinstrumente und Maßeinheiten dafür entwickeln würde. Der Heiratsschwindelei jedenfalls wäre damit auf Erden ein Ende bereitet, und im Raum wäre wieder Platz für Raum. Bis uns das Gegenteil bewiesen wird, sollten wir auch Bewusstsein, Erinnerung und Fantasie als universelle Fähigkeiten ansehen.
Wenn wir darauf warten, dass uns die Sorge der Venus über den Zustand der Erde naturwissenschaftlich nachgewiesen wird, können wir lange warten. Aber genauso unwahrscheinlich ist es, dass die Bewusstlosigkeit der Erde bewiesen wird. So gesehen, ist es uns allein überlassen, auf welche Seite wir uns schlagen. Erstaunlich ist, wie geschlossen unsere Kultur die weniger lebenswerte Sichtweise bevorzugt. Noch erstaunlicher ist es, dass so wenige die Liebe der Erde einfach und direkt fühlen. Es ist unbegreiflich, dass es so wenig Verliebte gibt, verliebt ins Schwarz des Himmels, in die Sonne, die Erde und in sich selbst, verliebt in ihre DNS und in die klitzekleinen Wasserstoffatome. Warum liebt hier keiner das Leben? Die Antwort ist grotesk – man würde es ja lieben, wenn man es nur erkennen würde. Stellen Sie sich mal Ihre Jugend vor, wenn Sie Ihre Mutter mit so etwas Banalem wie einem Kohlensack verwechselt hätten. Fatal! So absurd ist dieser Vergleich nicht. Die Erde jedenfalls scheint der Mensch des Industriezeitalters mit einem Sack Kohlen zu verwechseln. Dass auch das fatale Folgen hat, beginnen wir gerade zu begreifen. Leider ist das erst der Anfang der Kalamitäten. Liebten wir das Leben, wäre uns das nie passiert. Der Liebende respektiert ja nicht erst, wenn er sich ausgerechnet hat, dass das für ihn vorteilhaft ist, sondern er respektiert von vornherein aus dem simplen Gefühl der Gemeinsamkeit. Für ihn ist das nichtsdestoweniger von Vorteil, weil er ein elementares Naturgesetz beachtet, das in unseren kosmologischen Vorstellungen verlorengegangen ist, obwohl es unser Leben offensichtlich regiert: Alles gedeiht, wo Liebe herrscht. Und ohne Liebe herrscht nur Trauer.
Wer nicht sieht und fühlt, dass die Luft den Schmetterling liebt und die Erde den Maulwurf, der hat den Beruf verfehlt, egal, welchen er ausübt. Sollte er jedoch ausgerechnet Astrophysiker geworden sein, dann kann er noch so große Fernrohre bauen – da er das Wesen nicht erkennt, muss er in Wesentlichem irren. Jeder lieblose Blick in den Himmel ist ein verschwendeter Blick, jeder respektlose Gedanke über das All sinnlos. Natürlich gilt das nicht nur nach oben, sondern genauso nach unten.   

Auszug aus: Eine kleine Geschichte des Raums, tredition 2015.


Jan Moewes (1944–2016) war freischaffender Autor, Maler und Lebenskünstler. In den 1970er Jahren arbeitete er am Schauspielhaus Bochum als Bühnenbildner mit Intendant Peter Zadek. In den 1980er Jahren lebte er zeitweise in der von Dieter Duhm und Sabine Lichtenfels begründeten Gemeinschaft »Bauhütte«, distanzierte sich ­jedoch später von den in der Bauhütte aufgegriffenen Thesen und Methoden Otto Mühls. Seit 1988 lebte er überwiegend auf den kanarischen Inseln. 1996 erschien sein Buch »Für 12 Mark 80 durchs Universum«, das in zahlreichen Auflagen und drei Neuausgaben unter den Titeln »Für 6 Euro 50 durchs Universum«, »Rendezvous mit dem Universum« und »Eine kleine Geschichte des Raums« Kultstatus erlangte. Seine Auseinandersetzung mit der Empathieforschung und Gesellschafts­kritik des Psychologen Arno Gruen schlug sich 2015 in dem Buch »Ohne Liebe herrscht nur Trauer« nieder. Als Übersetzer übertrug er Sachbücher und Romane von Edward Curtis, Alberto Vázquez-Figueroa und Stephen Crane ins Deutsche. Am 10. Juli 2016 verstarb Jan Moewes überraschend in seiner Wahlheimat La Gomera. Trotz seiner ­regen Aktivität als Blogger hat er der Nachwelt keine aktive Website hinterlassen – über folgenden Link können Oya-Beiträge von und über Jan Moewes aufgerufen werden:
www.kurzlink.de/jan-moewes

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