Einladung zum Austausch über das beständige Festmahl der Erde.von Lara Mallien, erschienen in Ausgabe #43/2017
Der Gedanke, mit der eigenen Verdauung zum Aufbau von Humus beizutragen, steht im Mittelpunkt der Begeisterung für Komposttoiletten. Doch was ist Humus eigentlich? Der Begriff klingt abstrakt. Die Naturwissenschaft definiert ihn als »tote organische Substanz« eines Bodens – als hätten wir es mit einer statischen, unbelebten Materie zu tun. Doch das Gegenteil ist der Fall: Es geht hier um Leben und Sterben, um das große Fressen und das große Kacken aller Lebewesen. Allen ergeht es gleich. Ob da ein toter Mensch, eine tote Maus oder ein abgerissenes Blatt auf oder in der Erde liegt: Ein Heer von Bakterien, Hefen, Pilzen, Einzellern oder auch größeren Wesen macht sich daran, es zu verdauen. Eiweiß, Fett, Kohlenhydrate, Zellulose, Lignin – alles wird gefressen und wieder ausgeschieden. Über die Ausscheidungen des einen Wesens machen sich die nächsten her. Mit von der Partie bei der großen Verwandlung sind reaktionsfreudige Säuren, Basen, Salze, Wasser, Sauerstoff und nicht zuletzt das Sonnenlicht. Irgendwann ist alles so weit verdaut, dass etwas bleibt, das Jahrhunderte überdauern kann: sogenannte Huminsäuren, lange Molekülketten, die sich mit den Tonmineralien im Boden zu krümeliger, feuchter Erde verbinden. Ihre dunkle Farbe gibt dem fruchtbaren Boden sein sattes Braun. Das große Kacken schafft nicht nur diesen Raum, es führt auch dazu, dass in ihm einzelne, nicht gebundene Grundbausteine des Lebens liegen: Schwefel, Magnesium und viele weitere Elemente, Phosphat, Nitrat und Sulfat – alles ohne weiteres von den Pflanzen aufnehmbar. Das Organische hat sich »mineralisiert«. Ebenso verwunderlich – und wissenschaftlich so wenig im Detail verstanden wie der Prozess der Kompostierung – ist alles, was sich im Raum zwischen den Pflanzenwurzeln und der Erde abspielt. Wildblumen, Kräuter und Gräser lieben magere, Gemüse und Getreide humusreiche Böden. Der Bodenvielfalt in wilder Natur unter Wiesen, Mooren und Wäldern setzt der Mensch seit der Erfindung der Landwirtschaft Äcker zur Seite – und ist damit herausgefordert, den Boden zu verstehen und zu pflegen, wenn nicht nach kurzer Zeit des Bebauens Wüste zurückbleiben soll. Im Lauf der Geschichte ist es den Menschen nur in den seltensten Fällen gelungen, Ackerboden reicher statt ärmer zu machen. Humus ist keine statische Materie, sondern ein Prozess. Er beginnt beim Nährhumus, der sich aus rasch vermodernden pflanzlichen und tierischen Überresten bildet und sich schnell mineralisiert, also sofort Nährstoffe zur Verfügung stellt. Nur ein sehr kleiner Anteil wird durch fortwährende Umwandlungsprozesse zu Dauerhumus, also Huminstoffen, die den »Mutterboden« bilden. Kompostieren allerdings holzige Pflanzenteile, bringen insbesondere Pilze und schließlich auch Bakterien auf direktem Weg die besonders schwer zersetzbaren Huminstoffe des Dauerhumus hervor. So wird langfristig Boden aufgebaut, während Nährhumus größtenteils schnell von der nächsten Generation der Kulturpflanzen verstoffwechselt wird. Wenn wir mit unseren Hinterlassenschaften also nicht nur kurzfristig düngen möchten, geht es vor allem um eine gute Mischung im Komposthaufen: Idealerweise wird nährstoffreicher, für das Bodenleben leicht verdaulicher Menschen- oder Tiermist mit vielem anderem vermischt: mit Küchenabfällen, Grasschnitt, Laub, Stroh, Säge- und Hobelspänen, Holzhäckseln. Ihre Zersetzung verlangt mehr Zeit und Energie, aber die holzigen Bestandteile sorgen dafür, dass nicht nur ein nahrhafter-, sondern auch ein strukturreicher Humus entsteht. Es gibt nicht »das« Patentrezept für den perfekten Kompost. Im Rahmen der Arbeit an dieser Ausgabe begann ein spannender Austausch mit Leserinnen und Lesern über ihre Kompostpraxis – besonders auch über Methoden, die sich nicht nur im Garten, sondern auch auf dem städtischen Balkon oder im Hinterhof realisieren lassen. In der nächsten Ausgabe möchten wir einige von ihnen vorstellen. Wer sich an der Sammlung von Kompostpraktiken beteiligen möchte, ist eingeladen, Fotos und Beschreibungen an die Redaktion zu schicken.