Gemeinschaft

Über die Biomöhre hinaus denken

Selbstversorgung und Geldwirtschaft – wie passt das zusammen?von Harald Weinel, erschienen in Ausgabe #6/2011
Photo

Während der fünf Jahre, in denen ich an einer eigenen Kommune-Gründungsgruppe beteiligt war, stand für mich die Selbstversorgung in möglichst vielen Bereichen im Mittelpunkt meines Lebensentwurfs. Die Gründe dafür waren: Sicherheit vor dem erwarteten Kollaps des derzeitigen Wirtschaftssystems sowie der Wunsch, nicht länger am allgemeinen Geldkreislauf beteiligt zu sein. Der Gedanke, hundert Euro auszugeben und dabei zwischen sieben und inzwischen 19 Euro zur Finanzierung von Knästen und Bundeswehr beizutragen, war mir so unangenehm, dass der Spaß am Konsumieren völlig auf der Strecke blieb. Auch war ich nie ein Freund von Protesten gegen unsoziale Praktiken von Firmen, wenn am nächsten Tag doch wieder deren Produkte gekauft werden.

Dem Markt entkommen (?)
Den ersten großen Schritt in Richtung Selbstversorgung habe ich jedoch erst im August 2009 gemacht. Seitdem lebe und arbeite ich in der Kommune Niederkaufungen. Die Arbeit im Gemüsebau bietet einen direkten Bezug zu den eigenen Produkten – was ich morgens ernte, landet meistens schon mittags auf meinem Teller. Auch in anderen Bereichen bietet die Kommune großartige Möglichkeiten, aus dem kapitalistischen Wirtschaftssystem auszuscheren. Wenn mir die kommuneeigene Schreinerei eine Bienenbeute baut, braucht sie mir keine Rechnung zu schreiben – gleiches gilt für die Schlosserei oder alle möglichen handwerklich begabten Menschen, die mir mal nebenbei helfen, unsere Maschinen zu reparieren. Auch könnte sich unser Gemüsebaukollektiv zu Marktpreisen wohl kaum die professionelle Supervision leisten, die wir von Mitkommunardinnen in Anspruch nehmen.
Die Marktpreise sind auch das Stichwort zu einem Punkt, der für mich in der Kommune immer noch nicht »rund« ist. Die Kommune hat mit ihren zahlreichen Firmen auch zahlreiche Buchhaltungen zu berücksichtigen, deren Zweck einzig der ist, doch innerhalb einer kapitalistischen Marktwirtschaft zu funktionieren bzw. staatliche Vorgaben zu erfüllen. So darf z. B. unser Gemüsebaubetrieb keine negative Jahresbilanz ausweisen, und die Schlosserei braucht regelmäßige Einnahmen, um Lieferanten pünktlich bezahlen zu können. Die Folge ist ein Hin und Her von Rechnungen und Transaktionen, das viel Zeit und Energie braucht (zum Glück nicht meine Zeit und Energie – wir haben ja ein Verwaltungskollektiv …).
Schwerer noch wiegt für mich die Angewohnheit, nach wie vor Geld als Maßstab für den Wert unserer geleisteten Arbeit zu verwenden. Die Gründe dafür sind einerseits in Gewohnheit und Sozialisation, andererseits in den ökonomischen Zwängen des Gesamtprojekts zu suchen. Das kann dann dazu führen, dass ich meine neuen Bienenbeuten bei spezialisierten Schreinereien in Bayern oder Nordrhein-Westfalen bestelle, während vor Ort eine Schrankwand für externe Kundschaft gefertigt wird. Die Rechnung mag aufgehen – inklusive Transport durch halb Deutschland und 19 Prozent für Herrn Schäuble –, aber lustig finden kann ich das nicht. Letztlich liegt die Entscheidung bei den einzelnen Kommune-Mitgliedern – wie wichtig ist das selbst hergestellte Werkstück, und wieviel davon kann sich die Kommunekasse leisten?
In dem Jahr, das ich jetzt hier verbracht habe, hat sich mein Blick geweitet, und ich beginne, Selbstversorgung größer zu denken. Solange wir kein eigenes Getreide, Brot, Kartoffeln, keine eigenen Ärztinnen, Anwälte, Autowerkstätten haben, ist das Ende der Vernetzung nicht erreicht. Wir leben im Raum Kassel in der komfortablen Situation, drei politische Projekte (Kommune Niederkaufungen, gASTWERKe Escherode und Villa ­Locomuna in Kassel) in einiger Nähe versammelt zu haben. Eigentlich optimale Voraussetzungen dafür, sich gegenseitig zu unterstützen und Produkte und Dienstleistungen auszutauschen, ohne sich mit der lästigen Abrechnerei aufzuhalten. Eigentlich …
Wenn aber schon der innerkommunitäre Austausch von Produkten nicht losgelöst vom Marktgeschehen läuft, wie sollen dann die Sorgen ausgeräumt werden, die eigene Gruppe könnte zu kurz kommen, oder für die eigenen Konsumwünsche (Urlaube etc.) bliebe nicht mehr genug Geld?

Ein neues Landwirtschaftsmodell
Insgesamt macht sich ein zunehmender Pragmatismus bei mir breit. Ein geplan­ter Verbund nach dem Modell »Gemein­schaftsunterstützte Landwirtschaft« (CSA, Community Supported Agriculture) zwischen den Gemüsebaubetrieben der Kommunen Niederkaufungen und Escherode wird wohl abhängig von der Zahl der Esserinnen und Esser anteilig aus beiden Kommunen finanziert werden. Also wird ganz profan in Geld aufgerechnet, was jede Gruppe beitragen muss, um eine regionale, ökologische und selbstverwaltete Gemüseproduktion zu ermöglichen.
Trotzdem behalte ich das Ziel im Auge, einen bedürfnisorientierten Wirtschaftskreislauf zu etablieren. Nur solange wir noch zu klein sind, um uns in einem autarken Kreislauf bewegen zu können, ist Geld als Tauschmittel notwendig, wenn wir mit der Außenwelt in Handel treten müssen.
Im gleichen Maß, wie unser CSA-System mich wegen des zwischen den Kommunen verwendeten Tauschmittels Geld unzufrieden macht, begeistert mich die Tatsache, dass zunehmend Menschen aus der »Außenwelt« bereit sind, monatlich ein wenig mehr Geld auszugeben, um so eine nachhaltige, regionale Landwirtschaft zu ermöglichen. Auch diesen Menschen ermöglichen wir eine Art von Selbstversorgung, denn sie haben Einfluss auf die Art und Menge des angebauten Gemüses. Das geschieht nicht, indem, wie üblich, ein Teil der Lebensmittel im Laden liegenbleibt, sondern indem diese Leute vor dem Beginn der Saison zusammen mit den Gärtnerinnen und Gärtnern feststellen, wer welchen Bedarf hat und wie hoch die Gartenkapazitäten sind. Zudem kann jede und jeder dem eigenen Gemüse beim Wachsen zusehen und so einen völlig anderen Bezug zu den Lebensmitteln bekommen als beim Verzehr von Produkten, deren maßgebliche Mitproduzenten – die sogenannten »Saisonarbeitskräfte« – sich die geernteten Produkte selber nicht mal leisten können.
Der gesamtgesellschaftliche Einfluss solcher Unternehmungen wie unser CSA-Projekt ist für mich noch völlig unabsehbar. Aber im Rahmen der Verknappung von Treibstoffen und der damit verbundenen Verteuerung von Lebensmitteltransporten kreuz und quer durch Europa wird die Bedeutung der regionalen Produktion steigen. Jetzt gilt es, den Grundstein zu legen. Wir dürfen das Feld nicht wenigen großen Produzenten über­lassen, sondern müssen den anstehenden Strukturwandel nutzen, um Alternativen zu zeigen und den gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben. 


Harald Weinel (30), seit 15 Monaten im ­Arbeitsbereich Gemüsebau der Kommune Niederkaufungen tätig, imkert nebenbei und verbringt im Winter einen guten Monat damit, Brennholz für die Kommune zu spalten und zu bündeln.

Die Kommune Niederkaufungen im Netz 

www.kommune-niederkaufungen.de

weitere Artikel aus Ausgabe #6

Selbermachenvon Lara Mallien

Der größte Bodenschatz

Am Anfang, wir schreiben das Jahr 1992, war da ein zweihundert Jahre altes, reetgedecktes Fachwerkhaus, das gerettet werden sollte. Die Retter gehörten zu einem Verein mit einer bemerkenswerten Bezeichnung: Hinter der Abkürzung »FAL e. V.« verbirgt sich »Verein

Photo
von Beate Küppers

Dreck (Buchbesprechung)

Die »Stoffgeschichten« aus dem oekom Verlag erzäh- len von den weiten Wegen, die viele Materialien, mit denen wir täglich umgehen, hinter sich haben. An ih- rer wechselvollen Vorgeschichte zeigen sich die Kon- flikte unserer globalisierten Welt. Nun ist der sechste Band der

Lebenswegevon Lara Mallien

Drucken wie Gutenberg

Martin Z. Schröder hütet als einer der letzten die Tradition des Bleisatzes und Buchdrucks mit manuell betriebenen Maschinen. Heute beherrschen diese Kunst außer ihm nur noch wenige alte Druckermeister. In der DDR der 80er Jahre zum Schriftsetzer ausgebildet, suchte Martin Z. Schröder später seinen Weg zu den Geheimnissen des Handwerks selbst.

Ausgabe #6
Selbermachen

Cover OYA-Ausgabe 6Neuigkeiten aus der Redaktion