In seinem neuen Buch »Tödliche Freundschaft« durchreist der Journalist Florian Schwinn 23 Millionen Jahre eines gemeinsamen Lebens von Mensch und Tier, das tief in unserer Kultur und unseren Genen verwurzelt ist. Brandaktuell und zugleich zeitlos ist die Frage nach dem Zusammenleben mit Tieren. Die breite Recherche des Autors umfasst andere Kulturen, Ethnologie, Evolutionsbiologie, Psychologie und nicht zuletzt auch Mythologie, Lyrik und Belletristik zum Thema Mensch und Tier. Sein Fokus liegt indes auf nur vier Tiergattungen, auf die bereits durch seine Kapiteltitel geschlossen werden kann: »Der große Wuff«, »Schwein gehabt«, »Nur Muht« und »Puttputt kaputt«. Durchzogen sind die Kapitel von der Frage nach dem Nutzen, den Menschen aus der Tierhaltung zogen und ziehen. Florian Schwinn deckt dabei Traditionen auf, die nicht nur auf das Fleisch oder konkrete Arbeitsleistungen der Tiere abzielen. So sind historisch in fast allen alten Hochkulturen, von denen wir heute wissen – Ägypten, Mesopotamien, Babylon, Çatalhöyük, Griechenland, Kelten – auch göttliche Verehrung, Riten, Höhlenmalereien und Kultplastiken von beispielsweise Rindern zu finden. Die religiöse Achtung und die respektvolle Behandlung von Kühen, aber auch Wölfen, Hunden, Schweinen und Geflügel hielten einige Tausend Jahre an, bis es vor fünfzig Jahren aufgrund des Vormarschs der industriellen Landwirtschaft und der mit ihr einhergehenden Massentier-haltung zu einem radikalen Wandel kam. Menschen, die eine respektvolle, auf Tierbedürfnisse ausgerichtete Haltung praktizieren, sind seither zu Ausnahmen geworden. Eine weitere Ausnahme bei den Verbrauchern ist der Veganismus und die Forderung, jegliche Tierhaltung aufzugeben. Zwar begrüßt der Autor dieses Ansinnen teilweise, aber auf alle Menschen bezogen sei es doch unmoralisch. Wie könnten etwa in einem ersten Schritt die derzeit gehaltenen Tiere freigelassen werden? Oder wie könnte eine weltweit rein pflanzliche Ernährung ohne Honigbienen funktionieren, die inzwischen ohne die Pflege durch Imkerinnen nicht mehr überleben? Vor allem aber würde für Florian Schwinn ein Leben ohne Tiere bedeuten, unser Menschsein – das zutiefst geprägt sei durch vielfältige Traditionen eines gemeinsamen Lebens – zu beschneiden. Unsere Evolution sei an sie gebunden, die Entstehung großer Zivilisationen sei in vielen Fällen nur durch rindergestützte Landwirtschaft entstanden, die Fruchtbarwerdung von Böden sei vielerorts auch nur durch Rinder möglich gewesen, und Menschen als Jäger oder Hausbewohner hätten durch Wölfe und Hunde die Erfahrung einer loyalen und treuen Begleitung sowie eines sozial vielschichtigen Miteinanders gemacht, das durch keine Beziehung zu einem anderen Menschen je so erfahrbar wäre. In der Einleitung und dem Epilog plädiert Florian Schwinn unverblümt für ein »Muss«: für eine neue respektvolle Tierhaltung als Ausweg aus der Misere. Hierfür liefert er den Lesern konkrete Beispiele, die das ausbeuterische System der industriellen Tierhaltung ändern könnten. Dazu gehört, dass ein landwirtschaftlicher Betrieb nur so viele Tiere halten sollte, wie das Land, das zum Besitz gehört, ernähren kann; alternativ sollte der Zukauf von Futtermitteln beschränkt werden. Wie diese Vorschläge umzusetzen sind, wird leider etwas verkürzt thematisiert. Denn solche Entscheidungen spielen sich vor allem in der Agrarpolitik auf EU-Ebene ab, wobei die Lobbymacht einzelner Megakonzerne bekanntlich immens ist. Dennoch appelliert Schwinn an jeden einzelnen Menschen, in der Tierhaltung umzudenken und sich an den respektvollen Umgang mit den Lebewesen, denen wir seit alters her enorm viel verdanken, zu erinnern. In dieser Hinsicht ist das Buch mit seinen vielseitigen Verknüpfungen und historischen wie aktuellen Beispielen eine klare Bereicherung.
Tödliche Freundschaft Was wir den Tieren schuldig sind und warum wir ohne sie nicht leben können. Florian Schwinn Westend, 2017, 320 Seiten ISBN 978-3864891434 24,00 Euro