Gehören Sie vielleicht auch zu den Menschen, die das Kleidungsangebot an den Stangen der Warenhäuser und Boutiquen nicht richtig lockt? Zu trendhörig und uniform erscheint das alles, denn bei den Klamotten für den eigenen, einzigartigen Leib kann es gar nicht individuell genug zugehen. Oder gehören Sie zu den Konsumenten, die sich der furchtbaren ökosozialen Bedingungen bewusst sind, die in der globalisierten Textilproduktion herrschen? – Wie? Sie zählen zu beiden Gruppen und haben außerdem nicht (mehr) das nötige Kleingeld, um ständig auf dem Modekarussell mitzufahren? Ganzjahres-Freikörperkulturisten sind in unseren Breitengraden selbst unter radikalen Asketen nicht existent. Eine Alternative zu H&M und C&A bieten Second-Hand-Läden und Flohmärkte. Doch schöne, funktionale, haltbare, faire, ökologische, günstige Klamotten lassen sich mit Freude auch selbst herstellen. Und man kann gekaufte Anziehsachen verbessern, individualisieren, reparieren oder veränderten Körpermaßen anpassen. Die alten Lieblingsteile halten dann nochmal gerne zwei weitere Jahre.
Nähen und Schnacken Im Zentrum der von der Universität geprägten Boomtown Greifswald in Vorpommern hat im Oktober eine Handvoll junger Menschen die offene Nähwerkstatt »Kabutze« eröffnet. Eine Butze ist in Norddeutschland ein kleines, einfaches Zimmer. Im gar nicht so kleinen, zentral gelegenen Kabutze-Werkstatt können sich Interessierte an zwei Wochentagen gegen eine Spende an einer der acht Nähmaschinen versuchen, am Wochenende stehen oft noch Workshops mit externen Dozenten zu speziellen Techniken und Themen auf dem Programm: »Wie nähe ich mein eigenes T-Shirt?«, »Hosen-Reparatur leicht gemacht« oder ein Aufklärungsfilm über einen südostasiatischen Textil-Sweatshop. Auf Wunsch helfen die Betreiberinnen und Betreiber der Mitnähzentrale (fünf Frauen und ein Mann, zwischen 22 und 29 Jahren) bei ersten Arbeiten an der Uralt-Tretmaschine oder der modernen Overlock. »Wir können zwar Wissen vermitteln«, so die Landschaftsökologie-Studentin Juliane Seyfert, »optimalerweise sollten aber immer genug Besucher da sein, die sich gegenseitig etwas beibringen können. Es soll vor allem Kommunikation stattfinden.« Vorbilder hat die Kabutze in etablierten Nähwerkstätten in Städten wie Zürich oder Berlin. Aber die haben oft eine kommerziellere Ausrichtung. Hier sollte etwas Idealistischeres entstehen, die Schwelle sollte möglichst niedrig sein. »Wir machen gerade die Erfahrung«, erzählt Juliane, »dass viele unserer Besucherinnen und Besucher ganz schön ins Schwimmen kommen, wenn sie die Höhe der Spende, um die wir sie bitten, selbst einschätzen sollen: Was ist es mir wert, dass ich unter gelegentlicher Anleitung drei Stunden an einem beheizten Nähmaschinen-Arbeitsplatz werkeln konnte und noch einen Reißverschluss draufzu bekommen habe?« Auch diese ungewohnte Einschätzung will gelernt werden. Nachdem die Idee geboren war, verging noch ein Jahr Vorlaufzeit, bis geeignete Räume gefunden, dank zweier Stiftungen finanziert und schließlich bezogen werden konnten. Eine Werbeaktion vor der Eröffnung sorgte für Aufsehen in der Ostseestadt: Ein großer Schwung T-Shirts aus dem örtlichen Umsonst-(Secondhand-)Laden wurde mit dem Kabutze-Logo bedruckt und des nachts an Kleiderhaken in der ganzen Innenstadt aufgehängt – und fand bald Liebhaber. Haben die Kabutze-Betreiber ein Fernziel? Wollen sie sämtliche Kunden der nahegelegenen H&M-Filiale zum begeisterten Do-it-yourself-Nähen kriegen? Juliane Seyfert denkt vorerst in realistischeren Dimensionen. »Wir würden uns freuen, wenn sich unser Publikum mittelfristig aus allen möglichen sozialen Schichten, Altersklassen, Nationalitäten und vor allem auch in einem annähernd ausgewogenen Geschlechterverhältnis zusammensetzt.«