KlimaKultur-Werkstätten weisen den Weg für den Wandel.
von Felix Wagner, Marian Bichler, Claudia Schury, erschienen in Ausgabe #50/2018
Im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative, dem Förderprogramm für Klimaschutz des Bundesumweltministeriums, werden neuerdings auch kulturelle Veränderungsinitiativen gefördert. Das »ClimateCulture-Lab« (CCL) ist eine davon. Wie es aussieht, wenn Wissenschaft und kommunalpolitische Ansätze auf Menschen treffen, die nach kreativen Wegen suchen, um ihr Leben klimafreundlicher und lebensdienlicher zu gestalten, beschreiben zwei Autorinnen und ein Autor aus dem CCL-Team.
Emotionale Kompetenzen nutzen Ein Samstagmorgen im Gebäude eines großen Herstellers von Windkraftanlagen. Jenseits von Technikfragen steht heute das Thema eines Kulturwandels auf dem Programm. Eine bunt gemischte Gruppe aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft trifft sich hier zu einem Impulsworkshop. Alle warten auf die Begrüßung durch Andrea Steckert, der Projektleiterin des ClimateCulture-Labs für das Pestel-Institut mit Sitz in Hannover. Was die hier Versammelten eint, ist die Überzeugung, dass sich in Sachen Klimaschutz endlich etwas tun muss. Steckert macht in ihrer Einführungsrede gleich deutlich, dass das CCL so einiges an neuen Ansätzen verspricht. In diesen Werkstätten könnten Menschen ihre persönlichen Handlungsoptionen durchspielen und kreativ erweitern. Dazu gehöre nicht zuletzt eine Offenheit für »verrückte« Ideen. Klimafreundlicher Kulturwandel beginne mit dem Einnehmen neuer Haltungen. Anders ausgedrückt: Die »weichen« Faktoren, die bei bisherigen Diskussionen um klimafreundliche Lösungen meist unter den Tisch fielen, stehen bei diesen Werkstätten im Mittelpunkt. Ein wichtiger Schritt bei der Erarbeitung enkeltauglicher Perspektiven liegt in der Nutzung emotionaler Kompetenzen. Diese Aufgabe hat etwas Delikates, geht es doch um vage Hoffnungen und Unsicherheiten – um Dinge, die schwer in Worte zu fassen sind, und um Situationen, für die es noch keine eingespielten Routinen gibt. Doch zunächst schildert Anette Anthrakidis vom Solarinstitut Jülich der FH Aachen zu Beginn des Workshops anhand konkreter Zahlen und Fakten die abzusehenden Auswirkungen des weiteren Klimawandels. So verursacht jeder Deutsche derzeit etwa zwölf Tonnen CO2 pro Jahr; um der Menschheit ein zukunftsfähiges und gerechtes Leben zu ermöglichen, müssen wir diese auf höchstens eine Tonne reduzieren! Das Problem dabei: Selbst bei einer »ökologisch korrekten« Lebensweise ist ein Wert unter sechs Tonnen in Deutschland derzeit kaum zu erreichen. Keine behaglichen Aussichten – das zumindest spiegeln zahlreiche Aussagen der Teilnehmenden in der anschließenden Reflexionsübung wider. »Was für Gefühle und Gedanken steigen in mir auf, wenn ich mir klarmache, dass mit dem Klimawandel radikale Veränderungen auf mich zukommen?«, lautet die Frage. Die Antworten zeigen eine dicht unter der Oberfläche schlummernde emotionale Realität, die vielen Menschen unangenehm vertraut ist und über die sie im Alltag nur ungern offen reden: »Wut auf Politikversagen und Wirtschaftshörigkeit.« »Ohnmacht: Ich selbst kann so wenig tun, die meisten anderen interessiert das alles nicht.« »Schlechtes Gewissen – aber auch Widerstand: Ich handle doch sonst schon sehr klimafreundlich!« »Unsicherheit: Habe ich den Mut und den Willen, langfristig die notwendigen Maßnahmen konsequent durchzuziehen?« »Verwirrung: Warum ist das nicht für alle Menschen (und auch für mich) das zentrale Thema im Leben, wo doch unser Überleben davon abhängt?« Wie kann sich angesichts dieser Ausgangslage eine Aufbruchsstimmung hin zu einer klimafreundlichen Kultur überhaupt entwickeln? Unser Alltag, unsere Infrastrukturen – alles ist auf den herkömmlichen fossilen Lebensstil ausgelegt. Das Alte ist das Selbstverständliche. Das Neue, Klimafreundliche hingegen ist ungewohnt und erscheint uns mühevoll. Ein Teilnehmer formuliert: »Ich habe eine Abwehr gegen noch mehr Sparen, Mich-Einschränken. Ich will keinen Verzicht auf Lebensfreude!« Nach dem ernüchternden Einstieg geht es in der anschließenden Werkstatt darum, sich ein gemeinsames Bild von den bisherigen Aktivitäten der Teilnehmenden zu machen. Dafür nutzt das CCL das »Rad der Nachhaltigkeit«. Dieses Modell basiert auf wissenschaftlichen Forschungen zur Frage, wie eine nachhaltige Kultur beschaffen sein muss und in welchen Bereichen sich der Wandel umsetzen lässt. Das Rad ist in drei Kreise unterteilt: die Ebene der menschlichen Bedürfnisse, die Ebene der Umsetzung sowie die Ebene der Systembedingungen. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass jede erfolgreiche Kultur ausreichend auf menschliche Bedürfnisse eingehen muss. Das Rad zeigt acht verschiedene Ausprägungen menschlicher Bedürfnisse, wie etwa Entwicklung, Verbundenheit oder Gesundheit. Gleichzeitig muss eine Klima-Kultur aber auch den Systembedingungen einer nachhaltigen und klimafreundlichen Gesellschaft nachkommen, dargestellt durch die klassischen Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales. Die Verbindung der Bedürfnisse mit den Systembedingungen von Klimafreundlichkeit entsteht durch die mittlere Scheibe des Rads, die Ebene der Umsetzung. Diese umfasst die Gestaltungsbereiche »Institutionell/Politisch«, »Technisch/Materiell«, »Bildung/Wissen«, »Kunst/Ästhetik, »Werte und Normen« sowie »Sozialstruktur/Miteinander leben«. Die Teilnehmenden werden nun gebeten, sich auf das Feld zu stellen, in dem sie selbst hauptsächlich agieren. Die Aufforderung bringt Bewegung in die Gruppe; schnell kommt man ins Gespräch, auch über nicht ausgeschöpfte Potenziale. »Auffallend war, dass die meisten den Schwerpunkt der Klimaschutzaktivitäten im Bereich ›Technisch/Materiell‹ sahen, während sie die größten Potenziale dem Bereich ›Sozialstruktur/Miteinander leben‹ zuordneten«, resümiert ein Teilnehmer. Andere merken an, dass die Weitergabe von Wertesystemen im Alltag bislang viel zu wenig berücksichtigt sei oder dass die Entwicklung der Persönlichkeit in der Diskussion noch zu kurz komme. Schnell werden grundsätzliche Erkenntnisse laut – etwa, dass es »zunächst eine tiefergehende Verständigung braucht, nämlich die Einigung auf gemeinsame Werte«. Anschließend wird mit der Methode »Presencing« gearbeitet. Es geht hierbei darum, die Zukunft in der Gegenwart zu entdecken. Oft liegen Lösungen, die wir irgendwie erahnen, unter inneren Widerständen begraben. Angst, Zynismus, vorschnelle Urteile usw. führen dazu, dass die bestehende Lage entweder als aussichtslos wahrgenommen – oder aber verharmlost wird. Das Presencing hilft, eingefleischte Denk- und Verhaltensmuster beiseite zu lassen, um so Gestaltungspotenziale für die Zukunft besser zu erkennen und zu realisieren. Die bewusste persönliche Öffnung ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass wirklich etwas Neues zutage tritt. Andrea Steckert bittet die Anwesenden also, sich auf eine angeleitete mentale Reise zu begeben. Im Raum ist es ganz still, nur das gelegentliche Kratzen eines Stifts ist zu hören. Die Teilnehmenden reisen mit Hilfe spezifischer Fragen in ihre eigene klimafreundliche Zukunft und bringen diese zu Papier. Die persönliche Innenschau endet mit der Frage »Gibt es ein Thema, das du teilen und dem du in der Werkstatt gemeinsam mit anderen nachgehen möchtest?« Der Ermutigung, nun aktiv zu werden, kommen die Teilnehmenden gerne nach. In Kleingruppen stellen sie sich gegenseitig ihre »Herzensthemen« vor. »Wie schaffen wir es, offen zu sein für noch nie Dagewesenes?«, fragt eine Frau; »Wie kann ich durch Klimaschutz mein Leben bereichern?«, eine andere. Aber auch ganz handfeste Anliegen, wie die Gestaltung einer fußgänger- und fahrradfreundlichen Stadt, sind darunter. Gemeinsam entscheidet jede Gruppe, welche Aufgabenstellung sie als kleines Team weiterentwickeln möchte. Alle Anwesenden engagieren sich in der folgenden Arbeitsphase mit großer Bereitschaft; die eingangs geäußerten Ängste und Zweifel sind zumindest für den Moment außer Kraft gesetzt. Natürlich klappt die Kooperation nicht immer reibungsfrei, aber Hürden gemeinsam zu meistern, gehört zu den wichtigsten Übungen. Im kreativen Prozess wächst die Erkenntnis, dass Transformation nur zusammen mit anderen gelingen kann. Wünsche nach mehr Gemeinschaftlichkeit werden laut – und konkret im Vorschlag einer Gruppe, den guten alten Stammtisch neu zu entdecken und Marktplätze (auch) als (politische) Begegnungsräume wiederzubeleben. Denn gerade ein besserer sozialer Zusammenhang könne dazu anspornen, neue Werte durch alltägliches Handeln in die Gesellschaft einfließen zu lassen – und zwar ohne dass dafür gleich extra ein Beschluss der Kommunal- oder gar Bundespolitik nötig sei (wie z. B. derzeit in Bezug auf Plastiktüten). Auch könne ein stärkeres Miteinander helfen, die Angst vor Veränderungen und eigenem Scheitern abzubauen. Der Workshop regt bewusst zu ungewöhnlichen Ideen an. So entwickelt eine Gruppe ein Konzept, um den Klimawandel im Rahmen eines intensiven »Simulationstags« sinnlich erfahrbar zu machen. Die Auswirkungen der ungebremsten Erderwärmung sollten am eignen Körper spürbar werden, etwa durch 3D-Simulationen wie in Erlebnisparks und Kinos. Ein anderer Baustein auf dem Weg in eine enkeltaugliche Kultur ist das selbstbewusste Wissen um Erreichtes. Eine Gruppe schlägt deshalb vor, vorhandene Errungenschaften besser sichtbar zu machen. Die schon vielerorts sprießenden »Zukunftspflanzen« sollten mit Unterstützung von Kulturschaffenden zu einem sichtbaren Klimaschutz-Mosaik verbunden werden; als Nebeneffekt würden dadurch die bereits vorhandenen Aktionsfelder und Akteure vernetzt werden. Zum Abschluss ziehen die Teilnehmenden Bilanz. Acht Stunden lang waren sie zu Mitgestalterinnen und Mitgestaltern einer exemplarischen Wir-Kultur geworden. Sie hatten ein Gefühl dafür bekommen, dass für wirklichen Wandel vor allem eine Atmosphäre der Kooperation und Partizipation unabdingbar sei. Ein Mann fasst dies für sich in die Worte »Statt alleine gegen Windmühlen, sich zusammen für Windräder einsetzen!«. Zum Abschied erhalten alle je zwei Bohnensamen. Diese symbolisieren die nächsten Schritte: Eine Bohne bleibt im eigenen Besitz mit der Aufgabe, das in der Werkstatt Erfahrene zum Blühen zu bringen. Der andere Same soll weitergegeben werden an eine Person, die man in den nächsten Tagen für den CCL-Prozess gewinnen möchte. Denn bei der Integration neuer Erkenntnisse und Verhaltensweisen in den Alltag ist es hilfreich, sich gegenseitig zu erinnern und zu ermutigen sowie neue Erkenntnisse weiterzutragen.
Von der Werkstatt zum CCL-Prozess Zusätzlich zu den Veranstaltungen vor Ort bietet das CCL-Projekt eine Vernetzungs- und Lernplattform im Internet mit einer Fülle an Inhalten und Möglichkeiten. Für die Oya-Leserschaft hat sich das CCL hier ein besonderes Angebot ausgedacht: Über kurzlink.de/oya-ccl und das Passwort oya-lesen gelangen Sie in einen eigenen, geschützten Bereich, wo Sie mit anderen Oya-Rezipienten kommunizieren können. Nehmen Sie sich bewusst für einen gewissen Zeitraum eine einzelne klimafreundliche Handlung vor (beispielsweise den Verzicht aufs Auto) und berichten Sie auf der Plattform darüber! Suchen Sie online Gleichgesinnte, mit denen Sie sich zu einer Gruppe zusammenschließen – idealerweise nicht nur virtuell, sondern auch in Ihrer realen Nachbarschaft! Selbstverständlich können Sie sich auf der Plattform auch für die Teilnahme an einer der CCL-Werkstätten anmelden. Bisher wurden sieben kommunale Veranstaltungen in Kooperation mit den jeweiligen Städten und Gemeinden durchgeführt; weitere sind in Planung. Über ihre individuellen Fortschritte im KlimaKultur-Wandel werden sich die Teilnehmenden in drei abschließenden überregionalen Werkstätten im Süden, im Norden und in der Mitte Deutschlands austauschen. Die erste wird am 30. November in Viernheim bei Mannheim stattfinden. Alle Veranstaltungen stehen Interessierten offen.
Unterm Strich Der CCL-Prozess wendet sich der Kluft zwischen Denken und Handeln zu, wenn es um die oft nur intellektuell wahrgenommene Frage geht, was wir gegen die Erdüberhitzung tun können. Dem zumeist verdrängten Gefühl der Bedrohung wird hier mit der Arbeit an kreativen Verhaltensalternativen und dem Aufbau eines Gemeinschaftsgefühls begegnet. In ihren zahlreichen Rückmeldungen bestätigten jene, die an den bisherigen Werkstätten teilgenommen haben, wie hoch sie die Relevanz dieser praktischen Wandelangebote einschätzen.
Marian Bichler (59), Umweltjournalistin, schreibt Texte unter anderem für das »ClimateCulture-Lab«.
Felix Wagner (39), Transformationsforscher und Kulturpraktiker.