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Lösungen für alle?

Christine Neuhaus sprach mit Professor Franz ­Wiesler, ihrem Chef, über Landwirtschaftvon Christine Neuhaus, Franz Wiesler, erschienen in Ausgabe #52/2019
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Seit einigen Jahren arbeite ich als Verwaltungsangestellte in der Landwirtschaftlichen Untersuchungs- und Forschungsanstalt (LUFA) in Speyer. Die Idee, meinen Chef, Professor Franz Wiesler, für diese Ausgabe zu interviewen, kam mir, weil er für das Thema Nachhaltigkeit immer offene Ohren hat. Im Nachhinein erschien mir mein Ansinnen als recht naiv, hat er doch in allen sachlichen Fragen einen enormen Wissensvorsprung. Wir sprachen in seinem Büro, unterbrochen von Telefonanrufen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die persönlich vor der Tür standen.
 In das Gespräch ging ich mit der Überzeugung »mit Bio-Landwirtschaft können wir – ein wenig – die Welt retten«. Nach dem ­Gespräch hatte ich mehr Zweifel und neue Fragen.


[Christine Neuhaus]   Die Zeitschrift Oya stellt Projekte, Ideen und Menschen vor, die sich darum bemühen, unsere Welt nachhaltiger und solidarischer zu gestalten. Typische Oya-Themen sind zum Beispiel Permakultur, Biolandbau, alternative Wohnformen, Bauen mit Lehm oder »gutes Sterben«.
 
[Franz Wiesler]   Das sind alles sehr interessante Themen. Die Frage ist nur, ob diese sehr lobenswerten Initiativen als Grundlage für das Verhalten der gesamten Weltbevölkerung dienen könnten. Wenn in ein paar Jahren bald neun Milliarden Menschen auf der Welt leben – sollen sie dann alle in Lehmhäusern in riesengroßen Gartenstädten wohnen? Tatsächlich gibt es auf der ganzen Welt eine starke Tendenz zur Urbanisierung. Diese alternativen Wohnformen sind eine schöne Vorstellung, aber ich bezweifle, dass sie in größerem Umfang realisierbar sind.

Im Vorgespräch hatten Sie auch einen ähnlichen Konflikt in der Landwirtschaft erwähnt: Biolandbau sei eine nette Sache für einen Teil des deutschen Mittelstands; die Weltbevölkerung ließe sich damit nicht ernähren.
Ja, wobei ich den Biolandbau wirklich sehr schätze. Aber wir können damit nicht die gesamte Menschheit ernähren – vor allem, wenn alle unseren Lebensstil pflegen wollen. Biolandbau ist auch nicht per se nachhaltig.

Das verstehe ich nicht. Wer einen Hof mit Wiese, Weide, Getreide- und Gemüseanbau sowie Tieren bewirtschaftet, kann doch die Fäkalien der Tiere und die Gemüseabfälle wieder zum Düngen der Äcker verwenden. Das ist doch ein geschlossener Kreislauf, bei dem kein künstlicher Dünger von außen eingebracht werden muss.
Überlegen Sie weiter: Sie leben in der Stadt und kaufen ihre ganzen Lebensmittel vom Biohof. Dadurch werden dem Betrieb ­Mineralstoffe, zum Beispiel Phosphor, entzogen.
Aber wird das Phosphat nicht durch den Tierdung ersetzt?
Wo kommt das Tierfutter denn in unserem Beispiel her?

Von der Weide.
Das heißt aber dann, dass mindestens die Weide an Nährstoffen verarmt. Deshalb hieß es früher auch einmal: »Die Wiese ist die Mutter des Ackerbaus.«

In einem Oya-Artikel über Klärschlamm wird die Idee dargelegt, Maßnahmen zu ergreifen, den Klärschlamm wieder schadstofffreier zu erhalten, so dass er wieder unbedenklich landwirtschaftlich verwendet werden kann und das Phosphat erhalten bleibt.
Die Zielrichtung stimmt, das steht auch in der neuen Klärschlammverordung. Nur wird heute nicht mehr angestrebt, den Klärschlamm direkt landwirtschaftlich zu verwerten, sondern er wird verbrannt und aus der Asche wird das Phosphat herausgezogen. In unserem Beispiel müsste dann der Biobetrieb bereit sein, mineralische Phosphatdünger, die aus der Verbrennungsasche hergestellt werden, aufzunehmen. Sie haben im Moment ­häufig das Problem, dass Sie auch im biologischen Landbau keinen ­geschlossenen Kreislauf hinbekommen, letztlich also Raubbau betreiben.

Aber wir als Gesellschaft betreiben doch im Moment in viel größerem Umfang Raubbau! Durch die NPK-Düngung mit Stickstoff, Phosphat und Kalium kommt es doch oft zu einer Überdüngung und Belastung des Wassers mit Stickstoff.
Bleiben wir mal beim Stickstoff – durch das Haber-Bosch-Verfahren wird er aus der Luft gewonnen.

Dieses Verfahren ist wegen des hohen Energieaufwands aber klimaschädlich – ganz generell haben wir es ja offenbar mit diesem Problem zu tun: Entweder verhungert ein Teil der Menschheit, weil zu wenig Nahrung erzeugt werden kann, oder die Leute kommen wegen des Klimawandels durch Extremwettersituationen ums Leben.
Das ist jetzt aber ein ganz anderes Thema. Da sollten wir schon ein bisschen mehr differenzieren: Wird das Haber-Bosch-Verfahren zur Erzeugung von Pflanzenmasse eingesetzt, ist die Energiebilanz noch ganz gut. Werden die Pflanzen in der Tierhaltung eingesetzt, sieht es schon ganz anders aus.
Mit der Stickstoff-Düngung werden wirklich große Ertragszuwächse erzielt. Wir erzeugen ja weltweit 120 Millionen Tonnen ­reaktiven Stickstoff. Also wir stellen aus N2, was eine ganz träge Verbindung ist, Ammonium oder Nitrat her. Dieser Stickstoff wird nicht nur von den Pflanzen aufgenommen, sondern er gelangt auch in die Umwelt: Das sind die negativen Auswirkungen von diesem Einsatz. Ich bin zwar der Meinung, dass der Einsatz von synthetischem N-Dünger alternativlos ist, aber wir müssen effizienter damit umgehen; wir dürfen zum Beispiel nicht überall Höchsterträge anstreben.
Was Phosphor betrifft, da haben Sie recht: Diese Vorräte sind begrenzt, sie reichen nach heutigem Wissen wahrscheinlich noch drei- bis vierhundert Jahre. Also müssen wir sparsam mit ihnen umgehen.

Gibt es etwas, das Ihnen Sorgen in Bezug auf die Umwelt und die Zukunft der Menschheit bereitet?
Ich denke, dass eines unserer größten Probleme global der Klima­wandel ist und dass wir völlig unzureichende Werkzeuge einsetzen, um diesen aufzuhalten. Da werden ein oder zwei Techniken mit Nachdruck verfolgt, nämlich die Windkraft und die Fotovoltaik, während andere Werkzeuge viel zu wenig beachtet werden.
Hier steht an erster Stelle die Erhöhung der Effizienz des Energieeinsatzes. Ich halte zum Beispiel den ganzen Hype um die Elektromobilität für gefährlich. Es gibt definitiv kein Null-Emmissionen-Auto. Der zweite Hebel, den wir praktisch überhaupt nicht berücksichtigen, ist die Suffizienz.

Ja, wir hatten uns ja vor ein paar Jahren bei einem Vortrag des Postwachstumsökonomen Niko Paech getroffen. Wie finden Sie seine Ideen?
Der hat schon eine recht extreme Einstellung. Seine Vorstellungen sind mit einem Systemwechsel verbunden, der allein aufgrund der menschlichen Trägheit so nicht kommen wird. Dessen­ ungeachtet finde ich seinen Ansatz konsequent und gut.

In meiner Erinnerung hat er nicht von außergewöhnlichen Schritten gesprochen: möglichst kein Auto fahren oder fliegen, die Wochenarbeitszeit reduzieren und mit der gewonnen Zeit weniger konsumieren, reparieren statt neu kaufen. Nichts davon tut mir richtig weh, im Gegenteil. Was fanden Sie denn an Herrn Paech so ex­trem? Dass am besten niemand mehr Auto fahren sollte?
Ich persönlich bin dafür, weniger Auto zu fahren und mehr öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Extrem fand ich zum Beispiel, dass Herr Paech offenbar von der Arbeitsteilungsgesellschaft weg will.

So habe ich ihn nicht verstanden. Es ging ihm vor allem darum, weniger Zeit für Lohnarbeit einzusetzen. Das würde ermöglichen, mehr Dinge selberzumachen, die sonst für Geld von anderen hergestellt werden müssten, statt immer alles neu zu kaufen, und in der knappen Freizeit teure Urlaube zu buchen, um das Gefühl zu kompensieren, nichts mehr vom eigenen ­Leben mitzubekommen.
Ja, wir werden wieder alle Bauern …

Höchstens alle Freizeitbauern … Noch eine persönliche Frage zum Schluss: Was treibt Sie im Leben und bei der Arbeit an? Was gibt Ihnen das Gefühl von Sinn?
Ich stamme von einem kleinen Bauernhof im Schwarzwald. Dass ich die Möglichkeit hatte, Abitur zu machen, zu studieren und eine gute Arbeitsstelle zu finden, empfinde ich als großes Glück und auch als Herausforderung. Sinn ergibt für mich, die Dinge, die ich gelernt habe, in Handlungen umzusetzen, zum Beispiel in Forschungsprojekte an der LUFA für eine gewässerschonende Landwirtschaft. Sinn ergibt sicherlich auch, jungen Menschen etwas zu vermitteln, was diese zum Nachdenken über einen nachhaltigen Lebensstil bewegt.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Christine Neuhaus (55) lebt mit Mann und Tochter in Speyer. Sie betreut in der Landwirtschaftlichen Untersuchungs- und Forschungsanstalt Speyer als Verwaltungsfachkraft den Bereich Klärschlämme. In ihrer Freizeit arbeitet sie in ihrem naturnahen Garten.

Prof. Dr. Franz Wiesler (62) ist seit 2002 wissenschaftlicher Direktor der Landwirtschaftlichen Untersuchungs- und Forschungsanstalt Speyer. Er ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats für Düngungsfragen des Bundeslandwirtschaftsministeriums.


Es ist sicherlich richtig, wenn diejenigen, die sich für kleine ökosozia­le Projekte engagieren, sich kritisch fragen, ob ihre Lösungen jemals für Millionenstädte relevant sein können. Aber gleichzeitig erscheint es mir wichtig, sich durch diese Unsicherheit nicht davon abbringen zu lassen, das zu tun, was intuitiv richtig erscheint. Ich persönlich werde meinen Garten weiterhin mit Kompost und nicht mit synthetischem Stickstoff versorgen.

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