Titelthema

Handbuch zur Selbstermächtigung

Passagen aus Starhawks praxiserprobtem Ratgeber fürs ­Gemeinschaffen.
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© Alli Gallixsee

Es ist ein Handbuch im besten Sinn: Das »Empowerment Manual« von Starhawk nehme ich in die Hand, wenn ich nicht mehr weiterweiß. Das war schon oft der Fall. Starhawk ist eine weltweit bekannte Permakulturlehrerin aus Kalifornien, Friedensaktivistin, Feministin und Naturmystikerin. Sie versucht, alle diese Aspekte in ihren »Earth Activist Trainings« zu verbinden. Aus dem Handbuch spricht jahrzehntelange Erfahrung in selbstorganisierten Gruppen verschiedener Art. Die zentrale Frage darin lautet: Wie können wir in unseren Projekten einen Raum schaffen, in dem wir uns gegenseitig darin fördern, uns zu unserer vollen Größe, Stärke und Schönheit zu entfalten? Wie gehen wir dabei mit den hierarchischen Erfahrungen um, die in unsere Körper und Gedanken eingeschrieben sind?
Das Buch enthält eine Vielzahl von Erklärungen, Begriffsbestimmungen und konkreten Hinweisen, die eine direkte Weiterarbeit und sofortige praktische Anwendung möglich machen. Es behandelt viele Themen, die in Gruppen zu verschiedenen Zeiten wichtig sind, und erklärt sie anschaulich anhand der fiktiven Geschichte des Ökodorfs »RootBound«, in dem Schwierigkeiten auftreten. Zunächst zeigt Starhawk, wie in einem Visionskreis die Grundlagen einer Gruppe erarbeitet werden können. Anschließend beschreibt sie die Handlungsachse »Macht und Verantwortung«, gefolgt von der Lernachse »Kommunikation und Vertrauen«. Sie stellt Führungsrollen für führerlose Gruppen vor, erläutert typische Gruppenkonflikte und den Umgang mit »schwierigen Leuten«. Abschließend gibt sie noch einige Beispiele von gut funktionierender Gruppenarbeit.
Die Oya-Redaktion hat einige Auszüge zum Thema »Macht und Führung« aus Starhawks Buch übersetzt: 

Was ist Macht?
In gemeinschaffenden Gruppen treffen wir meist viele Formen von Macht an. Um effizient arbeiten zu können, müssen wir ihre Unterschiede begreifen.
»Macht-über« – oder strafende Macht  – ist eine Form, mit der wir alle aus hierarchischen Zusammenhängen vertraut sind. Es ist die Macht, die eine Person oder eine Gruppe über eine andere ausübt, indem sie etwa Ressourcen kontrolliert, Strafen verhängt, jemanden einstellt oder entlässt. Diese Macht wird von staatlicher Seite garantiert, von den Gesetzen und den damit verbundenen Gewaltandrohungen.
Selbstverwaltete Gruppen versuchen im Allgemeinen, so wenig Macht-über wie möglich einzusetzen. Sie haben keine Chefinnen, die einstellen oder entlassen könnten, und oft keine Strafandrohungen. Sie pflegen eine andere Art von Macht, die »Macht-von-innen«, oder Er-mächtigung. Das ist die kreative Macht, die wir fühlen, wenn wir singen, schreiben, tanzen oder Kunst erschaffen. Sie kann auch Mut sein – die Macht, die wir fühlen, eine unbequeme Wahrheit auszusprechen oder für einen Wert einzustehen, an den wir glauben – oder die seelische Kraft, deren Fließen wir in den Augenblicken der tiefen Verbindung mit den schöpferischen Kräften des Universums spüren.
Wenn ermächtigte Menschen sich verbinden, können sie »kollektive Macht« entwickeln: Die Macht, die wir als Gruppe ­haben, wenn wir gemeinsam handeln. Ein anderes Wort dafür ist der gute alte Gewerkschaftsbegriff »Solidarität«. Um schwierige Zeiten durchzustehen, brauchen wir einander. Wir müssen wissen, dass wir Teil einer starken Gemeinschaft sind, auf die wir uns verlassen können.
Solidarität heißt, dass ich bereit bin, meine eigenen Interessen den gemeinsamen Interessen unterzuordnen.
Es gibt eine vierte Art von Macht, die bei Gruppen häufig Verwirrung auslöst und zum Scheitern führen kann. Ich nenne sie »Macht-mit« oder »soziale Macht«, andere Worte dafür wären Einfluss, Rang, Status oder Autorität. Es ist die Macht, die dafür sorgt, dass du in einer Gruppe gehört wirst, wie viel Gewicht deine Meinung hat und welcher Respekt dir entgegengebracht wird. Selbstorganisierte Gruppen, die Macht-über und Hierarchien auflösen wollen, haben oft Schwierigkeiten damit, soziale Macht zu erkennen und mit ihr umzugehen. Aber in allen menschlichen Gruppen gibt es Unterschiede in Rang und Status, wie fein sie auch sein mögen.

Verdiente und unverdiente soziale Macht
Die verschiedenen Spielarten sozialer Macht zu verstehen, ist ein Schlüssel für den Aufbau arbeitsfähiger gemeinschaffender Gruppen. Konflikte rund um soziale Macht gehören nämlich zu ihren Sollbruchstellen. Wird sie mit strafender Macht verwechselt oder auch mit unverdienter sozialer Macht, die jemandem aufgrund von Geschlecht, Herkunft, sozialer Klasse oder Wohlstand zugeschrieben wird, kann dies die Selbstermächtigung aller Mitglieder untergraben. Eine Gruppe, die verdiente soziale Macht weder bewusst anerkennt noch beschließt, wie Menschen sie erwerben und ausüben können, läuft Gefahr, irgendwann ihre stärksten und engagiertesten Mitglieder zu verlieren. Dort mag zwar Gleichheit herrschen – dennoch wird es extrem unfair zugehen. Sollte ich jemals meine eigenen Sprichwörter zu Macht verfassen, stünde Folgendes an allererster Stelle: Gruppen, die ihren Mitgliedern nicht erlauben, verdient soziale Macht zu erwerben, begünstigen unweigerlich solche mit unverdienter sozialer Macht. Die Lautesten, Stärksten, am besten Gebildeten und Charismatischsten werden gehört; diejenigen, die sich tatsächlich um die Arbeit kümmern, werden ignoriert.
Oft werden in solchen Fällen auch Grenzen gegenüber denjenigen, die eine Geschichte der Unterdrückung hinter sich haben, aufgebaut. In Bevölkerungsgruppen, die unter Vorurteilen und Rassismus gelitten haben, spielen oft persönliche Titel, die Respekt ausdrücken, eine viel größere Rolle als in privilegierteren Gruppen. Wenn du in einer feindlichen Umgebung, die dich wegen deiner Hautfarbe oder Religion erniedrigt, aufgewachsen bist, gründet sich dein Selbstrespekt womöglich auf die soziale Macht, die du dir in deiner Gruppe verdient hast und die durch einen Ehrentitel ausgedrückt wird. Wirst du vom Rest der Gesellschaft mit »Mädchen« angesprochen, ist es dir vielleicht wichtig, in deiner eigenen Gemeinschaft »Miss Jane«, »Mama Sylvia« oder »Bruder Mo« zu heißen. Kommt Miss Jane nun zu einem Tag der offenen Tür in eine Gruppe, die sich Gleichheit zum absoluten Ziel gesetzt hat, und Leute nennen sie schon am Eingang »Jane«, kehrt sie wahrscheinlich auf der Schwelle um und wird nie wiederkommen, weil sie überzeugt ist, dass sie in eine rassistische Gruppe geraten ist.
Wo egalitäre Ideale hochgehalten werden, gilt es in der Regel als Norm, dass Leitfiguren keinerlei besondere Vergünstigungen erhalten. Nur weil jemand ein Treffen moderiert, ist sie oder er nicht berechtigt, sich an den Anfang der Schlange bei der Essensausgabe zu stellen. Alte und junge, wichtige und weniger wichtige Personen warten hier alle zusammen – ein Bild für den Wert, den Gleichheit in dieser Gruppe hat. In vielen indigenen Gruppen allerdings wird zuerst den Ältesten das Essen serviert. Sie werden in der Schlange nach vorne geführt oder bekommen ihren Teller als erste an ihren Platz gebracht. Sie haben sich Re­spekt verdient, indem sie es geschafft haben, in einer für indigene Menschen feindlichen Welt zu überleben, und weil sie als Trägerinnen und Träger von Kultur und Tradition wertgeschätzt werden. Mit allen anderen anzustehen, würde sie beleidigen. Damit wir solche Fallen umgehen, müssen wir den Unterschied zwischen unverdienter und verdienter Macht verstehen. Einerseits ist es wichtig, Privilegien zu erkennen und zu begrenzen, während wir andererseits Menschen ermutigen sollten, sich auf eine positive Weise Macht und Respekt zu verdienen und dafür auch angemessen belohnt zu werden.

Wenn du ­Führungspersonen anzweifelst
Selbstverständlich ist es möglich, die Führungspersonen in Frage zu stellen. Es ist auch möglich, die Gründungsperson einer Organisation ihres Amts zu entheben – aber sei dir bewusst, dass dich diese Aktion vieles kosten wird, und wenn du scheiterst, wirst du es teuer bezahlen. Hast du Erfolg, wird es die Gruppe teuer bezahlen: zum Beispiel, wenn die abgesetzte Person einen wesentlichen Teil der Arbeit übernommen hatte, wenn sie viele Unterstützerinnen und Unterstützer hat oder wenn sie die Gruppe in der Öffentlichkeit repräsentiert hatte. Eine solche Kampagne kann die Arbeitsfähigkeit der Gruppe verringern und für Gesichtsverlust sorgen, vielleicht sogar für den Verlust der Finanzierung. Du findest womöglich Menschen, die dich unterstützen, aber es ist nicht gesagt, dass sie dir auch vertrauen und dich mögen. Das Maß an Vertrauen in der Gruppe wird insgesamt schwinden, und es wird unter Umständen lange dauern, es wieder aufzubauen. Bevor du dich also auf einen solchen Weg machst oder jemand dich auffordert, ihn mitzugehen – stelle folgende Fragen:

→ Ist tatsächlich Person X das Problem?
→ Welche Verhaltensweisen beunruhigen uns?
→ Gibt es Strukturen, durch die wir X Rückmeldungen geben und für dieses Verhalten verantwortlich machen können?
→ Wenn ja, haben wir sie vollends
ausgenutzt?
→ Wenn nein, können wir Strukturen aufbauen, um dieses Problem anzu­sprechen, nicht nur X betreffend, sondern für alle?
Existieren keine Strukturen, in denen jemand Rechenschaft ablegen bzw. sich vor anderen verantworten kann, initiiere eine Kampagne, um sie aufzubauen. Dann wirst du von der Gruppe als hilfreich, nicht als gefährlich betrachtet. Es könnte sogar sein, dass du X dazu bewegst, dich dabei zu unterstützen. Stehen solche Werkzeuge einmal zur Verfügung, kannst du mit ihrer Hilfe das störende Verhalten direkt und konstruktiv ansprechen.
Folgende Fragen können zu weiteren nützlichen Erkenntnissen führen:
→ Ist jemand bereit, an die Stelle von X zu treten und seine Arbeit zu übernehmen? Wäre ich es?
→ Welche Grenzen halten Menschen davon ab, mehr Arbeit oder Verantwortung zu schultern? Sind es interne Gründe, wie ein Mangel an Wissen, Information oder Vertrauen, die wir durch Ausbildung oder Begleitung im Sinn eines Mentors, einer Mentorin, beseitigen können?
→ Oder gibt es externe Grenzen – Zeitknappheit, finanzieller Stress, andere Verpflichtungen? Gibt es Wege, sie anzusprechen und zu ändern? Könnte es zum Beispiel helfen, während der Treffen eine Kinder­betreuung anzubieten?
→ Pflegen wir in unserer Gruppe eine Kultur, in der Menschen, die Verantwortung tragen, ihre Nachfolgerinnen und Nachfolger schon lange, bevor sie von ihrer Rolle zurücktreten, in die eigene Arbeit einweisen?
Ist Letzteres nicht der Fall, gehe das Wagnis ein, eine Kampagne zu starten, die eine solche Kultur etabliert. Fang bei dir selbst an: Gibst du die Fähigkeiten, die zu deiner Rolle gehören, an Andere weiter? Teilst du Kompetenzen und Informationen? Wenn du selbst mit gutem Beispiel vorangehst, kannst du auch Andere überzeugen, einschließlich X, das Gleiche zu tun.

Wenn deine Führungsrolle angezweifelt wird
Frage dich selbst oder bitte eine vertraute Person, dich zu fragen:
→ Meine ich, dass ich angegriffen werde? Frage dich, woran du das zu erkennen glaubst, und tritt innerlich einen Schritt zurück.
→ Auf welches Verhalten oder auf welche Aussagen von Menschen reagiere ich besonders stark?
→ Wie fühle ich mich im Augenblick tatsächlich: Ängstlich? Verletzt? Traurig? Wütend? Was kann ich durch die Wolken dieser Emotionen hindurch im Moment nicht sehen?
→ Nehme ich selektiv wahr – picke ich mir Informationen wie die Rosinen aus dem Brei und ignoriere Aussagen, die ­meinen Annahmen oder Geschichten zuwiderlaufen?
→ Wird mir auf eine destruktive, wenig hilfreiche Weise Feedback gegeben?
→ Liegt ein Körnchen Wahrheit in diesem destruktiven Feedback, dem ich Gehör schenken sollte?
→ Welche Informationen über die Gruppe und über mein Verhalten gibt mir dieses Vorgehen?
→ Bin ich der Meinung, dass ich etwas an meiner Umgangs- und Arbeitsweise ändern sollte? Was sind meine eigenen schwierigen Charakterzüge?
Bitte deine Freundinnen, Freunde und Verbündete um ehrliche Rückmeldungen. Behaupte dich. Höre auf das Körnchen Wahrheit in der Kritik, aber lasse keine persönlichen Angriffe zu. Übe keine Rache, aber akzeptiere auch keinen Missbrauch. Mache deine eigenen Grenzen klar und stehe zu ihnen. Greife auch dich selbst nicht an, weder mit nach innen gerichteten Vorwürfen noch äußerlich. Du hast Fehler gemacht – das ist unvermeidlich, wenn du dich auf Risiken und auf Wachstumsprozesse einlässt. Trotzdem hast du das Recht, dass deine Arbeit gewürdigt wird und dir Respekt für das, was du für die Gruppe getan hast, entgegengebracht wird. Sofern dies gegeben ist, entschuldige dich aufrichtig und bitte die Gruppe, dir dabei zu helfen, dich zu ändern.
Frage dich weiter:
→ Erhalte ich Unterstützung durch Mentoring oder gegenseitiges Coaching? Wenn nicht, kann ich solche Strukturen für mich aufbauen? Wem vertraue ich, wen respektiere ich, so dass ich mir von dieser Person Feedback wünschen kann?
→ Gebe ich Wissen an potenzielle Nachfolgerinnen und Nachfolger weiter? Wenn ja, mache dies in der Gruppe bekannt und informiere darüber, wie jemand Teil dieses Bildungsprozesses werden kann. Falls nicht, fange damit unverzüglich an.
→ Gibt es in der Gruppe Strukturen, die konstruktives Feedback und Entlastung ermöglichen? Wenn nicht, kann ich meine Leitungsrolle dafür einsetzen, sie zu schaffen? Wie möchte ich gerne Rückmeldungen bekommen und Rechenschaft ablegen?

Selbstermächtigung fördern
Eine Person, die ihre leitende Rolle so ausfüllt, dass sie andere zur Entfaltung ihres eigenen Potenzials ermächtigt, stellt sich in den Dienst einer Vision mit so viel Weite und Tiefe, dass sie andere inspiriert und dazu einlädt, sie zu ihrer eigenen zu machen. Als Rob Hopkins die Transition-Town-Bewegung gründete, war seine Vision viel zu groß, als dass eine Person sie alleine hätte verwirklichen können. Es gab darin Raum für viele Menschen, ihre eigenen kreativen Ideen zu verwirklichen – ob sie eine Baulücke in einen Gemeinschaftsgarten oder einen Stadtpark in einen Waldgarten verwandelten, ob sie sich für erneuerbare Energien einsetzten – ­alles konnte Teil der Bewegung sein. Viele Menschen haben sich in diesem Zusammenhang selbst ermächtigt, Initiative zu ergreifen und eigene Führungsqualitäten zu entwickeln.
Eine ermächtigende Führungsperson entwickelt eine kollektive Strategie – Pläne, um von hier nach dort zu gelangen, mit Meilensteinen entlang des Wegs, die es zu erreichen gilt. Sie erteilt äußerst selten Anweisungen, sondern geht vor allem mit gutem Beispiel voran und leistet Überzeugungsarbeit. Wird aber von ihr eine klare Anweisung gewünscht, scheut sie nicht davor zurück, sich nach vorne zu stellen und diese auch zu geben – um baldmöglichst wieder einen Schritt zurück zu demokratischer Entscheidungsfindung zu gehen.
Eine solche Person kann gut im Hintergrund bleiben. Sie drängt sich nicht in den Lichtkegel auf der Bühne, sondern versucht, öffentliche Aufmerksamkeit zu teilen. Die Bedürfnisse der Gruppe stehen für sie an erster Stelle, sie macht sich darüber Gedanken, wie jede ihrer Handlungen die Gruppe beeinflussen wird. Sie ist begierig, Neues zu lernen, ist bereit zu verzeihen, und leistet Wiedergutmachung.
Diese Person steht selbstverständlich für ein Ideal, nach dem wir streben können, aber wir werden meist in der einen oder anderen Hinsicht dahinter zurückfallen. Wer keine Fehler macht, ist vermutlich nicht experimentierfreudig genug.

Rollen zirkulieren lassen
Macht hat die Tendenz, sich bei bestimmten Personen zu konzentrieren. Selbst die wohlmeinendste Führungsfigur kann leicht in die Falle geraten, über längere Zeit hinweg unbewusst Macht zu horten. Wenn sich Macht dauerhaft etabliert, gerät die Gruppe meist in eine Stagnation. Damit die Macht zirkulieren und frei von einer zum anderen fließen kann, ist es hilfreich, folgende Schlüsselelemente in die Gruppenstruktur zu integrieren.

Machtkonzentration vermeiden
Wir können miteinander vereinbaren, wieviel Verantwortung eine einzelne Person übernehmen darf, zum Beispiel in wievielen Gremien sie Mitglied werden oder wie viele Aspekte eines Projekts sie koordinieren darf. Große Aufgaben lassen sich in viele kleine aufgliedern und untereinander verteilen.

Rollen und Verantwortung teilen
Treffen werden typischerweise von mehr als einer Person moderiert. Wann ­immer dies möglich wird, können wir die je eigenen Stärken gegenseitig bekräftigen und die je eigenen Schwächen gemeinsam ausgleichen. Eine von Natur aus sanftmütige Person, die insbesondere kooperative Fähigkeiten hat, könnte sich eine Partnerin suchen, die eher die Qualitäten eines Grenzen wahrenden Drachen verkörpert.

Rollen und Verantwortlichkeiten rotieren lassen
Viele Rollen werden am besten rotierend besetzt. Manche stellen einen Menschen auf die Mitte der Bühne, zum Beispiel die Pressesprecherin. Wer eine solche Rolle übernimmt, erhält mehr Aufmerksamkeit – sowohl positive als auch negative. Durch Rotation verteilen sich Lob und Tadel fair­er auf alle Beteiligten.
Andere Rollen gelten eher als lästige Pflichten – bei Treffen Protokolle schreiben und sie anschließend herumschicken, Kompost umsetzen oder Geschirr spülen. Werden sie geteilt, bleibt die ungeliebte Aufgabe nicht an einer Person hängen.

Trainieren und ausbilden
Bestimmte Rollen auszufüllen, erfordert Ausbildung und Vorbereitung, zum Beispiel Großgruppenmoderation, Buchhaltung oder Ableger von Pflanzen zu ziehen. Wir können Wege finden, wie Mitglieder solche speziellen Fertigkeiten erlernen können – indem sie bei anderen in die Lehre gehen oder von einer Mentorin begleitet werden. Bemerkt die Gruppe, dass sie als Ganzes weitere Fähigkeiten erwerben sollte – zum Beispiel Methoden der Konsensfindung – sollte sie Ressourcen zur Verfügung stellen, damit sich alle Mitglieder entsprechend weiterbilden können. Das wird sich langfristig auszahlen – viele Stunden fruchtloser Debatten werden vermieden!

Macht weitergeben
Es gehört zu den Aufgaben jeder Führungsperson, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wann es an der Zeit ist, die eigene Rolle abzugeben. Wir können uns darauf verlassen, dass jemand anderes die Aufgaben und Verantwortlichkeiten übernehmen wird, wenn wir sie abgeben. Das gibt uns die Freiheit, neue Interessensgebiete zu entwickeln und uns neuen Herausforderungen zuzuwenden.

Schlusswort
Im »Empowerment Manual« geht es immer wieder darum, wie es gelingen kann, die Nützlichkeit zeitweiliger Leitung und die Verdienste von Gruppenmitgliedern anzuerkennen und dennoch sensibel für gesellschaftliche Diskriminierungsstrukturen zu bleiben, die es manchen Menschen schwermachen, Verdienste zu erwerben oder Führung zu übernehmen. Diese Überlegungen wenden sich sowohl gegen ein unkritisches Feiern von »Führungsqualitäten« als auch gegen die Idee, alle Gruppenmitglieder müssten, obwohl mit sehr verschiedenen Fähigkeiten ausgestattet, immer genau gleich behandelt werden.
Viele Erfahrungen mit kritischen Punkten in Gemeinschaften und selbstorganisierten Gruppen sind schon gemacht worden. Nun gilt es, aus ihnen auch zu lernen!



Mit Starhawk arbeiten
Das Buch lesen: Starhawk: 
The Empowerment Manual. A Guide for Collaborative Groups. New Society Publishers, 2011.
Ein kostenloses Zusatzkapitel findet sich auf www.starhawk.org.

 

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