Seit fast vier Jahrzehnten engagiert sich Netzwerker und Kommunalpolitiker Jürgen Osterlänger im mittelfränkischen Aischtal für enkeltaugliche Strukturen.von Lara Mallien, erschienen in Ausgabe #57/2020
Als Jürgen Osterlänger im Jahr 2009 erstmals von der Transition-Town-Bewegung erfuhr, war er begeistert: Endlich ein Konzept, das radikal auf »gutes Leben für alle« ausgerichtet ist, das an der »Graswurzel« ansetzt und doch in die Politik hineinwirkt! Jürgen, heute 61 Jahre alt, engagiert sich schon seit Mitte der 1980er Jahre für seine Region rund um die Kleinstadt Emskirchen in Mittelfranken, sei es in einer BUND-Ortsgruppe, in der Kommunalpolitik oder als Moderator von lokalen Agenda-21-Prozessen. Von Letzteren hatte er sich viel versprochen, doch sie verloren zunehmend an Bedeutung. Die Aussicht, mit einer Transition-Town-Gruppe Teil einer globalen, selbstorganisierten Bewegung zu werden, beflügelte Jürgen. 2009 reiste er an ihren Ursprungsort Totnes in der südenglischen Grafschaft Devon und gründete, wieder zu Hause, die Transition-Gruppe »Emskirchen im Wandel«. Über neun Jahre hinweg wurden unzählige Treffen, Wanderungen, Filmvorführungen und Diskussionsabende veranstaltet. Aber was Jürgen sich erhofft hatte – dass daraus Projekte hervorgehen würden, die Emskirchen tatsächlich verändern könnten –, geschah nicht. »Im vergangenen Frühjahr zogen wir die Konsequenz«, erzählt er. »Es bringt nichts, wenn auf unseren Veranstaltungen zwar angeregt diskutiert wird, aber die Leute nach Hause gehen und mehr oder weniger so weitermachen, wie gehabt. Wir würden unser Einzugsgebiet erweitern und viel stärker auf Selbstorganisation setzen.« Mit seinen Mitstreiterinnen Evi Schöllmann, Karin Kloth und Karin Schiller startete er die Initiative »Landkreis NEA im Wandel« – NEA steht für den Kreis »Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim«, in dem etwa 100 000 Menschen leben. Zum ersten »Wandeltreffen« kamen 40 Interessierte. Die vier, die eingeladen hatten, machten eingangs deutlich: Bei dieser Initiative ist niemand das Zugpferd, es gibt keinen Verein mit besonders Verantwortlichen, die Initiative steht und fällt mit persönlichem Engagement. Im Verlauf des Treffens gründeten sich fünf Arbeitsgruppen zu den Themen »Kommunikation«, »Gemeinschaft«, »Landwirtschaft und Ernährung«, »Müll und Wiederverwertung« sowie »Klimaschutz«. Jürgen war zunächst skeptisch, ob diese Gruppen eine sinnvolle Gesprächskultur entwickeln würden, da die Wenigsten in Moderation geübt oder geschult waren. Nach den ersten Runden gewann er jedoch die Zuversicht, dass hier eine ganz eigene Lernkultur entstehen werde. Die Beteiligten fanden ihre Form, Treffen zu eröffnen, zu dokumentieren und ihre Themen fortzuführen. Die AG Klimaschutz nutzte für ein Treffen mit Aktiven von Fridays for Future die Methode des Kreisgesprächs, bei dem niemand dazwischenredet und alle sich um konstruktive, positive Beiträge bemühen. Das war für einige zunächst ungewohnt, hat aber letztlich alle überzeugt. Das Thema »Müll und Wiederverwertung« zeigte sich als sehr praxistauglich: Die Gruppe stellte sich die Frage, wie ein »Zero-Waste-Landkreis« entstehen könnte, und verband die Gespräche mit Upcycling- und Selbermach-Aktionen. Außerdem wurde ein Hinweisschild entwickelt, das alle Geschäfte im Landkreis kennzeichnet, in denen die Waren in mitgebrachte Gefäße eingepackt werden können. »Es geht uns gar nicht darum, große Dinge zu bewegen, sondern möglichst viele Gelegenheiten zu schaffen, bei denen sich Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft sinnvoll einbringen können«, betont Jürgen. Seit bald 40 Jahren setzt er sich nun schon für die kleinen Schritte ein. »Manchmal staune ich darüber, wie gut unsere Projekte in den 1990er Jahren waren«, erinnert er sich. So begleitete er im Rahmen der lokalen Agenda 21 über ein Jahr hinweg 21 Familien, die einen möglichst ökologischen Lebensstil ausprobieren wollten. Ist es für ihn nicht frustrierend, dass sich die Situation seitdem nicht wesentlich verändert hat und sich die Krisen weiter zuspitzen? »Ich bin schon lange davon überzeugt, dass für einen substanziellen Wandel politische Weichenstellungen nötig sind«, bekennt Jürgen. »Ohne klare Vorgaben, nur aufgrund von freiwilligen Entscheidungen, wird keine Gesellschaft mit einem vernünftigen ökologischen Fußabdruck entstehen. Also brauchen wir einen demokratischen Prozess, der dorthin führt.« Deshalb kandidiert er derzeit für die Kreistagswahl. Sich als Kommunalpolitiker für Bürgerbeteiligung einzusetzen, ist ihm ein ebenso wichtiges Anliegen wie die Arbeit im Sinn der Transition-Town-Bewegung. All diese Schritte mögen klein sein, sie mögen gegenüber der Macht des »Weiter-So« wirkungslos erscheinen – Jürgen will sie fortsetzen, trotz allem.