Permakultur

Lebensräume zu designen, ist politisch!

Die Dimensionen des Gestaltens, die Friedrich von Borries in seinem Buch »Weltentwerfen – eine politische Designtheorie« (2016) schildert, können auch permakulturelle Planungsprozesse bereichern.
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Viele Menschen fragen sich in diesen Tagen, wie machtvoll sie als Einzelne sind. Was kann jede und jeder wirklich tun, wie viel Verantwortung liegt bei uns und wie viel bei »der Politik«, »der Stadt«, den anderen? Wie viel Einfluss haben die Gestaltungsprinzipien aus dem Permakulturdesign? Um das zu beantworten, kann es hilfreich sein, folgenden Gedanken anzunehmen: Jede Gestaltung ist Ausdruck eines (unerfüllten) Bedürfnisses bzw. jede Gestaltung dient der Erfüllung eines Bedürfnisses. Design gibt also eine Antwort auf unterschiedlichster Bedürfnisse.
Dabei kann ein und dasselbe Bedürfnis durch unterschiedliche Gestaltungen erfüllt werden. Haben beispielsweise zwei Menschen den Wunsch, sich zu entspannen, wird sich die eine vielleicht hinlegen oder meditieren, der andere möchte vielleicht eher Musik hören oder wandern. Beide Strategien erfüllen das Bedürfnis. Design ist dabei die willentlich und bewusst gewählte Gestaltung zu seiner Erfüllung.
Die unterschiedlichen Herangehensweisen will ich anhand eines Buchs genauer betrachten: So kann das eine Design nachhaltiger und ökologischer sein und die Bedürfnisse derer erfüllen, die sich nicht verbal äußern können, etwa Tiere und Ökosysteme. Ein anderes Design kann sich an bestehenden Richtlinien orien­tieren und innerhalb dieser Vorgaben zu einer Form gelangen. Was das genau bedeutet, beschreibt der Architekt, Kurator und Hochschullehrer Friedrich von Borries in seinem 2016 erschienenen Buch »Weltentwerfen – eine politische Designtheorie«. Er spricht von zwei Dimensionen des Gestaltens: Die Ausrichtung kann »entwerfend« oder »unterwerfend« sein. Entwerfendes ­Design öffnet eine Vielzahl an Möglichkeiten und Wegen, während unterwerfendes Design Möglichkeiten ausschließt
und bestehende Machtstrukturen verstärkt. Zudem zeigt von Borries vier Kategorien von Design auf – die jeweils in entwerfender oder unterwerfender Weise umgesetzt werden können: Überlebens­design, Sicherheitsdesign, Gesellschaftsdesign und Selbstdesign.

Vier Kategorien von Design

Die grundlegendste Form, das Überlebensdesign, reagiert Friedrich von Borries zufolge auf die Gefährdung der Lebensbasis; es agiert aus einer Bedrängung heraus und soll Defizite ausgleichen. »Entwerfend« wird es, wenn es aus einer lebensbedrohenden Situation oder Katastrophe heraus entsteht und mit einer positiven, zukunftsweisenden Gestaltung antwortet. Ich denke zum Beispiel an die Initiative »Start with a Friend«, die in verschiedenen deutschen Städten Geflüchtete mit Eingesessenen verbindet und so zur Integration über Freundschaften und persönliche Kontakte führt. Statt sich den vorgegebenen Integrationsmodellen anzuschließen, schafft die Initiative einen Gegenentwurf. »Unterwerfend« wird Überlebensdesign, wenn es eine krisenhafte Situation für die Einschränkung von Freiheit zum Anlass nimmt, zum Beispiel das spontane Ändern oder Hinzufügen von Gesetzen anlässlich eines krisenhaften Vorfalls. Ein entwerfender Ansatz wäre hier, die Ursache des Vorfalls zu ergründen und diese anzugehen.
Sicherheitsdesign baut auf dem Überlebensdesign auf. In geordneten sozialen Gruppen und Gesellschaften bilden sich ­gesicherte Strukturen. Design ist hier »entwerfend«, wenn es der Gesellschaft ermöglicht, Unsicherheit auszuhalten und in einem Schutzraum zur Selbstentfaltung zu gelangen. Sicherheitsdesign »unterwirft«, wenn es überenthusiastisch eingreift und durch zu viele Vorsichtsmaßnahmen Freiheit nimmt; ein Beispiel wären etwa zu viele Überwachungskameras im öffentlichen Raum.
Gesellschaftsdesign formt die Gesellschaft als solche. Der Mensch lebe unter den Bedingungen, die die Menschheit selbst geschaffen hat, summiert Friedrich von Borries und weist gleichzeitig auf den Umkehrschluss hin: Der Mensch schafft sich seine eigenen Lebensbedingungen und formt damit die Gesellschaft mit. Entwerfendes Design meint hier, eine Vision zu kreieren, die sich dem aktuellen Gesellschaftsbild entgegensetzt und neue Wege zeigt; als ein Beispiel fallen mir die verschiedenen Ausprägungen solidarischer Landwirtschaft ein. Unterwerfendes Design wäre demgegenüber der Einsatz von Pestiziden und den dazugehörigen pestizidresistenten Pflanzen.
Im Selbstdesign geht es um die Selbstbestimmung des eigenen Lebens und somit um die Gestaltung des Körpers und des Geistes. »Entwerfend« ist diese Gestaltung, wenn sie den wahren Bedürfnissen des Individuums entspringt, etwa dem Bedürfnis nach Weiterbildung und persönlicher Entfaltung. Unterwerfend wird das Selbstdesign, wenn es externen Restriktionen folgt, also wenn es beispielsweise den Köper so gestaltet, dass er einem gesellschaftlichen Idealbild entspricht.

Gestaltung ist politisch

Was bedeutet das alles für Menschen, die mit den Möglichkeiten der Permakultur gestalten? Friedrich von Borries fasst zusammen: »Um verantwortungsvoll handeln zu können, muss sich der Designer der gesellschaftlichen Bedeutung (mitsamt der ökonomischen, ökologischen und sozialen Folgen) seines Handelns bewusst sein. Denn er ist für das, was er gestaltet, verantwortlich.« Wollen wir entwerfend gestalten, müssen wir uns als politische Akteure begreifen; das gilt nicht nur für explizit ­Permakultur­designende, sondern für alle Lebewesen auf diesem Planeten. Alles, was wir tun, verändert; alles, was wir nicht tun, führt ebenso zu Veränderung. Friedrich von Borries betrachtet Design als progressive, politische Reaktion und Aktion. Politische Prozesse seien Reaktionen auf fehlgeschlagene oder problemerzeugende Ergebnisse von Designprozessen. Andersherum erwüchsen Gestaltungsaufgaben aus politischen Entscheidungen oder Nicht-Entscheidungen.
Denkt man an einen Acker, so gibt es vielfältige Weisen, ihn zu bewirtschaften. Das diesem Prozess tief zugrundeliegende Bedürfnis ist jenes nach Nahrung – oder auch nach Anerkennung und Selbstentfaltung. Diese verschiedenen Bedürfnisse ­münden in unterschiedliche Designs. Wie sieht eine politische Reaktion auf problem­erzeugende Gestaltungen, wie großflächige Monokulturen oder den die Biodiversität gefährdenden Einsatz von Chemikalien, aus? Wie lässt sich hier »entwerfend« reagieren?
Der Permakultur wohnt das Entwerfende ja nahezu inne – als Gestaltende sind wir frei, dies noch zu verstärken. Wir können über die Wünsche von Auftraggeberinnen und -gebern reden. Wir können neue Wege aufzeigen, die die alten Bedürfnisse erfüllen, jedoch durch nachhaltigere Lösungen. Wir können Gestaltungen vorschlagen, die der Erde, den anderen Tieren und dem Ökosystem gerecht werden und dabei gleichzeitig die Bedürfnisse der Auftraggebenden im Auge behalten. Wir können diese Bedürfnisse auch hinterfragen und sie mit Herangehensweisen beantworten, die ihnen besser gerecht werden. Solche Gestaltungsprozesse werden politische Reaktionen hervorrufen und politische Entscheidungen beeinflussen. Und so hebt sich – erst in unseren Köpfen und dann in der Realität – die Trennung auf: Die Politiker, die Stadt, die anderen sind wir. Wir können durch die Art des Gestaltens positive Impulse setzen, wenn wir die Verantwortung dafür übernehmen. Wir entwerfen Lebensräume – das ist politisch. //


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Friedrich von Borries: Weltentwerfen – Eine politische Designtheorie, Suhrkamp, 2016, 143 Seiten, ISBN 978-3518127346, 14,00 Euro.


Annika Fröhlich ist Kommunikationsdesignerin, Konzepterin und Designwissenschaftlerin. Gegenwärtig ist sie Teilnehmerin des Basisjahrs an der »Permakultur Akademie«.

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