Würden wir dem sich verändernden Klima realistisch begegnen, ließen sich auch neue Möglichkeiten zur Gestaltung des Lebens entdecken.von Maria König, erschienen in Ausgabe #60/2020
»Wir sind hier, wir sind viele, und zusammen werden wir den Wandel bewirken, den die Welt braucht!« – solche und ähnliche Hoffnungen einer globalen Bewegung für den Erhalt einer vielfältigen und lebendigen Planetin begleiten Umweltschutzbewegungen seit den 1970er Jahren bis zu den heutigen Klimaprotesten. Besonders, wenn Menschen beginnen, sich aktiv zu engagieren, entsteht schnell der Wunsch, sich mit möglichst vielen Gleichgesinnten zu verbinden, weitere Menschen zu inspirieren und schließlich Teil einer weltweiten Bewegung zu sein. Wer immer das Buch »Desert« geschrieben haben mag, das sich aus anarchistischer Perspektive mit dem Klimawandel befasst, spricht von einem Gespenst, das viele Aktivistinnen, Umweltschützer und Anarchistinnen im Lauf ihres Engagements begleitet: »In unseren Subkulturen erzählen wir uns oft, dass es nicht da ist, dass wir es nicht sehen, nicht hören können. Unsere Wünsche für diese Welt verbieten es uns, es zu sehen. Trotz bester Bemühungen – kontinuierlichen Aktivismus, des Aufbaus von Bewegungen, eines angemessenen Lebens als Ausdruck der eigenen Ethik – nimmt das Gespenst für viele von uns Formen an«, heißt es einleitend. Damit ist die schmerzvolle Erkenntnis gemeint, dass wir die Klimazonen der Erde und damit das notwendige Lebensumfeld für viele Wesen, inklusive der Menschen, nicht in ihrem jetzigen Zustand werden erhalten können. Tritt dieses Erkennen ins Bewusstsein, geben viele verbittert und enttäuscht ihr Engagement auf und richten sich im Bestehenden ein, während andere weiter bis zur Erschöpfung für die große Transformation kämpfen. Demgegenüber wird in »Desert« die Frage gestellt, welche Ziele, Pläne, Lebensformen und Abenteuer sich ergeben, wenn die Illusionen beiseitegelegt werden und wir der Welt begegnen, ohne durch Desillusionierung handlungsunfähig geworden zu sein. So beleuchtet das Buch verschiedene Lebenszusammenhänge, die sich auf einer stetig heißer werdenden Erde mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben werden, und zeigt Möglichkeiten, sich darin zu engagieren. Obwohl das Buch von und für Anarchistinnen und Anarchisten geschrieben wurde und sich mit diesen Worten vielleicht nicht jede und jeder Lesende verbinden kann, ist es eine inspirierende Quelle für alle Menschen, denen ein Leben in »wilder Freiheit«, wie es im Buch heißt, am Herzen liegt.
Keine globale Rettungsaktion Die Idee einer sich gerade noch rechtzeitig ereignenden globalen Rettungsaktion im Angesicht der derzeit unfassbar schnell voranschreitenden Weltvernutzung mag etwas Tröstliches an sich haben. Dennoch ist sie das Erbe eines christlich-europäischen Weltbilds, in dem sich religiöse Heilsversprechen mit dem seit der Aufklärung wirkenden Fortschrittsdenken mischen und die Annahme nähren, dass »die gesamte Welt sich immer weiter zu einer besseren Zukunft entwickeln würde«. So wenig jedoch, wie »der« Kapitalismus oder »das« Patriarchat als Abstraktum bekämpft werden können, kann die eine globale Zukunft erschaffen werden. Obwohl überall, wo ein ausbeuterischer Umgang mit der mehr-als-menschlichen Welt zutage tritt, Mechanismen der Entfremdung und Domestizierung zugrunde liegen, sind die Situationen in Basingstoke, einer Stadt in England, und Dhaka, einer Stadt in Bangladesch, doch zur Zeit sehr unterschiedlich und werden es wohl auch in Zukunft sein. Ebenso wird der Klimawandel für einige Regionen Möglichkeiten für Freiheit und Wildnis eröffnen, während in anderen Gegenden diese Möglichkeiten ungleich versperrt werden. Vor diesem Hintergrund erweisen sich lokale Initiativen, die in konkreten Situationen und Wirkzusammenhängen verankert sind, als sinnvoller Ansatzpunkt für das eigene Engagement. Commons leben wieder auf In einer sich klimatisch schnell verändernden Welt werden extreme Wetterphänomene, wie Dürren und Regenfluten, und der Anstieg des Meeresspiegels neue Konflikte zwischen Menschen schaffen und bestehende verschärfen. Heiße Wüsten werden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit über große Teile des globalen Südens, Südeuropas und teilweise bis Mitteleuropa verbreiten. Bereits jetzt zeigt sich, dass rund um den Äquator zahlreiche Probleme zusammenkommen: rasche ökologische Veränderungen; das Erbe der Kolonialherrschaft; viele Menschen, die oft dicht gedrängt auf dem wenigen fruchtbaren Land zusammenleben; und das Vorkommen von für den Welthandel nützlichen Ressourcen. Gerade in jenen Regionen könnten Regierungen, die schon jetzt kaum die Grundbedürfnisse ihrer Einwohnerinnen und Einwohner erfüllen können, perspektivisch zu verschiedenen Graden scheitern: »Manche Staaten werden sich in ihre (vielleicht wechselnden) Hauptstädte zurückziehen und das restliche ihnen zugesprochene Territorium als einen Flickenteppich aus Krieg und Frieden zurücklassen. Andere werden in Bürger*innen-Kriegen, Revolutionen und innerstaatlichen Konflikten untergehen. Ohne Zweifel wird viel Schreckliches passieren, aber auch viel Potential für den Aufbau eines freien Lebens entstehen.« Schwinden staatliche Kontrolle und der Einfluss des Welthandels in ressourcenärmeren klimaveränderten Regionen, könnte das zur Folge haben, dass Menschen sich wieder selbst organisieren und Commons wiederaufleben: »Wenn sich Staaten zurückziehen und ›scheitern‹, [… ]werden die Leute dennoch weiterhin graben, säen, hüten und leben«. Am Beispiel vieler afrikanischer Regionen zeigt sich, dass der Weg dorthin gar nicht so kompliziert sein könnte. Gerade subsaharische Gebiete sind weit weniger von Staats- und Marktstrukturen geformt worden, und an vielen Orten existiert bis heute eine robuste Subsistenzwirtschaft. Viele afrikanische Gemeinschaften seien bis heute egalitär und selbstorganisiert, wird der nigerianische Autor, Rechtsanwalt und Aktivist Sam Mbah zitiert. Darüber hinaus ließe sich fragen, von wem die sich ausbreitenden Wüsten – ein Wort, welches gemeinhin mit Attributen wie »unbewohnbar«, »verlassen« und »verwüstet« assoziiert wird – denn verlassen werden: »nicht von den Koyoten und den Kaktuszaunkönigen. Nicht von den Ernteameisen und den Klapperschlangen. Nicht vom Namibischen Schnellschritt, den Erdmännchen, Akazien, den Tahren, den Flughühnern und von den Roten Kängurus«. Wüsten und karge Landschaften sind im Allgemeinen biologisch vielfältig, obwohl die Anzahl an Lebewesen dort weniger zahlreich als in anderen Ökosystemen ist. Diese artenreiche Wildnis bleibt zurück, wenn Felder aufgegeben werden müssen. Für einige Menschen könnte dies eine Rückkehr zu nomadischen Lebensweisen eröffnen. Die globale Erwärmung wird ohne Zweifel dazu führen, dass einige Spezies aussterben und unzählige Menschen vor Hitze und Dürre fliehen werden. An einigen Orten entstehen aber auch Chancen, dass kleinbäuerliche Organisationsformen industrielle Monokulturen ablösen, Menschen sich wieder einer sich selbst versorgenden Wanderweidewirtschaft zuwenden oder nomadische Hirtinnen und Landwirte vielleicht zum Jägerinnen- und Sammlertum zurückkehren werden. Wie steht es in diesem Szenario um globale Gerechtigkeit: Wer kann welche Entscheidungen für welche Lebensweise an welchen Orten treffen?
Eigensinnige Orte in Städten Vieles, was für die heißen Wüstenregionen dieser Welt wahrscheinlich ist, gilt in umgekehrter Weise für die kühleren Regionen der nördlichen Hemisphäre. Aber auch hier stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten für freies, wildes Leben von Ort zu Ort auf verschiedene Weise. Was geschieht mit den weiten, bislang kaum besiedelten Tundralandschaften, wenn die Zivilisation in die schmelzenden, kalten Wüsten expandiert? Wie können Menschen aus indigenen Gemeinschaften in Kanada oder Sibirien gegen die Zugriffe der Öl- und Gasindustrie Widerstand leisten? Entstehen an den neuen nördlichen Außengrenzen der Zivilisation Freiräume für jene, die in den neu erschlossenen oder in den alten, nun wärmeren Welten leben wollen? Oder entstehen eher neue Verstrickungen in kapitalistische Erwerbsarbeit, in denen sich etwa schon jetzt 600 000 chinesische Saisonarbeiter befinden, die auf neuen sibirischen Feldern arbeiten? Wie können in Städten eigensinnige, selbstbestimmte Orte aufgebaut und erhalten werden? Wie sieht engagierter Widerstand aus, wenn die zunehmende Überwachung und Sicherheitskultur in verschiedenen Staaten den Raum für subversive Aktionen tilgen? Oder wie kann »Naturschutz« gestaltet werden, der nicht zu einem stärkeren Verwalten und Managen von Landschaften führt? Und wie lassen sich noch existierende wilde Orte schützen? Sich den Fragen nach einem freieren und selbstbestimmten Leben, die sich am eigenen Ort ergeben, zuzuwenden, könnte in eine Gewissheit münden, die ein Resümee von »Desert« bildet: »Genau wie wir ›die Welt nicht retten werden‹, werden wir auch nicht ›die Zukunft zurückerobern‹; dennoch werden wir ein Teil davon sein. Wir sind nicht ›die Samen der zukünftigen Gesellschaft in der Schale der alten‹, aber eines der vielen Elemente, aus denen sich die Zukunft gestalten wird.« //
Desert Hurra, die Welt geht unter. anonym; aus dem amerikanischen Englisch von Nils Mosq & bm-Crew Unrast Verlag, 2018, 172 Seiten ISBN 978-3897715998 13,00 Euro