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Wie ich ein Baum wurde (Buchbesprechung)

von Grit Fröhlich, erschienen in Ausgabe #61/2020
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Seit ihrer Jugend ist die bengalische Autorin Sumana Roy von der Idee besessen, lieber als Baum statt als Mensch leben zu wollen. Sie ist fasziniert von der Unabhängigkeit der Bäume, wie sie in ihrem eigenen, ruhigen Rhythmus leben, stets in der Gegenwart –
in der Baumzeit. Ihr gefällt, wie Bäume von dem gedeihen, was frei zur Verfügung steht: Wasser, Luft und Sonnenlicht. Es ist eine ungewöhnliche Autobiographie, in der wir die Autorin bei ihren obsessiven Annäherungsversuchen an Bäume begleiten: Wälder durchstreifend, malend, lauschend. In Tonaufnahmen fängt Roy die jeweils eigenen Geräusche der Blätter von Salweiden und Papayabäumen im Wind ein. Mit ihrem Körper ahmt sie die Schatten von Bäumen nach. Sie unternimmt Reisen zu besonderen Orten, so auch zu dem Bodhibaum, unter dem Buddha seine Erleuchtung erfuhr. In Literatur und Filmen sucht sie nach erzählerischen und poetischen Zugängen zu Pflanzen. Vor allem in den Gedichten Rabindranath Tagores entdeckt sie Pflanzliches als Metaphern für Menschliches: »Die Wurzeln und Adern erscheinen als sichtbare Zeichen von Beziehungen und Geschichte«.

Was bewegt eine Frau dazu, sich in einen Baum verwandeln zu wollen? Zunächst steckt dahinter ein Unbehagen im eigenen Körper, aber auch der Wunsch, gesellschaftlichen Zwängen zu entfliehen, kein makelloses Äußeres mehr zeigen zu müssen sowie Termin- und Leistungsdruck zu entkommen. Bäume erscheinen als ein besseres Selbst. Das Buch steckt voller menschlicher Projektionen auf Pflanzen, wessen sich die Autorin auch völlig bewusst ist. Ihre Spiegelung in Bäumen und das Schreiben darüber ist ihr eine Art Therapie durch Lebenskrisen und Krankheiten hindurch. Der Wald ist Roys Lehrer, und Bäume haben eine heilsame Rückwirkung auf sie, verändern ihre Art zu atmen und zu schreiben. Das Ganze ist schön erzählt, interessant auch die Perspektive der Autorin, die als Angehörige der indischen Mittelschicht sowohl mit der bengalischen als auch der westlichen Kultur vertraut ist. Es macht Vergnügen, sich auf ihre Gedankenspiele einzulassen: Was ist Wahrheit für einen Baum? Was ist Geschichte in einem Wald? »Warum gibt es keine Geschichte unserer Wälder, außer in Form statistischer Daten, die von Wachstum und Verlust erzählen?« Erhellend bleibt es selbst dann noch, wenn Roy in kuriose Zweifel abgleitet: »Waren Bäume freischaffend oder fest angestellt?« Denn es ist weniger ein Buch über Pflanzen als vielmehr über menschliche Bedürfnisse, vor allem über die unterdrückten und unerfüllten. Bäume als Lebewesen, die so anders sind als wir, bieten hier eine riesige Projektionsfläche. Die Versuche der Autorin, eine Deckungsgleichheit von Pflanze und Mensch zu konstruieren, stoßen dabei natürlich ständig an Grenzen, was uns vieles über unsere eigenen Grenzen und Möglichkeiten entdecken lässt.   

Wie ich ein Baum wurde
Sumana Roy
Matthes & Seitz, 2020 
267 Seiten
ISBN 978-3957578587
28,00 Euro

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