Wie aus einer Freundschaft ein Großmuttersein wurde.von Ingrid Reinecke, erschienen in Ausgabe #62/2020
»Oh, Zwillinge!« Ich freute mich mit, als mir eine langjährige Freundin erzählte, dass sie Oma werden würde. Gemeinsam malten wir uns aus, wie wir die beiden in den Kinderwagen packen und mit ihnen an die Isar oder ins nächste Café schieben würden. Eine schöne Vorstellung, mit der auch von Monat zu Monat die Vorfreude und die Neugierde wuchsen. Was für eine aufregende und bewegende Zeit!
Ich habe keine Kinder, und meine Nichten und Neffen leben mit ihrem Nachwuchs weiter entfernt, so dass der Kontakt nicht so intensiv ist. Nun sollte es also gleich zwei Babys in meiner unmittelbaren Nähe geben.
Kaum waren die Kleinen – zwei Jungen – auf der Welt, setzten wir unsere Fantasie in die Tat um: Wir schoben sie im Kinderwagen durch Grünanlagen und über Friedhöfe (wunderbar ruhige Schlafplätze!), wir wiegten sie in den Schlaf, wechselten volle Windeln, füllten Breitellerchen und Wasserflaschen, trockneten Tränen und triefende Nasen und brachten sie des öfteren abends auch zu Bett. Kurzum, ich war Oma! Vielmehr Mit-Oma; denn es gab ja noch zwei andere (dafür etwas weniger Opas). Rasch stellte sich Verbindlichkeit ein: Der Dienstag wurde mein »Kindertag«. Da ließ ich nichts dazwischenkommen, meine Woche plante ich drumherum. Wenn ein anderer Termin anstand, musste der eben verschoben werden oder auch ausfallen.
Das war alles nur möglich, weil ich seit einiger Zeit meine Erwerbsarbeitszeit reduziert hatte. Die Kinder passten also gut zu meinem neuen Leben mit etwas mehr Freizeit, die ich gerne mit ihnen teilte. Ich erlebte ganz ohne eigene Kinder das, was Omas so erleben. Spielplatzleben mit anderen Kindern, aufgeschürfte Knie pusten, Streit schlichten, Liebhaben – einfach so. Unsere kleine Freundschaft tat selbstverständlich auch den Eltern gut, die eigene Termine beruhigt wahrnehmen und auch mal gemeinsam ausgehen konnten.
Verwandtschaft war nicht entscheidend
Auch sonst setzten die Zwillinge viel in Bewegung, vor allem ein Nachdenken über tieferliegende und grundsätzliche Fragen. Mir war es wichtig, authentisch zu sein, unverstellt und auch ein »gutes Vorbild«. Meine Freundin – die leibliche Oma – und ich gerieten manchmal fast in Streit. So fand sie zum Beispiel, dass ich die Kinder zu viel loben würde. Schon war das Thema Lob und Anerkennung an sich ein interessanter Diskussionsstoff. Auch das Thema Individualität beschäftigte uns häufig, was uns zu der Überlegung brachte, auch mal mit den Kindern getrennt voneinander etwas zu unternehmen. Das gelang uns aber eher selten und es änderte sich auch nicht, als nach zweieinhalb Jahren ein drittes Kind, ebenfalls ein Junge, hinzukam. So waren wir meistens zu fünft unterwegs. Als die beiden »Großen« in den Kindergarten kamen, hatte der Jüngste uns ganz für sich. Später wechselten wir uns ab. Gemeinsam holten wir die Zwillinge vom Kindergarten ab und verbrachten die Zeit bis zum Abendessen auf ausgesuchten Spielplätzen.
Mein Umfeld reagierte auf mein Omasein recht unterschiedlich: »Um Himmels Willen, hast du dir überlegt, was da passieren könnte?« Nein, hatte ich nicht, wollte ich auch nicht. Meine Verantwortung war mir völlig klar. Andere meinten, ich sei eigentlich ganz schön blöd, dass ich das umsonst machen würde. Mit Babysitting ließe sich schließlich inzwischen recht gut Geld verdienen. Ja, das wusste ich. Aber ich wollte es nicht, es wäre nicht dasselbe gewesen. Ich wollte ja nicht Tagesmutter sein. Wieder andere, und das freut mich sehr, ließen sich von meiner Begeisterung und meinen Erzählungen inspirieren und gingen ähnliche Verbindungen ein. Das hat mich ein bisschen stolz gemacht.
Der Kontakt zu den Kindern bedeutete mir sehr viel und hat viel in mir bewegt. Ich stand anders im Leben, fühlte mich vielfältig bereichert. Ganz praktisch bot sich mir so außerdem die Möglichkeit, einer jungen Familie etwas Beistand zu geben – so, wie ich vermutlich ein eigenes erwachsenes Kind unterstützten würde. Viel ausschlaggebender für meine Treue aber war, dass ich mich mit Haut und Haaren, mit Herz und Verstand gefordert fühlte. Das ist eine sehr tiefe Erfahrung. Eigentlich müsste ich jetzt auch über Liebe reden. Aber wie vermeide ich, dass das pathetisch und abgenutzt klingt? Sie stellt sich schlicht ein, die Liebe, und es ist völlig egal, ob die Beteiligten miteinander verwandt sind oder nicht. Eine wunderbare Erfahrung!
Seit Kurzem gehen die Zwillinge in die Schule. Wir sehen uns seitdem seltener. Wie auch immer sich unsere Lebenswege entwickeln werden, ich bin glücklich und, ja, dankbar für jeden Moment mit ihnen und die Zeit, die wir miteinander hatten. Es ist für mich ein kostbares Geschenk.