In einem internationalen indigenen
Netzwerk streiten Frauen für Mutter Erde.von Lola Franke, erschienen in Ausgabe #62/2020
Klimawandel, Dürren, Bürgerkriege – auf allen Kanälen wird dazu gesendet, meist Schreckensbotschaften oder Lösungen, die zu komplex, zu unrealistisch oder gar naiv erscheinen. Selten erhebt dabei eine Frau ihre Stimme. Deshalb habe ich mit Osprey Orielle Lake, der Mitbegründerin und Geschäftsführerin des internationalen Frauennetzwerks »WECAN – Women’s Earth and Climate Action Network« (Erde- und Klima-Aktionsnetzwerk der Frauen) über Kapitalismus, Patriarchat sowie Frauen als Problemlöserinnen gesprochen. Das Netzwerk hat seinen Sitz im kalifornischen Mill Valley, nördlich von San Francisco. WECAN ging 2013 aus der Organisation »WECC – Women’s Earth and Climate Caucus« (Erde- und Klimaversammlung der Frauen) hervor, die Vorträge auf großen Klimakonferenzen, wie jenen in Rio de Janeiro 1992 oder Durban 2011, organisierte. Das Netzwerk fußt auf vier Grundprinzipien: Rechte von Frauen, Rechte indigener Menschen, Rechte der Natur, Rechte kommender Generationen.
Statt ein Narrativ zu pflegen, in dem weiße Retterinnen sich für marginalisierte Klassen einsetzen, kommen die ansonsten unsichtbar Gemachten bei WECAN selbst zu Wort. Für das Netzwerk sprechen vor allem schwarze Frauen, indigene Frauen und Frauen aus der so-genannten Unterschicht – jene also, die von den Krisen der heutigen Zeit am stärksten betroffen sind. Es sind ebendiese Frauen, die laut Osprey Lake die besten Fähigkeiten besitzen, um Dinge zum Guten zu wenden. In traditionellen Gemeinschaften nehmen Frauen häufig Rollen von Anführerinnen ein, wobei Führung hierbei nicht mit Dominanz oder Herrschaft verwechselt werden sollte. Sie sind Streitschlichterinnen, Strateginnen, Versorgerinnen und politische Vertreterinnen in friedensstiftenden Prozessen. Diesem Machtverständnis folgend Frauen in Positionen zu heben und ihnen Strahlkraft zu verleihen, ist eine der Hauptaufgaben von WECAN. Osprey Lake kommentiert: »Wir müssen keine Lösungen für sie finden, denn sie sind die Lösungen. Wir müssen ihnen nur Gelder, Medienkontakte und Reichweite verschaffen.«
Frauen erzählen
Kritik am Kapitalismus ist weitverbreitet, doch nun kommt sie aus einer Ecke, aus der sonst kaum etwas zu hören ist, nämlich von den am stärksten von Ausbeutung Betroffenen, die weder über die Zeit noch über die mediale Reichweite verfügen, um ihre Stimme hörbar zu machen. In dieser Ecke stehen jene, auf deren Rücken unsere ständig nach Profiten strebende Wirtschaft errichtet wurde. WECAN dient als Sprachrohr von Menschen, die durch über lange Zeit hinweg wirkende Rassismen und Sexismen stumm gehalten werden und die deshalb die strukturellen Probleme unserer Gesellschaft am besten beim Namen nennen können.
Das tun sie auf ganz unterschiedliche Weisen. Das »Women speak project« – zu deutsch »Frauen erzählen« – lässt Frauen aus aller Welt zu Wort kommen: Sie sprechen on- und offline von ihrer eigenen Betroffenheit und den von ihnen gefundenen Lösungsansätzen für Wege aus dem Patriarchat. Ziel von WECAN sei es, »eine leicht zugängliche und stetig wachsende multimediale Informations- und Erfahrungsquelle herzustellen«, so Osprey Lake. Die Geschichten kommen von Erdbeschützerinnen, Politikmacherinnen, Journalistinnen, Aktivistinnen, Bildungsarbeiterinnen, Studentinnen und all jenen, die Frauen in ihrer Vorreiterinnenrolle für eine gerechtere Welt in den Mittelpunkt rücken.« Anstatt sogenannte Expertinnen in den Vordergrund zu stellen, werden durch das Projekt die vielfältigen Lebensrealitäten und Geschichten von Frauen dargestellt und ihre Weisheiten gebündelt. Zu Wort kommen Frauen wie die US-Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, die ihre Stimme für die Rechte von Arbeiterinnen und erneuerbare Energien einsetzt, oder die indigene Autorin Laureli Ivanoff, die sich für den Schutz bedrohter Tierarten in Grönland ausspricht. Sie alle haben persönliche Beziehungen und Geschichten, die sie mit dem Land, das sie umgibt, verbinden und sie für eine gerechtere Welt kämpfen lassen. Es reiche nicht, einige wenige Frauen, die aktuell in mächtigen Entscheidungspositionen sitzen, zu Wort kommen zu lassen, erzählt Osprey Lake: »Wir brauchen, Feministinnen, schwarze und indigene Frauen sowie Transsexuelle oder Genderqueere – wir brauchen sie alle!«
Zustimmung der Ortshütenden
Besonders die Geschichten aus indigenen Gemeinschaften stehen im Netzwerk immer wieder im Fokus, denn Studien belegen, dass diese mit der Umwelt, die sie umgibt, respektvoll umzugehen wissen. Immerhin 80 Prozent der weltweiten Biodiversität liege auf dem heute noch verbliebenen Land indigener Gemeinschaften, betont Osprey Lake. Das Netzwerk tritt auch für den Schutz dieser Gemeinschaften und Lebensweisen ein und fordert Unternehmen und Staaten auf, sich die aktive Zustimmung von den auf den jeweiligen Territorien lebenden Menschen einzuholen, bevor sie weitere Eingriffe auf ihrem Land tätigen.
Das WECAN-Projekt »Indigenous Women’s Divestment Delegation« appelliert an Banken und Einzelpersonen, ihr Geld nicht mehr in naturzerstörende, kriegstreibende Industrien zu investieren. Das Geld toxischen Kreisläufen zu entziehen und diese so ihrer Macht zu berauben, sei ebenso wichtig, wie Geld dem Ausbau erneuerbarer Energien, marginalisierten Gruppen und dezentralen Systemen zukommen zu lassen. Dekonstruktion von Kapitalismus geht für das Netzwerk Hand in Hand mit dem Aufbau neuer, heilsamer Strukturen.
Sorgearbeit in den Fokus zu stellen und traditionell mütterlichen Aufgaben Respekt und Unterstützung zu verschaffen, gehört ebenfalls zum Ansatz von WECAN. Dabei wird beispielsweise mit Online-Trainings gearbeitet: In Video-gesprächen treffen Frauen, die in vorderster Reihe gegen die Klimakrise angehen, auf Teilnehmerinnen aus aller Welt. In den Lernräumen geht es um die Verwobenheit von Rechten indigener Gemeinschaften mit den Rechten des Landes, auf dem wir alle leben. Es soll ein tieferes Verständnis von den Zusammenhängen zwischen Kolonialisierung und unserem heutigen Umgang mit der Erde gefördert werden und bei all dem ein Austausch auf Augenhöhe zwischen Menschen ermöglicht werden.
Osprey Lake betonte in unserem Gespräch immer wieder, wie wichtig es sei, die Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Formen von Herrschaft anzuerkennen und beim Namen zu nennen. Gewalt gegen indigene Gemeinschaften, gegen Frauen und Queere, gegen schwarze Menschen und gegen die nicht-menschliche Natur sind in ihrer profitgesteuerten Logik untrennbar miteinander verwoben. Wenn wir uns also weg von einer Ausbeutungsökonomie und hin zu Wirtschaftsweisen bewegen, die auf dem guten Leben für alle, auf Mitgefühl, Kreativität und der Achtung der mehr-als-menschlichen Welt basieren, dann gehen wir damit mehr als nur ökonomische Ungerechtigkeiten an. Die strukturelllen Probleme moderner Gesellschaften lassen sich etwa an der Situation indigener Gemeinschaften erkennen: Deren Diskriminierung -entspringt der Herabwürdigung der Natur und der Gleichsetzung ihrer Körper mit einer im Patriarchat als rechtslos und unbelebt gedachten Natur. Indigene Subsistenz-wirtschaft basiert hingegen nicht auf Konkurrenz und Ausbeutung und findet somit im Kapitalismus keine Anerkennung.
Gebt das Land zurück!
Durch Kampagnen wie »Land back!« (Gebt das Land zurück!) macht WECAN zusammen mit indigenen Frauen in den USA darauf aufmerksam, dass deren Gemeinschaften nicht nur die Sorge- und Führungsqualitäten besitzen, um sich angemessen um das ihnen anvertraute Land, sondern auch um die ganze Planetin zu kümmern. WECAN fordert deshalb Gerechtigkeit, Verantwortungsübernahme und Reparationszahlungen zum Wohl der mehr-als-menschlichen Welt wie auch der indigenen Gemeinschaften. »Land back!« fordert große Unternehmen, Staaten und Kirchen dazu auf, das Land, das ihnen einst durch Krieg, Enteignung und die lange Kolonialgeschichte zugespielt wurde, an jene zurückzugeben, die es zuvor respektvoll hüteten.
Wie Osprey Lake betont, spielen marginalisierte Frauen dabei eine Schlüsselrolle: »Es geht vor allem darum, die Stimmen von indigenen Frauen, von schwarzen Frauen sowie von Frauen aus prekären Verhältnissen zu bündeln, denn diese bilden das Rückgrat unserer Bewegung. Sie erfahren die Auswirkungen unserer Krisen am eigenen Leib und sind deshalb auf besondere Weise dazu fähig, einzigartige -Lösungsansätze zu finden.« //