Buchtipps

Die Wahrheit über Eva

von Matthias Fersterer, erschienen in Ausgabe #62/2020
Photo

Die Autoren von »Die Wahrheit über Eva« betreiben eine evolutionsbiologisch und sozialhistorisch fundierte Kritik der sozialen Ungleichheit zwischen Frauen und Männern. Diese führen sie im Wesentlichen auf die Sesshaftwerdung und das Aufkommen des Ackerbaus zurück, die eine Geburtenzunahme sowie eine zunehmende Polarisierung und Ungleichbehandlung der Geschlechter nach sich zogen und zu noch heute wirkenden Pfadabhängigkeiten führten. Die daraus entstandenen gesellschaftlichen Strukturen fassen die Autoren – anspielend auf den Hollywoodfilm »Matrix« – als »Patrix« zusammen, die allen Lebensbereichen eine patriarchale Blaupause überstülpt. So weit, so gut.

Bei der Lektüre drängten sich mir jedoch Fragen auf: Warum ignorieren die Autoren die moderne Matriarchatsforschung gänzlich und lassen es dabei bewenden, die diesbezüglichen Ideen des Altertums-forschers Johann Jakob Bachofen aus dem 19. Jahrhundert – zu recht – als spekulativ und romantisierend abzulehnen? Warum werden etwa die Arbeiten von Heide Göttner-Abendroth, Gerda Weiler und Barbara Alice Mann mit keinem Wort erwähnt? Immerhin wird Marija Gimbutas auf zwei der gut 700 Buchseiten namentlich genannt. Die empirische und erkenntnistheoretische Forschung, die seit den 1970er Jahren egalitäre Formen des Zusammenlebens in Gesellschaften matrilinealer, matrilokaler und matriarchaler Prägung (von mater arché, »am Anfang die Mutter«) in den Fokus nimmt, subsumieren die Autoren unter dem Begriff »Öko-Feminismus«. Das wird den Erkenntnissen dieser Forschung nicht gerecht und führt zu Fehlschlüssen: So definieren die Autoren »Matriarchat« fälschlich als »Mütterherrschaft« im Sinn eines umgekehrten Patriarchats und wundern sich dann, dass es keine historische Evidenz für die Existenz derartiger Gesellschaften gibt.

Wer sich mit der Entstehung und Dekonstruktion patriarchaler Strukturen befasst, wird in diesem Buch jedoch hilfreiche Fakten und Hinweise finden – gänzlich
unabhängig davon, ob man sich der einseitigen Analyse der Autoren anschließen möchte oder nicht.  


Die Wahrheit über Eva
Die Erfindung der Ungleichheit von Frauen und Männern.
Carel von Schaik und Kai Michel
Rowohlt, 2020
704 Seiten
ISBN 978-3498001124
26,00 Euro

weitere Artikel aus Ausgabe #62

Photo
von Luisa Kleine

Unauffällig einsickern

Luisa Kleine: Wie kamst du auf das Thema rechte Ökologie?  Jonas Duhme: Schon immer begeisterte mich Natur, und ich bewegte mich gleichzeitig in antirassistischen Kontexten. Ich war schwer irritiert, als ich gesehen habe, dass Ökologie gar kein explizit progressives oder

Photo
von Lola Franke

Die Stimmen der Vielen

Klimawandel, Dürren, Bürgerkriege – auf allen Kanälen wird dazu gesendet, meist Schreckensbotschaften oder Lösungen, die zu komplex, zu unrealistisch oder gar naiv erscheinen. Selten erhebt dabei eine Frau ihre Stimme. Deshalb habe ich mit Osprey Orielle Lake, der

Photo
von Matthias Fersterer

Was ›man‹ so Liebe nennt

Einem spätkapitalistischen Bonmot zufolge ist es leichter, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus; auf ähnlich absurde Weise kann es manchmal naheliegender erscheinen, sich das Ende der eigenen Existenz auszumalen als den Beginn einer gleichwürdigen

Ausgabe #62
Matriarchale Fährten

Cover OYA-Ausgabe 62
Neuigkeiten aus der Redaktion