Es ist billig und praktisch – aber ist es wirklich gut, Pappe zum Mulchen in Gärten einzusetzen?von René Franz, erschienen in Ausgabe #63/2021
Vor Kurzem hörte ich im Deutschlandfunk, dass auf 400 Hektar Ackerfläche unerlaubterweise giftige Schlämme aus dem Papier-Recycling ausgebracht worden waren. Da ich gerade meinen Garten für das neue Jahr plante und wie in den letzten Jahren wieder Pappkartons zum Anlegen der Beete verwenden wollte, hat mich der Radiobeitrag stutzig gemacht. Was, wenn der Karton doch nicht so unbedenklich ist, wie es von Vielen angenommen wird? Ich habe in Permakulturkursen erfahren, dass man mit Pappe gut Beete anlegen könne, Pappschnipsel für Würmer in Wurmkisten zur Fortpflanzung wichtig seien und dass Pappe auch den Komposthaufen vor Sonnenlicht schütze.
War das also alles doch keine so gute Idee, fragte ich mich – und machte mich auf die Suche nach Antworten. Diese Suche führte mich durch die Abgründe des deutschen Papierverbrauchs, der Recycling-Industrie und zu allen möglichen chemischen Begriffen, von denen ich vorher nie gehört hatte.
Die Idee vom »Lasagne-Gardening« mit Pappkarton ist weltweit verbreitet. Im Internet findet man viele verschiedene Anleitungen und Praxis-videos, in denen der Boden mit Karton oder Pappe, teilweise sogar mit bedrucktem Papier bedeckt wird. Auch ich habe in Blog-Artikeln und Kursen schon auf diese Möglichkeit hingewiesen. Warum? Es erspart Arbeit und lässt den Boden in Ruhe, da man ihn nicht umgraben muss. Außerdem wird ein in Mengen vorhandener Stoff zu Humus umgesetzt und das Beet vorbereitet.
Das entspricht einer permakulturellen Denkweise: Kreisläufe schaffen, Abfälle vermeiden, Böden schonen und Synergieeffekte nutzen – und funktioniert so gut, dass es bisher kaum jemand hinterfragte.
Gifte in Druckerfarben und Hochglanzpapieren
Woher kommen aber eigentlich die Umweltgifte im Papierschlamm, von denen ich eingangs gesprochen habe? In der Papierindustrie werden sogenannte per- und polyfluorierte Chemikalien (PFC) eingesetzt, um Papier und Pappe wasser-, fett- und schmutzabweisend zu machen. Was sind die Risiken und Nebenwirkungen dieser Chemikalien? Laut Umweltbundesamt können sie das Immunsystem schwächen; außerdem gibt es Belege, dass sie den Cholesterinspiegel im Blut erhöhen und das Geburtsgewicht von Neugeborenen verringern. Zudem stehen sie im Verdacht, das individuelle Krebsrisiko zu erhöhen.
Dieses Zeug findet sich also etwa auf den runden Deckeln im Pizzakarton, auf Hochglanzbroschüren oder in Einwegkaffeebechern. Schlimm genug, dass solche Gifte auf Lebensmittelverpackungen gesprüht werden dürfen und auf diese Weise auch in unseren Körper gelangen! Leider ist das noch nicht alles: PFC können weder durch moderne Kläranlagen noch durch natürliche Prozesse wie Kompostierung oder Humifizierung aufgespalten und somit neutralisiert werden. In der Fachsprache heißt es, dass PFC sehr persistente, sehr bioakkumulierende und toxische Eigenschaften haben.
Das bedeutet, dass wir sie nicht loswerden, sie sammeln sich immer mehr an und werden von Pflanzen und Tieren gleichermaßen aus der Umwelt aufgenommen. Irgendwann landen sie also bei uns im Blut. Im eingangs genannten Beispiel wurde übrigens das Trinkwasser auf den PFC-Gehalt getestet, und man fand hohe Mengen; im Blut der Anwohner wurde zum Teil fünfmal so viel PFC wie im Durchschnitt der Bevölkerung gefunden, zwei Wasserwerke mussten schließen. Seit 2013 wird in der betroffenen Gemeinde rund um Rastatt und Baden-Baden Schwangeren, stillenden Müttern und Kleinkindern empfohlen, kein Leitungswasser mehr zu trinken. Die Verantwortlichen sind wegen Verjährung straffrei davongekommen.
Zum PFC in Altpapierprodukten kommen übrigens noch andere Giftstoffe, z.B. Mineralölbestandteile aus Druckerfarben. Darunter ist auch der aus Kassenbons bekannte Weichmacher Bisphenol-A (BPA), der wie ein Hormon wirkt und im Körper Veränderungen verursachen kann.
Gifte auch in Recycling-Kartons?
Sind nun die beim sogenannten Lasagne-Gardening eingesetzten ungefärbten Recycling-Kartons aus Wellpappe unbedingt schädlich? Schließlich wird beim Recycling ja einiges herausgefiltert, ansonsten entstünden ja nicht diese Mengen an giftigen Papierschlämmen. Oder?
Zunächst einmal ist es wichtig zu wissen, wie Wellpappe hergestellt wird: Heutzutage bestehen fast 100 Prozent des Grundmaterials für die Pappe aus Altpapier. Es wird Leim verwendet, um die Papierbahnen miteinander zu verkleben. Dieser besteht meist aus pflanzlichen Stoffen, wie Mais-, Weizen- oder Kartoffelstärke. Allerdings werden für die sogenannte nassfeste Verklebung auch nicht-pflanzliche Klebstoffe eingesetzt. Welche genau in meinem Karton verwendet wurden, kann ich als Verbraucher nicht feststellen, denn es gibt kein Siegel für Kartons aus Wellpappe.
Das Umweltbundesamt geht davon aus, dass die Last an Schadstoffen aus dem Altpapierrecycling nicht ganz vermieden werden kann. Ein Teil der PFC geht also unweigerlich ins Recyclingpapier über. Da diese neuen Papierprodukte dann teilweise wieder recycelt werden, führt das zu weiterer PFC-Anreicherung im Altpapier-Mix. Wenn ich Wellpappe in meinem Garten kompostiere, landen PFC und Mineralölbestandteile also auch in meinem Boden und dann wieder in meiner Nahrung. Eine Entfernung der PFC aus dem Boden ist nicht ohne Weiteres möglich.
Lehren aus dem Papier-Debakel
Der Pro-Kopf-Verbrauch an Papier, Pappe und Karton betrug laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen im Jahr 2018 240 kg. Damit ist Deutschland Weltspitzenreiter. Auf Platz zwei liegen die USA mit 210 kg. Es wäre also wirklich an der Zeit, den Papierverbrauch zu reduzieren!
Tatsächlich aber geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine weitere Anfrage der Grünen hervor, dass der Verbrauch von Kartonverpackungen für den Versandhandel an private Verbraucher von 120 000 Tonnen im Jahr 1996 auf 760 000 Tonnen im Jahr 2015 angestiegen ist. Auch wenn die Recyclingquote in Deutschland eine der höchsten weltweit ist, sollte das nicht dazu verleiten, den Verbrauch von Papierprodukten ins -Unermessliche zu steigern. Denn auch, wenn das Papier nicht einfach verbrannt wird, muss für das Recycling Energie aufgewandt werden.
Bis von der Wissenschaft vielleicht einmal ein Weg gefunden wird, PFC wieder aus der Umwelt zu entfernen, können wir nur dafür sorgen, dass sich diese Stoffe nicht noch mehr dort anreichern. Ihre Nutzung muss von den Behörden deshalb noch mehr eingeschränkt werden, und wir müssen Möglichkeiten finden, diese Stoffe beim Recycling herauszufiltern.
Noch besser wäre es freilich, wenn der Gesetzgeber die Nutzung bereits existierender ökologischer Druckverfahren vorschreiben würde. Oya entsteht zum Beispiel im Bogenoffset ohne Zusatz von Isopropylalkohol im Druckprozess, gedruckt mit zer-tifizierten kobalt- und mineralölfreien Farben. Die Herstellung der Druckplatten erfolgt prozesslos ohne Chemie und Wasserverbrauch.
Lasagne-Gardening besser nur einmalig
Ich gehe derzeit davon aus, dass PFC zwar in recycelten Papierprodukten vorhanden sind, aber im Allgemeinen nicht in einer gefährlichen Menge. Daher halte ich es für vertretbar, einmalig Karton für die erste Beetanlage zu verwenden. Das sollte aber nicht wiederholt werden, weil sich die PFC sonst im Boden anreichern und irgendwann schädlich werden könnten. Außerdem ist es wichtig, nur ungefärbtes, ungebleichtes Material zu nehmen, da in gefärbten Kartons höhere Mengen von PFC vorhanden sein können. //
René Franz (25) beschäftigt sich im Rahmen seiner Weiterbildung zum diplomierten Gestalter an der Permakultur Akademie intensiv mit allen Formen der Permakultur. Er ist aktiv im Permakultur Institut und schreibt mit auf www.permakulturblog.de.