Buchtipps

Von Böden, die klingen, und Pflanzen, die tanzen (Buchbesprechung)

von Grit Fröhlich, erschienen in Ausgabe #65/2021
Photo

Bewegen sich Pflanzen zu Musik? Können sie das Summen verschiedener Insekten unterscheiden? Wie hören sich die Aktivitäten von Bodenlebewesen an, und was verraten diese Geräusche? Seit Jahren macht die Schweizer Biologin Florianne Koechlin die neuesten Forschungen zum faszinierenden Beziehungsgeflecht zwischen Pflanzen und anderen Lebewesen einem breiten Publikum zugänglich. In ihrem aktuellen Buch steht neben dem Staunen über die komplexen Fähigkeiten von Pflanzen auch die Frage im Mittelpunkt, was wir daraus für Wege in eine ökologische Landwirtschaft lernen können. In Interviews mit Forschenden, Bäuerinnen, Bauern und agrarpolitisch Aktiven unternimmt die Autorin »Streifzüge durch wissenschaftliches Unterholz«. Mit dem Philosophen Michael Marder spricht sie über die Körpersprache von Pflanzen; Peter Gloor vom MIT zeigt ihr Experimente mit Pflanzen, gekoppelt an künstliche Intelligenz, die unterschiedlich reagieren, wenn sich ein Mensch mit einer frohen oder traurigen Gangart durch den Raum bewegt. Mit dem Klangkünstler und Umweltwissenschaftler Marcus Maeder lauscht sie den Geräuschen von Bodenlebewesen, wobei die reichsten Klänge von Böden kommen, auf denen die größte Pflanzenvielfalt wächst, und die am schonendsten bearbeitet wurden. Sie besucht eine Biologin, die mit einer Schafherde die Landschaft im Urserental pflegt, wo Beweidung die Vielfalt von Kräutern und Bodenlebewesen fördert und zur Speicherung von CO2 im Boden beiträgt. Wie komplex die Kommunikation über Artengrenzen hinweg ist, lässt ein Ausflug in die Mikrobiologie erahnen: Winzige Erbgutteilchen von Pflanzen und Tieren, die wir essen, interagieren mit den Mikroben in unserem Darm und bewirken eventuell, dass Gene in unseren Körperzellen an- und abgeschaltet werden. Auch mit Ansprüchen der Gentechnik räumt Koechlin angesichts neuester Forschungen auf. Mit dem Mikrobiologen Ignacio Chapela diskutiert sie, warum die Vorstellung von Genen als eigenständigen, klar abgegrenzten DNA-Abschnitten, die herausgeschnitten, versetzt oder manipuliert werden können und die bestimmte Eigenschaften generieren, veraltet sei. Vielmehr zeige die Epigenetik, dass Lebewesen nicht nur durch Gene determiniert, sondern von allem um sie herum beeinflusst sind und wechselseitig alles um sich beeinflussen.

All dies verdeutlicht, dass ökologische Landwirtschaft durch ein Netz von Lebewesen getragen wird, die miteinander interagieren und kommunizieren - eine Interaktion, die durch Monokultur sowie die Vergiftung von Boden, Luft und Wasser beeinträchtigt wird. Ökologische Landwirtschaft wird aber auch getragen von sozialen Netzwerken, wie Koechlin beim Besuch von Dorfgemeinschaften im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh erfuhr, wo das sogenannte Zero Budget Natural Farming Verbreitung findet und die Regierung den kompletten Verzicht auf Pestizide bis 2027 beschlossen hat. Nicht zuletzt diskutiert die Autorin den Trend zur Digitalisierung der Landwirtschaft hierzulande sowie die Frage, ob eine Arbeit ohne den körperlichen Austausch mit Natur überhaupt wünschenswert sei. Eine anregende Lektüre für alle, denen Artenvielfalt und die Zukunft der Landwirtschaft am Herzen liegen.  


Von Böden die klingen und Pflanzen die tanzen
Neue Streifzüge durch wissenschaftliches Unterholz
Florianne Koechlin
Lenos, 2021, 275 Seiten
ISBN 978-3039250103
25,50 Euro

weitere Artikel aus Ausgabe #65

Photo
von Maria König

Gemeinschaffende Gastlichkeit

Maria König  Als wir letztes Jahr zum ersten Mal bei unserer Oya-Kollegin Anja Marwege in Holzen zur Redaktionskonferenz zu Gast waren, fühlten wir anderen aus dem Redaktionskreis uns gleich heimisch, und Johannes Heimrath kam der Buchtitel »Always Coming Home« von

Photo
von Maria König

Die Schnitterin in unser Leben lassen

Christliche Feste, bei denen der Bezug zu den Jahreszeiten deutlich durchscheint – wie Weihnachten, Ostern oder Erntedank – sind vielen von uns wohlvertraut. Fremd erscheinen uns hingegen die Schnitterbräuche, die in Mitteleuropa als bäuerliche Jahreskreisfeste noch bis

Photo
von Helen Britt

Gemöks

Den Kapitalismus wärmer machen Helen Britt über ihre Erfahrungen damit, in Gemeinschaft Geld zu teilen.Geld schafft die Illusion, dass wir unabhängig voneinander seien, dass wir, wenn wir nur genug davon besitzen, alles haben können, was wir zu brauchen glauben, ohne

Ausgabe #65
Vom Ernten

Cover OYA-Ausgabe 65
Neuigkeiten aus der Redaktion