Buchtipps

Revolution für das Leben (Buchbesprechung)

von Vivien Beer, erschienen in Ausgabe #65/2021
Photo

In ihrem neuen Buch »Revolution für das Leben« schreibt die Philosophin Eva von Redecker über lebens-hemmende Vorgehensweisen des Kapitalismus und bespricht revolutionäre Alternativen. Im Zentrum ihrer Arbeit steht das Leben. Das kapitalistische Eigentum würde durch Verdinglichung und Trennung von der Umwelt als etwas Totes dem Leben gegenübergestellt. Denn Lebendigkeit bedeutet bei der Autorin nicht nur menschliches und tierisches Leben, sondern das Leben aller Dinge – allerdings nicht ihr vermeintliches Beseeltsein, sondern ihr Eingebundensein in andere Lebenszyklen. Die maximale Ausbeutung der zueigengemachten Dinge habe schließlich zu den bekannten Umweltkatastrophen geführt. Doch selbst wenn der Kapitalismus mit seiner Eigentumslogik nicht schuld an der Zerstörung des Klimas wäre, so von Redecker, tendiere jede Aneignung und Verwertung zu Missbrauch und Nichtigmachung. 

Auf diesen Schluss kommt die Autorin durch eine im ersten Drittel des Buches durchgeführte Analyse des Kapitalismus. Wissenschaftsgeschichtlich wird diese durch Theorien etwa von John Locke, Karl Marx und Ereignissen wie der Agrarrevolution untermauert. Darauf aufbauend geht von Redecker später im Buch auf kapitalistische Antagonistinnen wie Solidarität, Teilhabe, Umweltpflege, Bedürfnisorientierung und Regeneration ein. Zahlreiche revolutionäre Protestbewegungen hätten in den letzten 200 Jahren gezeigt, dass viele Menschen für diese Antagonistinnen auf die Straßen zu gehen bereit sind. Aktivistinnen kämpfen gegen Rassismus, der durch kapitalistisches Eigentumsdenken ein monströses Ausmaß annehmen konnte, sowie für den Erhalt der Erde und/oder für eine lebendige Solidarität und gegen die Objektivierung von Frauen … Den entsprechenden  Bewegungen sei der Kampf gegen den vernichtenden Kapitalismus und das Bemühen für das Leben gemeinsam. Und sie alle zeigten in ihrer Organisation bereits gelebte Praxis, die über den Kapitalismus hinausweist. Viele weitere Menschen und Kollektive kommen im Buch zu Wort. Großen Ängsten der Kapitalismusbefürworter – wie Individualitätsverlust, Aussterben der Märkte oder Erfahrungen mit falsch verstandenem Sozialismus – bietet von Redecker die Stirn und geht auf die Wichtigkeit von Anonymität, Freiheit und Lust zu Besitzen ein, ohne sie aus der Welt des Lebendigen verbannen zu wollen. Doch im Kern brauche es ein Leben mit neuen Gesten des Rettens, Regenerierens, Teilens und Pflegens, die das Ganze in seinem Zusammenhang im Blick behalten.  


Revolution für das Leben
Philosophie der neuen Protestformen.
Eva von Redecker
S. Fischer, 2020, 325 Seiten
ISBN 978-3103970487
23,00 Euro

weitere Artikel aus Ausgabe #65

Photo
von Maria König

Die Freiheit, zu geben

Maria König: Mit dem »Sommer des guten Lebens«, zu dem viele Oya-Hütende und -Lesende Gäste an ihre Orte eingeladen haben, ist die Frage nach einer nährenden Form von Gastlichkeit für uns sehr lebendig geworden. Das erinnerte mich an meine Reise durch

Photo
von Jochen Schilk

Von jenischen Kesslern und Korbern… (Buchbesprechung)

Just nach der Produktion der letzten Ausgabe zum Schwerpunktthema »nomadische Kulturen« fiel mir im Oya-Büro ein Buch des Schweizer Mythenforschers Sergius Golowin (1930–2006) in die Hände, das dort womöglich schon seit seinem Erscheinen im Jahr 1999 der Entdeckung

Photo
von John Holloway

Fragen statt Antworten

Wir leben in einem gescheiterten System. Tagtäglich wird deutlicher, dass die gegenwärtige gesellschaftliche Organisation ein Desaster ist und der Kapitalismus nicht in der Lage ist, uns ein menschenwürdiges Leben zu bescheren. Die Covid-Pandemie ist kein natürliches

Ausgabe #65
Vom Ernten

Cover OYA-Ausgabe 65
Neuigkeiten aus der Redaktion