Titelthema

Wurzeln ausstrecken, um Dürre zu überleben

Das »Emanzipatorische Landwirtschaftsnetzwerk« zeigt, wie sich Frauen und queere Menschen stärker in der bäuerlichen Landwirtschaft zusammentun.von Kaya Thomas, erschienen in Ausgabe #66/2021
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© privat

Im August 2019 habe ich zum ersten Mal geholfen, ein Fahrsilo mit gehäckselter Luzerne als Winterfutter für die Kuhherde zu füllen. Es ist eine verbreitete Arbeit in der heutigen Landwirtschaft. Das Fahrsilo ist eine lange Betongrube mit etwa zwei Meter hohen Wänden. Die Futterhäcksel werden hängerweise hineingekippt und mit Treckern festgefahren, damit sie wie Sauerkraut fermentieren und monatelang haltbar bleiben. Als die vorgesehenen Flächen abgeerntet waren, stand ich mit den älteren Kollegen auf dem Rand des Silos und blickte nach unten. Es war das zweite Trockenjahr in Folge. »Guckt mal, wie weit wir noch von der Kante weg sind«, sagten sie. »Früher hatten wir schon von der Hälfte der Flächen ’nen Berg. Letztes Jahr war’s auch nicht besser. Wie das man weitergehen soll …« Die Stimmung war gedrückt. Ich fühlte mich, als wäre die Trockenheit auch in meinem Körper angekommen – als Druck auf der Brust und Anspannung in den Schultern. Es war, als müsste ich auf Regen warten, um wieder richtig durchatmen zu können – so wie die Bodenlebewesen, die sich einkapseln und ruhen, um ohne Wasser überleben zu können, bis wieder feuchtere Zeiten kommen.

Schon nach wenigen Wochen Mitarbeit konnte ich mir vorstellen, hier nach dem Studium weiterzuarbeiten. Auf dem Betrieb in der Altmark gibt es schon seit Jahren eine lange Fruchtfolge mit viel tiefwurzelnder, den Boden aufbauender Luzerne. Doch das reicht offensichtlich nicht. Ich fragte mich, wie wir es schaffen sollten, den sandigen Boden so mit Humus anzureichern, dass er Wasser länger speichern könnte. Dazu bedarf es aktiver Bodenorganismen, und die brauchen wiederum Wasser und Pflanzenreste als Futter: ein Teufelskreis, wenn es zwischen März und Oktober kaum regnet und alles, was dann noch wächst, gerade so reicht, um die Kühe zu versorgen, damit der Betrieb wirtschaftlich überleben kann. Wir werden wohl noch weiter von der groß-flächigen Landwirtschaft abrücken müssen. Dafür gibt es schon viele Ansätze, zum Beispiel die »Agrarökologie«. Sie alle erfordern, sich auf eine Beziehung mit der Landschaft einzulassen: beobachten und zuhören, mulchen und kompostieren, Bäume pflanzen und langfristig pflegen – dazu gehört auch, Menschen ein Auskommen zu geben, damit sie sich auf dem Land und in ihrer Tätigkeit wohlfühlen. 

Emanzipatorisch und bäuerlich

In den letzten Jahren sind nicht nur die Folgen der Weltvernutzung in Deutschland stärker wahrnehmbar geworden, sondern auch feministische und queere Gruppen in der Landwirtschaft. Ich verwende die Begriffe »Frauen« und »Männer« hier so, dass sie Transpersonen und nicht-binäre Menschen einschließen. »Queer« verstehe ich als Oberbegriff sowohl für marginalisierte Genderidentitäten als auch für sexuelle Orientierungen außerhalb von Heterosexualität.

Die Gründung des »Emanzipatorischen Landwirtschafts-Netzwerks«, kurz ELAN, zeugt von diesem Wandel. Darin organisieren sich seit 2019 FLINTA – Frauen, Lesben, Inter-, Nichtbinäre, Trans- und A-Gender-Menschen –, auch aus verschiedenen anderen bestehenden Gruppen, wie den »Witzenhäuser Ackerfeminist*innen« und der »Queeren Provinz«. Das ELAN-Netzwerk steht etwa für technisches Empowerment. Auf dem ELAN-Sommertreffen in der Altmark im September 2021 gab es Werkstätten, in denen geschmiedet und Kleidung repariert, Collagen gestaltet und Autos durchgecheckt wurden. Größere Projekte waren ein Motorsägenkurs und ein Workshop zu regenerativer Landwirtschaft. Dahinter liegt der Wunsch nach einer Kultur der gegenseitigen Unterstützung, nach Fehlerfreundlichkeit und Wissen, das frei geteilt wird – und danach, gemeinsam Spaß am Tun zu haben. In männerdominierten Bereichen entstehen immer noch Wissenshierarchien dadurch, dass weiblich gelesene Menschen viel
weniger selbstverständlich Maschinen- oder Reparaturarbeiten gezeigt bekommen und normale Anfängerfehler als Zeichen grundsätzlicher Unfähigkeit gewertet
werden. 

Lange Wurzeln

Die Organisierung von Frauen in der Landwirtschaft ist kein neues Phänomen. In enger Verbindung mit dem Deutschen Bauernverband gibt es von der Bundes- bis zur Kreisebene Landfrauenverbände. Deren ältester besteht seit 1946, also länger als der Bauernverband selbst. In der -»Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft« (AbL), vor 40 Jahren gegründet, um die Interessen kleiner und mittlerer bäuerlicher Betriebe gegenüber der »Wachsen oder Weichen«-Politik des Bauernverbands zu stärken, sind der Vorsitz und seine Stellvertretung von Anfang an mit jeweils einem Mann und einer Frau besetzt worden. Und von 1983 bis Mitte der 1990er Jahre gab es in der AbL regionale Landfrauengruppen. Darin trafen sich Bäuerinnen, Auszubildende, Studentinnen, Betriebsleiterinnen und Betriebshelferinnen, um über ihre Situation auf den Höfen zu sprechen und eigene politische Positionen zu entwickeln.

Im Protokoll einer ihrer Seminare mit dem Titel »Frau in der Landwirtschaft« wurden Grundprobleme genannt wie »die strenge Arbeitsteilung, die Abwertung der Hausarbeit und Schwierigkeiten, unsere Vorstellungen durchzusetzen«. Als Lösungen wurden bezeichnet: »Beide Partner sollten möglichst vieles können, Aufwertung der Hausarbeit, Kindererziehung durch beide Elternteile und möglichst geschlechtsunspezifisch, die Frauen sollten die Arbeit im Außenbereich erlernen.« Das war Anfang des Jahres 1984. In anderen Dokumenten aus dieser Zeit geht es um ihre mangelnde wirtschaftliche Absicherung und um internationale Solidarität. 

Leider ebbten die Treffen Mitte der 1990er Jahre größtenteils ab. Ulrike Hasenmaier-Reimer, selbständige Betriebs-leiterin auf einem Hof bei Schwäbisch Hall und damals eine der treibenden Kräfte, nennt als Grund, dass die meisten Frauen der gleichen Generation angehörten und ab einem gewissen Alter weniger Kraft hatten, um neben der Arbeit auf dem Hof noch politisch aktiv zu sein. So wurde eher von Einzelnen weiter Frauenpolitik gemacht, wie etwa von Isabella Hirsch in Franken, die neben dem Hof auch noch in der landwirtschaftlichen Familienberatung tätig war. Sie organisiert bis heute jährlich ein kleines Bäuerinnentreffen.

Die Zeit ist reif

Als ich vor acht Jahren während meiner Ausbildung zur Landwirtin AbL-Mitglied wurde, hörte ich von diesen Aktivitäten zunächst lange nichts. Wir waren viele junge Frauen, konnten uns gegenseitig Vorbilder sein und darin bestärken, selbstbewusst Trecker zu fahren, und ließen uns von den im Vergleich zu früher sicher subtileren, aber doch noch wirksamen Vorurteilen nicht unterkriegen. Trotzdem wuchs mit der Zeit bei mehreren Menschen unabhängig voneinander der Wunsch, einen eigenen Raum für Frauen und nicht-binäre Menschen haben zu wollen. »Wir bemerkten auf einer Mitgliederversammlung, dass Männer immer noch viel mehr redeten als Frauen, und dass es uns jungen Frauen schwerfiel, einzubringen, was uns bewegt«, erinnert sich die Gärtnerin Anna Fiebing. »Wir haben dann auf der Versammlung ganz spontan ein Frauentreffen organisiert, wo unheimlich viel erzählt wurde, über Sexismus im Betrieb und anderes, wofür wir erstmal einen sicheren Raum brauchten.« Paula Gioia vertritt die AbL im Vorstand der globalen bäuerlichen Bewegung »La Via Campesina«. Sie trug die Debatte rund um Gendervielfalt innerhalb von La Via Campesina in ihre europäischen Gremien und fand dabei heraus, dass auch die brasilianische Landlosenbewegung den Ausdruck vieler verschiedener Geschlechter und Sexualitäten förderte. Mit dem Vernetzungstreffen zu Gendervielfalt in der Landwirtschaft, das 2018 in Galizien stattfand, legte La Via Campesina einen Grundstein, um unter anderem persönliche Erfahrungsberichte von nicht-binären Landwirtschafttreibenden aus verschiedenen europäischen Ländern zu teilen. Diese Berichte erzählen auch eine kollektive Geschichte.

Es folgten etliche Treffen, zwischen denen Botschafterinnen Impulse hin und her trugen. Das »AbL-Frauen*-Treffen« Anfang 2019 im Wendland war eines davon. Daraus entstand in den folgenden Jahren ELAN. Seit der Gründung stellt sich die Frage: Wie viel tauschen wir uns über die Situation als Frauen aus, und wie viel geht es um die Auseinandersetzung mit queeren Identitäten? Beide Themen haben lange zu wenig Aufmerksamkeit bekommen und können dadurch in Konkurrenz geraten, obwohl wir uns gegenseitig unterstützen wollen. »Es ist wichtig, dass wir uns als ganze Menschen in der Landwirtschaft und in der bäuerlichen Bewegung willkommen fühlen«, sagte Paula. »Es kostet viel Kraft, immer abwägen zu müssen, wie viel wir von uns zeigen dürfen, auch in agrarpolitischen Organisationen.« Eine andere Person fügt hinzu: »In den queeren Räumen in der Stadt fühle ich mich mit meiner Begeisterung für die Landwirtschaft einsam, auf dem Land mit meinen queeren Träumen.« Mitzuerleben, dass wir einander ermöglichen, aus solcher Einsamkeit auszubrechen, indem immer mehr Menschen den Mut finden, über ihre Erfahrungen zu sprechen, fühlt sich an, als würde es nach einer langen Dürre langsam wieder zu regnen beginnen.

Landbau als liebevolle Zuwendung

Fürsorgearbeit – darin klingt die liebevolle Zuwendung an – ist lebensnotwendige, lebenserhaltende Arbeit, wie das Gebären und Großziehen von Kindern, die Zubereitung von Essen, die Pflege von Alten und Kranken und auch die emotionale Zuwendung, die überwiegend von Frauen geleistet und häufig als Bestandteil familiärer Beziehungen vorausgesetzt oder gering bezahlt ausgelagert wird. Auch die Pflege des Landes, der Pflanzen und Tiere sowie deren lebensnotwendige Gaben an uns begreife ich als Fürsorgearbeit – Oya hat dafür den Begriff »Landfürsorge« geprägt (Oya 50). In der Landwirtschaft liegen liebevolle Fürsorge und kolonialisierendes Übernutzen nahe beieinander. Auch Männer sind hier in der Position, immer verfügbar sein und gering bezahlte Arbeit leisten zu müssen. Gleichzeitig werden Empathie und Feinfühligkeit immer noch eher Frauen zugerechnet und weniger ernst genommen als der Einsatz von Technik oder »wirtschaftliche« Entscheidungen. Landbesitz und Betriebsleitung sind überdurchschnittlich stark bei (weißen) Männern konzentriert. Es geht darum, den abgewerteten Fähigkeiten und Qualitäten Bedeutung als menschliche Eigenschaften zu geben, ohne etwa Technik und Rationalität grundsätzlich zu -verteufeln.

Kennen und sorgen lernen

»Sie machen das doch nicht fürs Geld«, bekam ich vor Kurzem zur Antwort, als ich mangelnden Veränderungswillen bei der Benachteiligung landwirtschaftlicher Löhne im Vergleich zu anderen Branchen kritisierte. Der Satz ist zum Teil wahr. Aus reiner Geldmaximierungslogik ist es zur Zeit kaum nachvollziehbar, warum Menschen in der Landwirtschaft arbeiten. Die Beziehungen, die dabei gepflegt werden, sind der eigentliche Reichtum. Ich sehe, wie Menschen über ihre Grenzen gehen und zusätzliche Einkommensquellen brauchen, um sich die landwirtschaftliche Arbeit »leisten« zu können. Weniger Geld in der Landwirtschaft bedeutet, dass immer mehr Druck an Tiere, Pflanzen und den Boden weitergegeben wird, die nicht mit dem Trecker vors Parlament fahren können, um sich zu beschweren. Stattdessen hören sie nach und nach auf, Kohlenstoff zu speichern, Sauerstoff herzustellen und Wasser in der Landschaft zu halten.

»Lerne die kennen, die für dich sorgen, damit du auch für sie sorgen kannst«, fasst die Ökologin Robin Wall Kimmerer in ihrem Buch »Geflochtenes Süßgras« (siehe Seite 92) eine Grundregel indigener Kulturen zusammen, die über Jahrtausende üppige Ökosysteme gepflegt haben. Wird dieses Prinzip verletzt, entsteht eine Versorgungslücke. Diese wirkt sich auch auf die Kapazitäten für politisches Engagement aus. Sonja Korspeter forscht für die Online-Plattform »terrABC« zu bäuerlichem Erfahrungswissen in der Schweiz und Deutschland. Dabei bemerkte sie, dass Veränderungen wie die Umstellung auf Ökolandbau oder muttergebundene Kälberaufzucht häufig von Frauen ausgingen, die sich eher als Männer erlaubten, ihr Einfühlungsvermögen als Stärke und wichtige Richtschnur für wirtschaftliche Entscheidungen zu betrachten. Demgegenüber zeigt eine aktuelle Studie vom Deutschen Landfrauen-Verband, dem Thünen-Institut und der Uni Göttingen zur Situation von Frauen in der Landwirtschaft, dass nur jeder neunte Betrieb von einer Frau geführt wird. Eine Landwirtschaft, die allen Geschlechtern Raum gibt, könne auch eine Antwort auf die derzeit oft überfordernd verteilte Fürsorgearbeit sein. 

Das Sich-Zusammentun war zu Anfang keine bewusste Reaktion auf tote Böden, Ernteausfälle oder andere Zeichen der Klimakrise, doch bei längerem Hinsehen zeigen sich immer mehr Verbindungen, wie kleine Quellen und Rinnsale – die auf einen unterirdischen Strom hindeuten. Die Suche nach Geschichten von unseren Vorgängerinnen fühlt sich an wie die Rückverbindung mit tiefen Wurzeln, die wir dringend brauchen, um bei langer Trockenheit nicht zu verdursten. //


Zu emanzipatorischer Landfürsorge

elanvernetzungstreffenonline.wordpress.com

kurzelinks.de/LaViaCampesina

terrabc.org


Kaya Thomas (30) hat Landwirtschaft gelernt, studiert Ökolandbau und Vermarktung in Eberswalde und betreut dort die Projektwerkstatt »Gender & Klimagerechtigkeit«. Sie ist bei ELAN und der jungen AbL aktiv und Beisitzerin im Vorstand der AbL. In den Ferien arbeitet sie auf dem Naturland-Betrieb Warnke in der Altmark.


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