Eine Ahnin des schwarzen Feminismus erinnert an die Subsistenz.von bell hooks, erschienen in Ausgabe #67/2022
Ich möchte leben, denn das Leben birgt das, was Güte ist, birgt das, was Schönheit ist, birgt das, was Liebe ist. Nun, da ich all das weiß, bin ich zu dem Schluss gelangt, dass dies Grund genug sei, zu sagen: Ich möchte -leben. Und weil das so ist, möchte ich, dass auch andere leben können, -Generationen über Generationen über Generationen über Generationen.
(Lorraine Hansberry, »To Be Young, Gifted, and Black«)
Wenn wir die Erde lieben, dann können wir auch uns selbst voller und ganzer lieben. Daran glaube ich. Meine Ahnleute haben mich das gelehrt. Als Kind spielte ich gern im Dreck, in der fetten, fruchtbaren Erde Kentuckys – einer lebensspendenden Quelle. Bevor ich auch nur ansatzweise verstand, welcher Schmerz und welche Ausbeutung mit dem in den Südstaaten verbreiteten -Naturalpachtsystem »Sharecropping« einhergegangen waren, hatte ich verstanden, dass erwachsene Schwarze das Land lieben. Ich konnte mit meinem Großvater Daddy Jerry über die Äcker, auf denen Tomaten, Mais und Blattkohl wuchsen, schauen, und ich wusste, dass dies seiner Hände Arbeit war. Der Stolz war ihm ins Gesicht geschrieben, wenn ich ehrfürchtig die Magie, Dinge wachsen zu lassen, bestaunte. Ich wusste, dass der Garten, den meine Großmutter Baba hinter dem Haus bestellte, Bohnen, Süßkartoffeln, Kohl und gelbe Kürbisse hervorbrachte, und dass auch sie mit Stolz Reihe um Reihe wachsenden Gemüses abschritt und uns zeigte, womit die Erde uns beschenkt, wenn wir sie liebevoll hegen und pflegen.
Vom Augenblick ihrer ersten Begegnung an war den indigenen wie auch den aus Afrika stammenden Leuten Nordamerikas eine respektvolle Haltung gegenüber den lebensspendenden Kräften, gegenüber der Erde gemein. Menschen mit afrikanischen Wurzeln, die in Florida siedelten, unterwiesen die dorthin geflüchteten, -»Seminolen« genannten Mitglieder der Muskogee-Nation im Reisanbau. Und die indigenen Leute brachten den kürzlich angekommenen schwarzen Leuten alles über die vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten von Mais bei. (Das Maisbrot, mit dem wir aufwuchsen, hatten die Native Americans in die schwarze Südstaatenküche eingebracht.) Da Schwarzen wie Indigenen eine Verehrung für die Erde gemeinsam war, halfen sie einander dabei, sich daran zu erinnern, dass das Land – den Gepflogenheiten des »weißen -Mannes« zum Trotz – allen gehörte. Diese, Lushootseed Si’ahl (Chief Seattle) zugeschriebenen Worte aus dem Jahr 1854 erzählen davon:
Wie könnt ihr den Himmel oder die Wärme der Erde kaufen oder verkaufen? Diese Vorstellung ist uns fremd. Wenn wir die Frische der Luft und das Glitzern des Wassers nicht besitzen, wie könntet ihr sie uns dann -abkaufen? Jeder Teil dieser Erde ist meinem Volk heilig. Jede glänzende Kiefernnadel, jeder sandige Strand, jeder Nebel in den dunklen Wäldern, jede Lichtung und jedes summende Insekt ist in der Erinnerung und Erfahrung meiner Leute heilig. […] Wir sind ein Teil der Erde, und sie ist ein Teil von uns. Die duftenden Blumen sind unsere Schwestern; der Hirsch, das Pferd, der große Adler – sie alle sind unsere Brüder. Die felsigen Gipfel, die saftigen Wiesen, die Körperwärme des Ponys und der Mensch – sie alle gehören derselben Familie an.
Dieses Gefühl des Naturverbundenseins klingt auch in den Zeugnissen schwarzer Leute an, die angaben, dass sie – obgleich das Leben in der »Neuen Welt« mühsam gewesen war – durch ihre Beziehung zur Erde ihren Frieden gefunden hätten. In ihrer mündlich aufgezeichneten Autobiografie berichtet die schwarze Hebamme Onnie Lee Logan, die ihr ganzes Leben in Alabama verbrachte, von der Fülle des Lebens auf dem Land – wo sie Gemüse anbaute, Hühner hielt und Fleisch räucherte:
Wir führten ein zufriedenes, gutes Leben, nachdem die Sklaverei vorbei war. Ich kannte nur das Leben auf der Farm, also war das Leben ein zufriedenes, wir waren zufrieden … Wir hätten nicht anders als zufrieden sein können. Wir nahmen die Tage, wie sie kamen, wie sie waren. Tag für Tag, so dass wir nicht über Schwierigkeiten klagten. Wir sahen darüber hinweg. Wir dachten nicht darüber nach. Machten einfach weiter. Wir hatten, was wir brauchten, um gut zu leben und weiterzumachen.
Für Menschen, die ohne Geschichtsbewusstsein in modernen Gesellschaften leben, ist es leicht, zu vergessen, dass schwarze Menschen zunächst bäuerlich geprägte Landmenschen waren. Es ist leicht, zu vergessen, dass die überwiegende Mehrzahl der Schwarzen in den Vereinigten Staaten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den landwirtschaftlich geprägten Südstaaten lebte.
Da diese schwarzen Menschen nah an der Natur lebten, konnten sie eine Atmosphäre der staunenden Ehrfurcht vor dem Leben kultivieren. Indem sie Gemüse anbauten, um den Körper zu nähren, und Blumen, um die Seele zu erfreuen, konnten sie eine dauerhafte und lebensbejahende Verbindung mit der Erde eingehen. Vor ihren Augen entfaltete sich Schönheit. In »Körper und Erde« – seiner wichtigen Erkundung der Beziehung zwischen Landbau und menschlichem wie spirituellem Wohlergehen – erinnert uns Wendell Berry daran, dass das Tätigsein mit dem Land einen Raum erschafft, in dem Menschen persönliche Wirksamkeit und persönliches Wohlergehen erfahren können:
Gute Arbeit leisten wir dann, wenn wir uns als Mitgeschöpfe der Pflanzen, Tiere, Materialien und Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, verstehen. Solche Arbeit ist verbindend, ist heilsam. Sie bewahrt uns vor Stolz und Verzweiflung und weist uns in unserem Menschsein Verantwortung zu. Sie definiert uns so, wie wir sind: nicht zu gut, um mit unserem Körper zu arbeiten, aber zu gut, um stümperhaft, freudlos, selbstsüchtig oder vereinsamt zu arbeiten.
Es gibt so gut wie keine Forschung über die psychologische Auswirkung der »großen Migration« schwarzer Leute von den landwirtschaftlich geprägten Südstaaten in den industrialisierten Norden. In ihrem Roman »Sehr blaue Augen« versuchte Toni Morrison, mit den Mitteln literarischer Fiktion nachzuzeichnen, welche seelischen Verwundungen Schwarze durch die Wanderungsbewegung vom agrarischen Süden in den industrialisierten Norden erlitten. Entfremdet von einer natürlichen Welt, in der es Zeit für Stille und Kontemplation gegeben hatte, verliert Miss Pauline – eine der entwurzelten Figuren in Morrisons Roman – die Fähigkeit, die Welt sinnlich wahrzunehmen, nachdem sie den Südstaaten den Rücken kehrte und in eine Stadt im Norden der USA gezogen war. In ihrer Erinnerung ist und bleibt der Süden eine Welt sinnlicher Schönheit, die sich am tiefsten in der nicht-menschlichen Natur entfaltet. Als sie sich zum ersten Mal verliebt, kann sie diese Erfahrung nur benennen, indem sie Bilder aus der Natur, aus einer bäuerlichen und nahezu wilden Welt voller natürlicher Pracht heraufbeschwört:
Wie ich Cholly zum ersten Mal gesehen habe, da muss man wissen, dass es so war wie all die Farbfleckchen von damals zu Hause, als wir Kinder nach einem Begräbnis alle Beeren pflücken gingen, und ich tat welche in die Tasche von meinem Sonntagskleid, und sie wurden zermatscht und machten Flecken auf meine Hüften. Mein ganzes Kleid war purpurrot befleckt, und es ging nie wieder raus. Aus dem Kleid nicht und aus mir auch nicht. Ich konnte dieses Purpurrot tief in mir fühlen. Und diese Limonade, die Mama machte, wenn Pap vom Feld nach Hause kam. Kühl ist sie und gelblich, und unten schwimmen die Kernchen. Und dieser grüne Blitz, den die Junikäfer auf den Bäumen machten an dem Abend, wie wir von zu Hause weggingen. All die Farben waren in mir. Sie saßen einfach da.
Es muss tatsächlich ein schmerzhafter Schlag für das kollektive Unbewusste der Schwarzen gewesen sein, sich vom Land zu trennen, um sich im industrialisierten Norden zum Zweck des Broterwerbs zu verdingen. Durch den Industriekapitalismus veränderten sich nicht einfach nur die Arbeitsalltage schwarzer Menschen, sondern es veränderten sich auch die gemeinschaftlichen Praktiken, die so zentral für das Überleben im ländlich geprägten Süden gewesen waren. Und er veränderte die Beziehung schwarzer Menschen zu ihrem Körper grundlegend. Mit dem Umzug in den Norden beginnt Miss Pauline daran zu leiden, dass sie ihren Körper samt all seiner Makel nicht mehr annehmen kann.
Die Motivation schwarzer Menschen, den Süden hinter sich zu lassen und in den Norden zu ziehen, war sowohl materieller als auch mentaler Natur. Sie wollten sich von der im Alltag des Südens ständig unverhohlen ausgeübten rassistischen Bedrohung befreien, und sie wollten Zugang zu materiellen Gütern — ein Maß an materiellem Wohlstand, das für sie im agrarischen Süden, wo die Weißen den Zugang zu ökonomischer Macht begrenzten, nicht erreichbar war. Freilich sollten sie bald merken, dass das Leben im Norden seine eigenen perversen Härten birgt, dass der Rassismus dort ebenso virulent war und dass es dort für Schwarze viel schwieriger war, an Land zu kommen. Ohne Land, auf dem sie Nahrung anbauen, sich mit der Natur verbinden oder das Elend materieller Armut durch die Pracht der Natur aufwiegen hätten können, versanken viele Schwarze in schwerer Depression. Arbeitsbedingungen, unter denen der Körper zum bloßen Werkzeug degradiert wurde (wie ehedem in der Sklaverei), bewirkten eine tiefgreifende Spaltung zwischen Geist und Körper. Die Art und Weise, wie der Körper dargestellt wurde, wurde nun wichtiger als der Körper selbst. Es war unerheblich, ob der Körper gesund war, solange er gesund erschien.
Die Entfremdung von der Natur und die Spaltung zwischen Geist und Körper machten Schwarze umso anfälliger dafür, rassistische weiße Annahmen über schwarze Identität zu verinnerlichen. Nachdem die aus den Süd- in die Nordstaaten verpflanzten Leute aus dem Süden gelernt hatten, ihr Schwarzsein zu verachten, erfuhren sie Kulturschocks und litten an Seelenverlust. Die Härte des Stadtlebens kontrastierte der Lyriker Waring Cuney in diesem bekannten Gedicht aus den 1920er Jahren mit einer bäuerlichen Welt, und gab so Zeugnis von verlorener Verbundenheit:
Sie weiß nicht um ihre Schönheit,
Sie denkt, ihr brauner Körper
Hätte weder Glanz noch Glorie.
Doch könnt’ sie nackt
Unter Palmen tanzen
Und im Fluss sich spiegeln,
Dann wüsste sie’s.
Auf der Straße aber wachsen keine Palmen,
Und Spülwasser wirft kein Bild zurück.
Über viele Jahre kehrten Generationen von Schwarzen, die einst in den Norden gezogen waren, um dem Leben in den Südstaaten zu entfliehen, auf der Suche nach spiritueller Nahrung zurück in den Süden – und manche tun das noch heute. Dieser Heilungsprozess hat wesentlich damit zu tun, die Verbundenheit mit der Natur zu erneuern und ein kontemplatives Leben führen zu können, das Zeit birgt, um auf der Veranda zu sitzen, wandern und angeln zu gehen oder Glühwürmchen zu fangen. Wenn wir das städtische Leben als einen Raum betrachten, in dem schwarze Menschen gelernt haben, einen Geist-Körper-Dualismus zu akzeptieren, der es möglich gemacht hatte, den Körper zu missbrauchen, dann können wir besser verstehen, warum die psychische Verfasstheit vieler Schwarzer zunehmend durch Nihilismus und Verzweiflung gedämpft wurde. Wir können dann auch erkennen, dass wir, wenn wir von der Heilung dieser Psyche sprechen, zugleich auch von unserer Wiederverbindung mit der natürlichen Welt sprechen müssen.
Wo auch immer schwarze Leute wohnen mögen, überall können sie diese Verbindung mit der natürlichen Welt erneuern, indem sie sich Zeit dafür nehmen, um Gemeinschaft mit der Natur zu erleben, um andere Arten, mit denen wir Menschen uns diese Planetin teilen, zu würdigen. Selbst in meinem kleinen Apartment in New York City kann ich innehalten, um dem Vogelsang zu lauschen, oder einen Baum finden, den ich lange betrachte. Und wir können gärtnern – können Kräuter, Blumen, Gemüse anbauen. Jene Romane von afroamerikanischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die von der Migration Schwarzer vom agrarischen Süden in den industrialisierten Norden handeln, beschreiben detailliert, wie Menschen Räume geschaffen haben, um Blumen und Gemüse anzubauen. Obwohl meine Verwandtschaft größtenteils aus Landmenschen mit notorisch grünen Daumen besteht, hatte ich immer das Gefühl, nicht gärtnern zu können. In den vergangenen Jahren habe ich herausgefunden, dass ich es doch kann – dass vielerlei Gärten gedeihen können, dass ich mich mit meinen Ahnleuten verbunden fühle, wenn ich eine Mahlzeit aus selbstgezogenem Gemüse auf den Tisch stelle. Am liebsten pflanze ich Blattkohl. Er ist winterhart und pflegeleicht.
In der modernen Gesellschaft gibt es auch eine Neigung zur Ausblendung jeglichen Zusammenhangs zwischen dem Kampf für die kollektive Selbstheilung schwarzer Menschen einerseits und ökologischen Bewegungen – die versuchen, das Gleich-gewicht der Planetin wieder herzustellen, indem Menschen ihr Verhältnis zur Natur und zu natürlichen Ressourcen verändern – andererseits. In Unkenntnis unserer Geschichte des verbundenen Lebens auf dem Land erkennen viele der heute lebenden schwarzen Leuten keinen Wert darin, ökologische Bewegungen zu unterstützen, oder sie betrachten Umweltschutz und Antirassismus als konkurrierende Anliegen. Erinnern wir uns jedoch ans Erbe unserer Ahnleute, die wussten, dass aus der Art und Weise, wie wir uns zum Land und zur Natur stellen, das Maß unserer Selbstachtung erwächst, müssen wir Schwarzen schlichtweg ein spirituelles Vermächtnis zurückfordern, in dem wir unser eigenes Wohlbefinden mit dem Wohlbefinden der Erde verbinden. Das ist eine notwendige Dimension von Heilung. Wie Berry uns erinnert:
Gesunden können wir nur, indem wir die zerschlagenen Verbindungen wiederherstellen. Verbindung ist Genesung. Und was unsere Gesellschaft tunlichst vor uns verbirgt, ist, auf welch gewöhnlichen, öffentlich zugänglichen Wegen Gesundheit entsteht. Wir verlieren unsere Gesundheit – und erzeugen profitable Krankheiten und Abhängigkeiten –, weil wir die direkten Verbindungen zwischen Leben und Essen, Essen und Arbeiten, Arbeiten und Lieben nicht mehr erfahren. Beim Gärtnern arbeiten wir mit dem Körper, um den Körper zu ernähren. Ist die Arbeit von Verstand getragen, bringt sie erstklassige Nahrung hervor. Und sie macht hungrig. Arbeit lässt das Essen nicht zum Konsum, sondern zur Freude werden, und sie verhindert, dass der Essende dick wird. Das ist Gesundheit, Ganzheit, eine Quelle der Freude.
Schwarze kollektive Selbstheilung findet dann statt, wenn wir anfangen, unsere Beziehung zur Erde zu erneuern, wenn wir uns an die lebensfördernden Weisen jener, die vor uns waren, erinnern. Wenn uns die Erde heilig ist, dann können uns auch unsere Körper heilig sein.//
bell hooks (1952–2021) war eine der wichtigsten Stimmen des intersektionalen schwarzen Feminismus. Am 25. September 1952 in Hopkinsville, Kentucky, als Gloria Jean -Watkins geboren, griff sie später den Namen ihrer Urgroßmutter mütterlicherseits – Bell Blair Hooks – als Pseudonym auf, das sie konsequent kleinschrieb. 1981 erschien bell hooks’ erstes Buch »Ain’t I a Woman? Black Women and -Feminism«. Die Beschäftigung mit dem Zusammenspiel verschiedener Unter-drückungsformen wie Rassismus, Klassismus und Sexismus spielte in ihrer Arbeit eine zentrale Rolle. Ab 1994 wirkte sie als Professorin für Literaturwissenschaft am City College of New York und folgte 2004 einem Ruf an die Berea University in Kentucky. Dabei habe sie sich, wie sie einmal erklärte, das queerfeministische Motto »We’re here« zu eigen gemacht: »So fühle ich mich in den Hügeln Kentuckys: Ich bin hier, und empfinde nichts als Liebe für die Welt, die mich umgibt.« Als »queer« bezeichnete sie dabei ein Selbst, »das im Widerspruch zu allem, was es umgibt, steht, so dass es den Ort, von dem aus es sprechen, gedeihen und leben kann, erst erfinden und erschaffen muss«. 2015 eröffnete an der -Berea University das »bell hooks Center«. Am 15. Dezember 2021 starb bell hooks nach langer Krankheit in Berea, Kentucky.