Titelthema

Vom Ende der Klimawissenschaft

Drei Menschen, die in der Klimaforschung gearbeitet haben, erzählen, warum sie der Universität den Rücken kehrten – und wie sie ihr Wissen jetzt praktisch handelnd einsetzen.von Theresa Leisgang, Janina Messerschmidt, Payal Parekh, Wolfgang Knorr, erschienen in Ausgabe #67/2022
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© privat/Danielle Liniger/privat

Bei einem Waldspaziergang Anfang Februar traf ich unverhofft einen alten Freund: Allium paradoxum, Wunder-Lauch, auch Berliner Bärlauch genannt. »Ihr hier? Um diese Jahreszeit?«, fragte ich die kleinen Triebe, die überall unter den mächtigen Buchen hervorspitzten. Eigentlich könnte er sich noch einen Monat Zeit lassen, aber er wunderte sich wohl genau wie ich über diesen Winter ohne viel Schnee und Eis.

Kurz nach meiner Geburt 1989 veröffentlichte der Weltklimarat IPCC, die wichtigste wissenschaftliche Instanz in Sachen Klima, seinen ersten Sachstandsbericht mit Warnungen vor der Erderhitzung. In den 30 folgenden Jahren sind die CO2-Emissionen weltweit um 67 Prozent gestiegen – trotz der politischen und diplomatischen Bemühungen von klugen Menschen auf 25 Weltklimakonferenzen. Vielerorts spitzt sich die Lage zu: Alaska verzeichnete im vergangenen Dezember einen einmaligen Temperaturrekord von 19,4 °C, wo eigentlich minus 20 °C zu erwarten wären. Aufgrund menschlicher Eingriffe stößt die Region des Amazonasregenwalds inzwischen teils mehr Treib-hausgase aus, als sie absorbiert. Nie in der Geschichte der Menschheit war die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre so hoch wie heute. 

Es ist längst nicht nur der Temperaturanstieg, der eine existenzielle Bedrohung für das Leben auf unserem Planeten darstellt: Auch in Gewässern, Böden und Ökosystemen wie Mooren und Meeren wurden die Belastungsgrenzen schon überschritten. Die Ostsee hat sich bereits um 2 °C erwärmt, das setzt den Dorsch unter Stress. Menschen, die sich mit Meeresbiologie befassen, glauben nicht mehr an eine Erholung der Populationen jener Arten, die einmal die häufigsten Fangfische der Ostsee waren: Kabeljau adé! Es gibt eine Frage, die mich umtreibt, seit ich an der Universität zum ersten Mal den Bericht »Die Grenzen des Wachstums« von 1972 gelesen habe: Wenn diese Erkenntnisse zur Klimakrise schon so lange bekannt sind, warum ist dann die Notwendigkeit einer umfassenden Transformation noch immer nicht im Mainstream angekommen? 

Anfang Januar haben drei Professoren ein Moratorium für die Klimaforschung gefordert. Sie wollen keine weiteren Berichte durch den IPCC veröffentlicht sehen, bis Regierungen weltweit ernsthafte Maßnahmen ergreifen. Wenn es nicht Fakten sind, die das Blatt wenden, was ist es dann? Und: Ist das Blatt überhaupt noch zu wenden? Was bedeutet das für unser Leben, unseren Alltag? Diese Fragen stellte ich drei Menschen, die jahrelang erfolgreich wissenschaftlich arbeiteten, nun aber schon einige Zeit aus der akademischen Welt ausgestiegen sind – weil sie ihnen zu unpolitisch war. Seit den Protesten von »Fridays for Future« und der Gründung der »Scientists for Future« hat sich zwar vieles verändert, aber Janina Messerschmidt, Wolfgang Knorr und Payal Parekh würden ihr altes Leben dennoch nicht mehr wiederhaben wollen. Wie so viele andere haben sie sich gefragt, was es jetzt angesichts der Krise zu tun gilt – und fanden dadurch die unterschiedlichsten Aufgabenfelder, denn zu tun gibt es viel. In einem Punkt sind sie sich einig: Wir brauchen nicht noch mehr Wissen, sondern einen tiefgreifenden Wandel von Werten und der Art, wie wir das gemeinsame Leben auf der Erde gestalten. (Theresa Leisgang)


Wir arbeiten, um zu leben, nicht anders herum

Janina Messerschmidt (44), hat über CO₂-Messsysteme promoviert. Die Physikerin sagt: »Was wir dringend brauchen, ist Zeit, um den Wandel zu leben!« Sie hat sich die Zeit genommen, ehrenamtlich die »Bürgerenergiegenossenschaft Oder-Spree« zu gründen, hat gemeinsam mit befreundeten Menschen ein Haus gekauft, das sie energetisch saniert. Zudem ist sie aktiv im Gemeinderat ihres Wohnorts in Ostbrandenburg und liebt ihren großen Permakulturgarten. 

Seit ich keinen Vollzeitjob mehr habe, sind meine Tage sehr abwechslungsreich. Wenn ich mich nicht gerade in der Gemeinde für den Ausbau erneuerbarer Energien engagiere, beobachte ich meinen Garten, spiele mit meiner Tochter oder entwerfe den Lehrplan für einen Transformations-Studiengang. Wir wollen ein Jahresprogramm für junge Leute aus dem Bundesfreiwilligendienst auf die Beine stellen, durch das sie an mehreren Wochenenden lernen, welche Dimensionen die anstehende gesellschaftliche Transformation hat – nicht nur in der Theorie, sondern auch an Praxisorten wie dem »Haus des Wandels« hier in unserem Dorf. 

So hatte ich mir meine Laufbahn nach dem Doktor in Physik eigentlich nicht vorgestellt, und manchmal sehne ich mich noch zurück nach der Forschung oder überlege, mich auf eine Professur zu bewerben. Aber dann stelle ich wieder fest, dass mein Leben genau so ist, wie ich es will: Ich arbeite an etwas Sinnvollem, und durch meinen Brotjob als Personalreferentin verdiene ich mit 20 Stunden die Woche genug, um Zeit für meine eigenen Projekte zu haben. 

Stark geprägt hat mich das Studium an der Universität Bremen. Ein Leitsatz in der Lehre lautete: »Mit Wissenschaft kann man alles beweisen, deshalb muss man sich gesellschaftlich verorten.« Physik ist nicht objektiv, sondern wir arbeiten bewusst mit Modellen, mit denen wir die Welt ein bisschen besser erklären können. Aber wir wissen, dass das nicht die Realität ist. Mit einem Diplom in Physik über Windenergie und einem Vordiplom Psychologie in der Tasche habe ich mich also gefragt, was ich mit meinem Wissen gesellschaftlich Relevantes anstellen könnte. Ich habe mich dann eher zögerlich für eine Doktorarbeit in Physik entschieden. Aber damals, 2007, mussten wir noch beweisen, dass der Klimawandel menschengemacht ist. 

Dafür hatte man bis dato wie mit einem Beutel Luftmengen genommen und dann im Labor das CO2 darin gezählt. Um nicht die Autoabgase von Berlin mitzuberechnen, wurde das zum Beispiel auf Inseln im Pazifik gemacht. Seither gab es enorme Fortschritte, jetzt guckst du in die Sonne und kannst mit Satellitendaten das CO2 von hier bis zur Sonne vermessen. Damit hast du die Gesamtsäule und kannst mit nur einer Handvoll Satelliten örtlich aufgelöste Stundendaten generieren. In meiner Promotion sollte ich die Messinstrumente für dieses neue Verfahren, in das damals viele Gelder geflossen sind, aufbauen und kalibrieren. Zusammen mit einer Technikerin habe ich Messinstrumente aufgebaut und die Software für die automatisierten Messungen geschrieben. Ich habe noch das Bild im Kopf, wie sie da mit der Flex steht und die Dorfbewohner sie mit offenem Mund anschauen –
unvorstellbar: zwei Frauen in der Forschung. Bei – 20 °C -saßen wir in einem Container mitten im Nirgendwo; es war eine sehr schöne Zeit. 

2012 bin ich aber aus der Klimaforschung ausgestiegen, sie war mir einfach zu unpolitisch. Es ging nur darum, die Messungen noch genauer zu machen, und nicht darum, einen Teil dazu beizutragen, wie wir weniger CO2 emittieren können. Auf den Konferenzen wurden Daten über die Eisschild-Dicke in einem völlig neutralen Ton vorgetragen, es war unglaublich. Ich dachte: »Was will ich bewegt haben, wenn ich auf mein Leben zurückschaue?« Messreihen sind es nicht. 

Deshalb habe ich mich außerhalb der Uni auf Jobs beworben und bin bei einem Start-Up gelandet, das über Mikrokredite Solaranlagen in afrikanische Länder verkaufte. Wir waren alle idealistisch tätig, haben für sehr wenig Geld sehr viel gearbeitet, 60 Stunden pro Woche und mehr. Unser Konzept hat jedenfalls funktioniert, es kamen immer mehr Investoren. Aber plötzlich ging es nur noch ums Geld, und wir wurden buchstäblich verkauft: an eine Atomkraftfirma aus Frankreich! Das ist nicht, was ich Erfolg nenne. Da hat sich eine Moral in mir gefestigt: Bestimmte Dinge mache ich nicht mehr mit! Ich habe mich dann mit einem Kollegen im Tandem auf andere Jobs beworben. Heute teilen wir uns eine 40-Stunden-Stelle und haben beide genug Zeit neben der Lohnarbeit. Wir arbeiten, um zu leben – und nicht anders herum. 

Angesichts der Krisen ist ein umfassender Kulturwandel unumgänglich, und der ist nur von der Basis aus möglich. Was deshalb am wichtigsten ist, ist Zeit. Zeit, um an diesem Wandel zu arbeiten und ihn zu leben. Es fehlt nicht primär an Geldern in der Wissenschaft, und wir brauchen nicht nur eine andere Politik, sondern auch mutige Menschen, die neue Werte ausprobieren und leben. Gebt allen tausend Euro im Monat, und wir werden sehen, was passiert – mit einem Grundeinkommen setzen sich die meisten Menschen für eine gute Zukunft ein, da bin ich mir sicher. Wenn wir viele sind, kommt alles andere von allein. Das klingt vielleicht in manchen Ohren zu optimistisch. Aber es ist tatsächlich die Basis für eine Alternative zu den bestehenden Verhältnissen.  (Janina Messerschmidt)


Wir Klimawissenschaftler haben die Menschheit im Stich gelassen

Wolfgang Knorr (55) hat 25 Jahre als Klimawissenschaftler gearbeitet und mathematische Klimamodelle errechnet, bis er begriff: Auch die schlimmsten Prognosen führen nicht zu einem nötigen Wandel in der Politik. Heute sieht er sich deshalb eher als Aktivist, in seinem Twitter-Profil beschreibt er sein Leben so: »Born at 320 ppm, started career at 350 ppm, and activism at 410 ppm.« Er meldet sich nach Feierabend aus Griechenland, wo er auf eigenem Land eine Baustelle für ein Gemeinschaftswohnprojekt vorantreibt. 


Letzten Sommer war die Klimakatastrophe mit den Waldbränden hier genau vor unserer Haustüre. Ich habe für mich verschiedene Wege gefunden, mit dieser Situation umzugehen. Einerseits will ich auf dem Land hier in Griechenland ein Gemeinschafts-Zentrum aufbauen. Andererseits habe ich mich gefragt: »Was bringt es der Welt, wenn ich als Klimawissenschaftler weiterhin für ein System arbeite, das keinen Wandel will?« Also habe ich mit einigen anderen Menschen die »Faculty for a Future« gegründet.

Das Problem der Umwelt- und Klimakrise ist ja kein technisches Problem, das man mit technischen Mitteln lösen könnte – sondern vielmehr ein Problem der Ungleichheit, ein Problem von Machtstrukturen, der Unterdrückung bestimmter Bevölkerungsgruppen vor allem im Globalen Süden, die die Auswirkungen des Klimawandels heute schon deutlich zu spüren bekommen. Wir müssen weg davon, die Klimakrise als ein Temperatur- und CO2-Problem zu sehen. Die Gefahr besteht dann immer, dass den Betroffenen wieder Lösungen aus dem Westen übergestülpt werden. 

Ich habe jahrzehntelang Klima- und Vegetationsmodelle entwickelt, zuletzt in Lund, wo es um Waldbrände ging, zuvor in Bristol, Jena und am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie. Der damalige Direktor Klaus Hasselmann – der jetzt auch einen Nobelpreis bekommen hat – war eine Inspiration für mich. Er hatte einerseits diese Vision, die Welt mit mathematischen Methoden zu erfassen, und gleichzeitig hat er sich für extrem viele Themen interessiert. Mein Anliegen in der Forschung war eigentlich immer, biologische Prozesse mit in Klimamodelle einfließen zu lassen. Es geht bei der Modellierung ja um große Skalen, um den Globus als Ganzen. Ich habe dann versucht, Beobachtungen aus der terrestrischen Biosphäre systematisch mit in die Modelle einzubeziehen. 

Dass die Klimawissenschaft als Klimamodellierungswissenschaft verstanden wurde, das fand ich zunehmend problematisch. Mathematische Modelle helfen uns nicht aus der Krise. Wir klima-wissenschaftlich Arbeitende haben die Menschheit im Stich gelassen – zum Beispiel durch diese Langzeitmodelle, die ein falsches Gefühl von Kontrolle über die Situation vermitteln. Dabei ist das Schwierige nicht das Klimasystem, sondern die Frage, wie wir als Gesellschaft mit der Situation umgehen. 

Wissenschaftlich arbeitende Menschen sind konservativ, das ist der Modus Operandi der Wissenschaft: Bevor eine neue Hypothese akzeptiert wird, muss sie minutiös geprüft werden, um sicherzustellen, dass wir nicht falsch liegen. Das ist gut so – nur hat diese Arbeitsweise dazu geführt, dass Forschende in der Klimawissenschaft regelmäßig unterschätzen, wie schnell das Klima instabiler wird und wie groß die Risiken sind, die damit für Menschen einhergehen. 

Ich sehe nicht, dass wir einen Weg einschlagen, die Naturzerstörung, die Vergiftung und die Belastung des Planeten mit Treibhausgasen zu stoppen. Das treibt mich um! Wenn wir weiter von »Netto Null« träumen, hört die Ressourcenübernutzung nicht auf. Es geht um so viel mehr als CO2. Ich wünsche mir, dass 2022 das Jahr wird, in dem das Bewusstsein nicht nur über CO2, sondern auch über Machtstrukturen in der Klimadebatte wächst – jene Strukturen, die uns daran hindern, ehrlich und mit vollem -Bewusstsein der Krise zu begegnen.  (Wolfgang Knorr)


Wir wissen nie, wann es kippen kann

Payal Parekh (48) ist in Indien geboren und aufgewachsen; sie lebt in Bern. In ihrer Doktorarbeit untersuchte sie die Rolle von Eisen im Meer zur Sequestrierung von CO2. Ihre derzeitige Arbeit ist weiterhin von globaler Bedeutung, nur findet sie nicht mehr auf Fachtagungen statt, sondern im Hambacher Wald, auf der Straße – und überall dort, wo die Klimabewegung Druck macht auf die Politik. Wir sprachen miteinander, als sie gerade von einer Wanderung in den Alpen zurückkam. 


Was brauchen wir im Jahr 2022? Ich denke: mehr Kooperation! Natürlich sind technische Erfindungen und Maßnahmen wichtig, aber wenn es keinen Willen in der Politik gibt, dann haben wir keine Chance angesichts der globalen Krisen. Das hat man auch bei Corona gesehen: Die Impfstoffe sind patentiert, und darum haben viele Menschen weltweit keinen Zugang dazu. Es fehlt der politische Wille, die Krise zu beenden. Doch wenn wir aufgeben, kann sich nichts verändern. Wir können auch Krisen nutzen, um die Klimabewegung zu vergrößern, schließlich wissen wir nicht, wie die Zukunft aussieht. 

Das habe ich 1990 gelernt, als ich für ein Jahr als Austauschschülerin nach Passau gekommen bin. Ein Schlüsselmoment für mein weiteres Leben als Aktivistin für soziale Gerechtigkeit war die Klassenfahrt nach Ostdeutschland. Ich bin zwar als Enkelkind eines Freiheitskämpfers in Indien aufgewachsen, aber die Geschichten über die Unabhängigkeitsbewegung vor 1947 waren weit weg – da war es etwas ganz anderes, von jemandem zu hören, der gerade das Ende der DDR miterlebt hatte. Er sagte, noch sechs Monate vor der Wende hätte niemand in seinem Umfeld geglaubt, dass die Mauer fallen würde. Da habe ich verstanden: Wir wissen nie, wann es kippen kann! Diese Geschichte hat in mir viel bewegt: Was bedeutet das für den sozialen Wandel? Woher nehmen wir Hoffnung, wenn alles aussichtslos scheint?

Ich habe mich dann entschieden, Geologie zu studieren. Ich erhoffte mir, hier Umweltthemen mit gesellschaftlichen Themen verbinden zu können. Es war mein Vater, der mich überzeugte: Wenn man in diesem Feld etwas bewegen will, dann ist es wichtig, auch die naturwissenschaftlichen Fakten und Theorien zu verstehen. Ich habe also studiert und war gleichzeitig in der Anti-Staudamm-Bewegung aktiv. In Indien gab es genug Beispiele, wo soziale Kämpfe rund um Ressourcen genau an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik ausgetragen wurden.

1997 bin ich dem Angebot gefolgt, in den USA meine Doktor-arbeit in Meereschemie zu machen. Ich hatte wegen meines Aktivismus in Indien zwei, drei Jahre lang fast nichts verdient. Außerdem wusste ich, dass das Thema »Klima« global gesehen noch wichtiger werden würde als die Staudämme. Wir waren wohl die erste Generation von Doktorierenden, die ihr Thema auswählten, weil wir uns Sorgen um die Zukunft gemacht haben. 

Mein späterer Chef wurde schon damals oft in der Zeitung und im Fernsehen interviewt. Aber wenn er in der Öffentlichkeit über den Klimawandel sprach, gab es für ihn eine klare Grenze: Sobald gefragt wurde, welche politischen Maßnahmen nötig wären, hat er aufgehört zu reden. Das war 2006. Heute ist das anders, es hat sich wirklich vieles verändert nach Greta Thunberg. Jetzt redet auch er über Politik. 

Damals sagte er noch zu mir: »Payal, du bist eine sehr gute Forscherin, aber du bist zu politisch. Das wird schwierig.« Ich war Postdoktorandin und musste mich nach einer Stelle umsehen, und das ehrliche Gespräch mit ihm hat mir zu denken gegeben: Wenn mein Wille, etwas zu verändern, gelähmt wird, wenn es weniger Zugang zu Fördergeldern geben könnte, weil ich zu politisch bin, dann ist das nicht meine Welt. Ich habe auch bemerkt, dass ich nicht mehr die Zeit und Energie habe, beides zu machen, politische Arbeit und Klimawissenschaft. 

Die Forschung hat mich nie sonderlich inspiriert, also schlug ich den anderen Weg ein. Wenn ich auf mein Leben zurückblicke wie auf eine Wanderung, dann war auf jeden Fall die Zeit rund um das Pariser Abkommen von 2015 ein Gipfelpunkt. Ich habe bei der Organisation »350.org« gearbeitet, als wir wirklich noch wie ein Start-Up waren und den Spagat zwischen Graswurzelbewegung und NGO gut meisterten. Es war die Zeit, in der »Ende Gelände« zum ersten Mal stattfand, und es hat sich toll angefühlt, etwas zu wagen, was mit Risiko verbunden war, dieser Bewegung Geld zu geben, ohne zu wissen, ob es funktionieren würde. 

Heute ist in gewissem Sinne auch die Wissenschaft Teil der Klimabewegung. Es gibt weiterhin das Credo in der Naturwissenschaft »Wir wissen, worüber wir sprechen«, aber es ist noch etwas hinzugekommen: »Wir wissen auch, dass politische Maßnahmen erforderlich sind.« Das hätte 2008, als ich die Universität verlassen habe, keine Akademikerin öffentlich gesagt.

Wenn Paris und die Zeit mit »Fridays for Future« Höhepunkte waren, dann ist die Coronazeit definitiv ein dunkles Tal, ein Tiefpunkt. Ich sehe nicht wirklich Fortschritte, weder in der Bewegung noch in der Politik. Aber da kommen wir wieder zu meiner ersten Geschichte: Wir wissen nicht, wann es kippt. 2022 könnte das Jahr sein, in dem wir die Klimabewegung wirklich verbreitern, damit sie mehr und mehr im Mainstream ankommt.  
(Payal Parekh)



Theresa Leisgang (32) ist Aktivistin für ein gutes Leben
für alle und Mitbegründerin des »Netzwerk Klimajournalismus«.
klimajournalismus.de


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