Es hat ziemlich lange gedauert, bis sich die wissenschaftliche Forschung vermehrt mit dem beschäftigt hat, was wir in Wald und auf Wiesen mit Füßen treten: dem Boden. Es ist natürlich nicht einfach, dort hineinzuschauen. Gräbt man im Boden, kommt sofort einiges durcheinander, wo man doch eigentlich Erkenntnisse gewinnen wollte, was sich da – ohne Störung – im Erdreich abspielt. Aber es geht nun einmal nicht anders: Graben wir also vorsichtig, am besten in der Nähe einer Baumgruppe.
Recht bald treffen wir dort auf Wurzeln – dicke, dünne und feine. Wenn sich Wurzeln gegenseitig umschlingen, gehören sie mit einiger Wahrscheinlichkeit unterschiedlichen Pflanzenarten an. Wurzeln derselben Pflanzenart halten eher Abstand voneinander, da sie für ihre Bedürfnisse um dieselben Nährstoffe konkurrieren. Irgendwann stößt man beim Graben auf Spinnweben-ähnliche, dünne, weiße Fäden, die unter der Bodenoberfläche verlaufen. Erst Ende der 1960er Jahre haben Botaniker die Bedeutung dieser Fadennetze im Waldboden entschlüsselt. Es sind Hyphen, die sich ausgehend von den Wurzelpilzen (Erklärung folgt) zu einem Myzel-Geflecht zusammensetzen. Sie sind als »Wood Wide Web«, als waldweites Netz, in Anlehnung an das digitale World Wide Web, bekannt geworden. Die Mykorrhiza-Pilze schaffen über ihr Myzel Verbindungen zwischen den Pflanzen, auch über Artengrenzen hinweg. Im Gegensatz zum Internet werden im WWW der Pflanzen und Pilze nicht nur Nachrichten ausgetauscht, sondern auch physische Nährstoffe verschickt.
Zum besseren Verständnis seien noch einmal die Begriffe erklärt: Mykorrhiza-Wurzelpilze präsentieren sich in drei unterschiedlichen Erscheinungsformen. Da sind zunächst die Hyphenfäden und das daraus gebildete Pilzgeflecht, das in seiner Gesamtheit Myzel heißt. Unter günstigen Bedingungen entwickeln sich aus dem Myzel oberirdisch sichtbare Fruchtköper, die umgangssprachlich als Pilze bezeichnet werden und zum Teil essbar sind. Diese Fruchtkörper bilden zur Verbreitung der eigenen Art mikroskopisch kleine Pilzsamen, die sich Sporen nennen.
Seitdem die Urformen der heutigen Pflanzenarten vor Hunderten Millionen Jahren begonnen haben, das Festland zu besiedeln, gibt es diese symbiotische Beziehung zwischen rund 80 Prozent aller heute bekannten Landpflanzenarten und ihren spezifischen Pilz-Symbionten (Symbiose-Partnern). Ohne diese Unterstützung durch Wurzelpilze hätten viele Pflanzen nur eine geringe Überlebenschance, denn sie würden verdursten oder aufgrund von Nährstoffmangel, etwa an Phosphat und Stickstoff, verhungern. Im Austausch für diese Versorgungsleistung erhalten die Wurzelpilze von den Pflanzen kohlenhydratreiche Nährlösungen und Lipide.
Eine Verbindung, von der alle Partner profitieren
Je nach Art der Verbindung des Wurzelpilzes mit der Wurzelspitze der Wirtspflanze lässt sich die Mykorrhiza in zwei Gruppen einteilen: Die Ekto-Mykorrhiza (»Außen-Wurzelpilz«) dringt nur bis in die Zellzwischenräume der Wurzelrinde ein. Die Endo-Mykorrhiza (»Innen-Wurzelpilz«) wächst mit Arbuskeln, in ihrer Form ähnlich wie Äste eines Baums, bis in die Zellen der Wurzelspitze hinein.
Mit ihren Hyphen umschlingt die Mykorrhiza schützend die Wurzelspitzen ihres Wirts, verhindert das Eindringen von krankheitserregenden Bakterien oder Fadenwürmern und fördert das Wurzelwachstum. Über seine sehr dünnen Hyphenfäden erweitert der Pilz den Radius der nährstoffaufnehmenden Wurzelspitzen um ein Vielfaches. Die Hyphen sind so dünn, dass sie auch noch in Erdspalten und Bodenporen eindringen können, die etwa für die Feinwurzeln eines Baums unerreichbar sind. Feine Bodenritzen enthalten auch dann noch Feuchtigkeit, wenn die sie umgebende Erde ausgetrocknet zu sein scheint. So können lösliche Nährstoffe über das weitverzweigte Netzwerk der Hyphen an die Wurzelspitzen der Wirtspflanze weitergereicht werden. Aus diesem Grund sind Pflanzen mit einer Mykorrhiza-Symbiose sogar in Trockenzeiten gut mit Nährstoffen und Wasser versorgt. Letzteres hängt auch damit zusammen, dass die Mykorrhiza über eine ausreichende Versorgung mit dem Pflanzennährstoff Phosphat die hydraulische Leitfähigkeit der Wurzel erhöht. Ein weiterer Umstand unterstützt die Trockenheitsresilienz der Pflanzen mit Mykorrhiza-Symbionten: Bei Trockenheit bildet sich eine Luftlücke zwischen Erde und Wurzel. Dieser Spalt hindert die Pflanze daran, Feuchtigkeit aufzunehmen. Die Anwesenheit von Mykorrhizahyphen stabilisiert die Verbindung der Wurzel mit dem Erdboden und garantiert so den Feuchtigkeitstransport zur Pflanzenwurzel.
Die Beziehung zwischen der Pflanzenwurzel und ihrem Wurzelpilz wird als »mutualistische Symbiose«, bezeichnet. Damit wird eine Symbiose gegenseitigen Nutzens durch das Zusammenleben von Organismen, die verschiedenen Arten angehören, benannt. Beide Seiten ziehen einen Vorteil aus der gegenseitigen Versorgung. In ihrem unterirdischen, lichtlosen Lebensraum kann die Mykorrhiza keine Photosynthese durchführen, benötigt jedoch Energie zum Leben. Von der Wirtspflanze erhält die Mykorrhiza aus deren Photosynthese gewonnene Kohlenhydrate und gibt ihr Nährsubstanzen wie Phosphat, Stickstoff und Spurenelemente als Gegenleistung zurück. Die Mykorrhiza setzt die erhaltenen Kohlenhydrate für ihr eigenes Wachstum ein und kann so, stetig kräftiger werdend, dem wachsenden Anspruch der Wirtspflanze auf Nährsubstrate entsprechen. Eine gute Nährstoffversorgung der Wirtspflanze – vor allem mit den Makronährstoffen Stickstoff und Phosphat, aber auch mit Spurenelementen wie Zink und Kupfer – verbessert das Wurzel- und Blattwachstum, die Blühkraft und die Ernteerträge bei Nutzpflanzen.
Auch Kulturpflanzen haben ihre Pilz-Symbionten
Zahlreiche Nutzpflanzen, darunter auch Ackerkulturen, können mit Mykorrhiza eine mutualistische Symbiose eingehen, so Kartoffeln, Getreidearten (Weizen, Gerste, Roggen, Hafer, Mais), Gemüse (Karotten, Zwiebeln), Beerensträucher und Obstbäume. Die Symbiose baut sich umso intensiver auf, je größer ein Nährstoff- oder Feuchtigkeitsmangel im Boden ist. Versuche haben gezeigt, dass eine Düngung – vor allem mit Kunstdünger – der Wurzelbesiedlung mit Mykorrhiza entgegenwirkt. Denn in einem Boden mit unmittelbarer Nährstoffverfügbarkeit benötigt die Pflanze für ihre Versorgung den Wurzelpilz nicht und gibt deshalb auch keine kohlenhydratreiche Zuckerlösung an ihn ab. Die Mykorrhiza ist jedoch zum Überleben auf das Tauschgeschäft Kohlenhydrate-gegen-Nährsubstrate angewiesen. Wenn die Wirtswurzel keinen Grund hat, Nährsubstrate zu liefern, weil sie, wie im Schlaraffenland, in gedüngtem Ackerboden steht, kann die Mykorrhiza aufgrund von Energiemangel nicht aktiv werden.
Viele Vorteile
Die Unterstützung der Mykorrhiza ist wertvoll, denn bei ihrer Anwesenheit kann Dünger gespart werden.
Bei Dürre hat die Anbaukultur eine höhere Widerstandskraft gegen Trockenheitsstress, da Mykorrhiza, wie bereits gesagt, aus den Feinporen neben Nährstoffen auch Bodenwasser erschließen kann. Die Stabilität und damit auch das Wasserrückhaltevermögen des Bodens wird durch das dreidimensionale Netzwerk der Mykorrhiza-Hyphen und deren Sekrete gefördert, wodurch erosionsbedingte Bodenverluste verhindert werden.
Die von Mykorrhiza umklammerten Wurzelspitzen der Nutzpflanzen sind gegen Krankheitserreger im Boden, wie Phytophthora, Fusarium und Pythium, geschützt, so dass in der Regel auf den Einsatz von »Pflanzenschutzmitteln« verzichtet werden kann. Die Kulturpflanzen enthalten durch die gute Nährstoffversorgung viele gesundheitsfördernde sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, wie etwa Karotinoide und Polyphenole, die die Pflanzen vor Schädlingen schützen und die Menschen über gesunde Nahrung vor Zivilisationskrankheiten bewahren können.
Auch Dritte profitieren
In unserem Versuchsbetrieb für andine Agroforstwirtschaft in Bolivien haben wir beobachtet, dass der Chacateabusch (Dodonaea viscosa) die Entwicklung seiner Nachbarpflanzen fördert. Daraufhin wurde festgestellt, dass der Boden bis in zwei Meter Entfernung vom Stamm einer Chacatea im Vergleich zum Boden einer Kontrollstelle in größerer Entfernung einen signifikant höheren Phosphor- sowie einen erhöhten absoluten Stickstoffgehalt aufweist. Da im Wurzelbereich der Chacateabüsche immer auch Myzelnetzwerke gefunden werden, lag die Vermutung nahe, dass der günstige Bodennährstoffgehalt auf eine Mykorrhizabesiedlung der Chacateawurzel zurückzuführen ist.
Um herauszufinden, ob Mykorrhiza nur das Wachstum ihrer Wirtspflanze fördert oder auch die Entwicklung benachbarter Nutzpflanzen positiv beeinflusst, führten wir 2017 den folgenden Versuch durch: Zwei 1-Liter Behälter wurden mit unterschiedlichen Erdsubstraten befüllt. Substrat I war Erde, die unterhalb von Chacateabüschen entnommen wurde, in der mit bloßem Auge die weißen Hyphenfäden erkennbar und so die Anwesenheit von Mykorrhiza gesichert war. Das Kontrollsubstrat II stammte von Stellen mit wenig Vegetation und in großer Entfernung von Chacateabüschen. In beide Behälter wurde Mais derselben Sorte gesät. Dann wurden sie an einen Ort gestellt, wo sie vor äußeren Einflüssen geschützt waren. Die Maispflanzen im Substrat I entwickelten eine deutlich höhere Biomasse als im Kontrollsubstrat.
Der Verdacht, dass die gegenseitige Unterstützung sich nicht nur auf die Beziehung zwischen Mykorrhiza und seiner spezifischen Wirtspflanze beschränkt, sondern auch Nachbarpflanzen mit einbezieht, ist bereits andernorts bestätigt worden: Ein Versuchsaufbau in einem Wald bei Basel zeigte mittels Begasung bestimmter Bäume mit 13C-markiertem Kohlendioxyd, dass über das Netzwerk der Mykorrhiza ausgewachsene Bäume unterschiedlicher Arten einen regen Nährstoffhandel betreiben. So versorgte ein bereits hochgewachsener Baum mit gutem Lichteinfall und entsprechend hoher Photosynthese-Leistung über das Myzel seiner Mykorrhiza auch ein kleines Jungbäumchen in seinem Schatten mit Nährstoffen.
Das Phänomen gezielt nutzen
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich verschiedene Pflanzenarten über ihre Wurzelsymbionten im Boden unterstützen. Genau dies macht der Mensch sich beim Dynamischen Agroforst zunutze. In den Agroforstsystemen im bolivianischen Mollesnejta ist die immergrüne Chacatea eine hervorragende »Ammenpflanze«, von deren Mykorrhiza-Symbionten auch die benachbarte Anbaukultur profitiert. Chacatea wächst schnell, ist sehr schnitttolerant und produziert viel Laub, das den Boden mulcht. Allerdings ist diese Pflanzenart nicht kälteresistent.
In anderen Weltregionen kann auf heimische Pflanzenarten mit ähnlicher Funktionsbreite zurückgegriffen werden, in Mitteleuropa etwa auf die gemeine Haselnuss (Corylus avellana). Die Hasel ist schnellwachsend, schnitttolerant, laubproduzierend, hat eine gut verankerte Pfahlwurzel und viele Seitenwurzeln, die mit sieben verschiedenen Mykorrhiza-Arten eine Symbiose eingehen. Darüber hinaus produziert der Busch schmackhafte Nüsse.
In den gemäßigten Zonen der Nordhalbkugel gibt es weitere Gehölze mit Mykorrhiza-Wurzelsymbionten. Erlenwälder beherbergen um die 50 verschiedene Mykorrhiza-Arten. Eine Gruppe Eichen hat an die 100, und in einem Fichtenwald lassen sich rund 150 unterschiedliche Wurzelsymbiose-Pilzarten finden. Mit Kiefernwurzeln vergesellschaftet sich eine Mykorrhiza-Art, die oberirdisch den Maronenröhrling hervorbringt. Dieser genießbare Pilz wird – genauso wie alle weiteren Speise- und Giftpilze – nur dann ausgebildet, wenn der Baum dem Wurzelsymbiosen-Pilz einen Überfluss an Kohlenhydraten liefern kann. //
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch »Dynamischer Agroforst – Fruchtbarer Boden, gesunde Umwelt, reiche Ernte« (oekom Verlag, 2021).
Noemi Stadler-Kaulich (64) widmet sich seit dem Jahr 2000 auf dem Versuchsbetrieb Mollesnejta in Bolivien der Erforschung und Entwicklung von Agroforstsystemen.