Die Krisen unserer Zeit zeigen vom Ahrtal bis nach Amazonien, dass rücksichtslose Missachtung und Ausbeutung der Natur sich rächen. Wir Menschen sind und bleiben von den natürlichen Netzwerken abhängig. Gleichzeitig erweist sich die Politik bisher weltweit als unfähig, die Lebensgrundlagen zu schützen. Neue Wertschätzung unserer Mitwelt ist dringend geboten. Einen wunderbaren Anstoß zur Horizonterweiterung liefern Frank Adloff und Tanja Busse mit ihrem Buch »Welche Rechte braucht die Natur?«. Texte von 16 Autorinnen und Autoren aus Politik, Philosophie, Biologie, Ökologie und Rechtswissenschaft skizzieren wegweisende Ideen, wie juristische Instrumente helfen können, die Menschen mit der mehr-als-menschlichen Natur zu versöhnen.
Ein Vorbild ist der Staat Ecuador. Anknüpfend an indigene Traditionen, erhob er »Pachamama« (»Mutter Erde«) im Jahr 2008 zum Rechtssubjekt. In Artikel 71 der Verfassung heißt es: »Pachamama […] hat das Recht, in ihrer gesamten Existenz respektiert zu werden.« Seitdem kann die Natur, vertreten durch Treuhänderinnen, selbst als Klägerin auftreten, wenn ihre Rechte verletzt werden. Das bedeutet nicht, dass Umweltvernichtung in Ecuador der Vergangenheit angehört. Doch es gab bereits Urteile, die Eingriffe verboten haben.
Der Natur eigene Rechte zuzuerkennen, bedeutet den Abschied von einem Denken und Handeln, das die Natur als Rohstoff-lager und Müllplatz für menschliche Zwecke begreift. Der Ansatz macht Schule: In Indien, Neuseeland und Kolumbien sind bedeutende Flüsse zu »Rechtspersonen« erklärt worden. Außerdem haben Gerichte in verschiedenen Ländern Tieren einen Rechtsstatus als Persönlichkeit zuerkannt.
Solche pionierhaften Vorstöße wirken revolutionär in einer Weltgemeinschaft, die von Biodiversität und Klimaschutz redet, aber nach wie vor Regenwaldzerstörung und Artensterben zulässt, und deren Ernährungsstil sich vielerorts auf Monokulturen und Massentierhaltung stützt. Sie werfen auch viele praktische Fragen auf: Hilft es der Natur, neue juristische Regeln zu schaffen, wenn es schon bei der Umsetzung der bereits bestehenden Tier- und Natur-schutzgesetze frappante Mängel gibt? Für welche Wesen sollen Eigenrechte gelten – für Tier-Individuen, denen der Mensch Schmerzempfinden zugesteht? Für Arten, die besonders bedroht sind? Oder für ganze Ökosysteme? Und wer sollte die neuen Rechtspersönlichkeiten vor Gericht und in der Öffentlichkeit vertreten dürfen? (Siehe auch Seite 56 und Seite 66)
Der Band debattiert diese Fragen und stellt Lösungen vor, bis hin zu praktischen Formulierungen, wie die Würde der Natur im deutschen Grundgesetz Platz finden könnte. Dieses wichtige Buch inspiriert zu einer Welt-Anschauung, die nicht mehr »vom Streben nach Dominanz über die Natur, sondern von Neugierde und Liebe« geprägt ist. Hanne Tügel