Commonie

Pechspielerei

Den ältesten Kunststoff der Menschheit selber herstellen.
Photo
© Jochen Schilk

Birkenrinde ist ein spannender Stoff. In vorindustriellen Gesellschaften wussten Menschen daraus vielseitige Dinge herzustellen, in Nordamerika etwa Körbchen oder ganze Kanus. Ich habe gesehen, dass größere Stücke der Rinde beim Bau traditioneller skandinavischer Blockhütten im Fundamentbereich und auf Grasdächern analog zu Teerpappe als feuchtigkeitssperrende Schichten zum Einsatz kamen. Man kann auf Birkenrinde schreiben oder sie sogar noch unter feuchten Bedingungen als zuverlässige Anzündhilfe verwenden. 

Unsere frühen Ahnleute haben bereits vor mindestens 200 000 Jahren herausgefunden, wie sich die in der Rinde enthaltenen brennbaren beziehungsweise feuchtigkeitsresistenten Stoffe durch einen Pyrolyseprozess destillieren lassen. Dies ergibt Birkenpech. Auch die bei der Gletschermumie Ötzi gefundenen Pfeilspitzen waren mit diesem Steinzeit-Kleber am Schaft befestigt.

Ich spürte Neugierde, einmal das Herstellungsverfahren des »ersten Kunststoffs der Menschheitsgeschichte« (Wikipedia) nachzuempfinden. Anleitungen finden sich im Netz in Hülle und Fülle. Bei einer etwas ausgefeilteren Methode wird eine luftdicht verschließbare Dose benötigt, hier ein 2,5-Liter-Farbeimer aus Blech, dessen eingetrocknete Lackreste ich zunächst im Feuer abbrannte. Dieser Behälter wird dicht mit Rindenstreifen ausgefüllt. Die Rinde einer bereits seit einiger Zeit liegenden Birke lässt sich nach meinen Erfahrungen am leichtesten ablösen, weil die darunterliegende Holzschicht angegammelt und weich ist. Mit einem Messer geht das ohne größere Mühen, mein Sohn und ich hatten viel Spaß bei der Ernte. Die Rinde sollte keinerlei Holzreste aufweisen.

Die gefüllte Dose wird verschlossen, in den Deckel bohrt man ein Loch von etwa 5 Millimeter Durchmesser. (Ich folgte dem Rat, zwischen Rinde und Loch noch etwas kleinmaschiges Drahtgeflecht zu stecken, damit das Loch nicht verstopfen kann.) Nun wird ein zweites, oben offenes Auffanggefäß – in diesem Fall eine leere Konservenbüchse – bis knapp unter den Rand eingegraben und die rindengefüllte Dose mit dem Loch nach unten möglichst stabil daraufgesetzt. Anschließend wird mit Stöckchen etwa eine Stunde lang ein Feuer rund um die Dose betrieben (350 bis 500 °C). Die Hitze löst das Birkenpech aus der Rinde, die Masse fließt sodann durch das Loch in den Auffangbehälter. Große Mengen sind allerdings nicht zu erwarten, bei mir waren es ein paar Löffel voll Pech mit einem Gesamtgewicht von 25 Gramm.

Was lässt sich nun mit der Ausbeute anfangen? Ich könnte mit dem schwarzen Zeug zum Beispiel Holz imprägnieren, ein Stück Schiffsdeck kalfatern oder eine Fackel betreiben. Dafür müsste ich das Pech zunächst erwärmen, um es wieder weich zu machen, und es gegebenenfalls auch mit Fett anlösen; im kalten Zustand ist es hart und glänzend. Einige Leute empfehlen das Pech als Steinzeit-Kaugummi mit antiseptischer Wirkung (und vermutlich zweifelhaften geschmacklichen Eigenschaften). Birkenpech soll bei Durchfall und Parasitenbefall helfen und sich auch zur Behandlung von Verletzungen an Obstgehölzen eignen. Und wenn ich das nächste Mal einen Klebstoff brauche, kann ich ja einmal mein Glück mit dem Pech versuchen.

Ein alternatives Rezept für Steinzeit-Kleber klingt nach weniger Aufwand: Holzkohle pulverisieren und im Verhältnis 1:1 mit dem Harz von Nadelbäumen mischen. Fertig.  

weitere Artikel aus Ausgabe #68

Photo

Spielräume ausschöpfen

Nicht nur die Leute, die die Steuererklärung des Vereins, den Bauantrag für das Hausprojekt oder die Satzungsänderung in der Genossenschaftssatzung hüten, sitzen an Schnittstellen zwischen verschiedenen Logiken. Auch Menschen an Schreibtischen von öffentlichen Ämtern

Photo
von Matthias Fersterer

Die Gegenwart der Toten unter den Lebenden

Eine verwitterte Bank vor der windschief gewordenen, mit Efeu bewachsenen Südseite einer inzwischen abgerissenen Schnitterkate: Unzählige Worte waren dort gedacht, geschrieben, gesagt, geschwiegen worden – unzählige Rederunden und spontane Zusammenkünfte hatten sich dort

Photo
von Theresa Leisgang

An der Schnittstelle zwischen Acker und Teller

»Na Herbie, wie geht’s«? Montagnachmittag in Berlin-Neukölln, Urbanstraße 100, zweiter Hinterhof, an den Plakaten mit Aufrufen für »Schlachthäuser schließen« und »Ende Gelände« vorbei, 23 Treppenstufen runter, da steht

Ausgabe #68
Schnittstellen hüten

Cover OYA-Ausgabe 68
Neuigkeiten aus der Redaktion