Commonie

Wohlfühlen in der Ursuppe

Elisabeth König schaut nach zwei
Jahren im Hütekreis auf Zu-Mutungen und Geschenke.
Photo

Hütekreis? Für mich fühlt es sich gar nicht so an, als ob es »ihn« gäbe. Ich erlebe mich als Hütende unter Hütenden; darunter solche, die ich kennenlernen durfte, und andere, von denen ich lediglich Namen oder Foto wahrgenommen habe. Von den allermeisten weiß ich, dass sie da sind, jeder und jede einzelne. Ich freue mich, mit ihnen auf einer sehr tiefen Ebene verbunden zu sein – ohne das mehr greifen zu können. Das brauche ich auch gar nicht.

In dieser »Ursuppe«, wie ich sie etwas gewagt nennen möchte, fühle ich mich wohl. Mir scheint, ich darf handelnd wirken, so wie es aus mir heraus will, und ebenso darf ich schlicht »seiend wirken«. Das Ganze und das Miteinander entstehen nach meinem Empfinden nicht durch übergeordnete Einflussnahme oder Gegebenheiten. »Hütekreis« bezeichnet für mich die Gesamtheit dessen, was jede und jeder Hütende gerade tut oder lässt, fühlt oder auf andere Weise einbringt. Oft ist es ein Gedanke, der mir irgendwoher zufliegt – und nicht selten höre oder lese ich danach von Hütenden, die Ähnliches im Sinn bewegen wie ich. 

Reibung, ja, die tritt auf. Spannungen, Unzufriedenheit – welcher Kreis wäre frei davon? Fast bin ich froh darüber. Lauter Anlässe, einen freundlichen Umgang mit derartigen Herausforderungen zu üben. Wenn ich unter Hütenden bin, spüre ich eine »Lustangst« (ein Wort, dass durch Martin Kirchner und die »Pioneers of Change« zu mir gelangte), Ungewohntes auszuprobieren, das ich mir im Alltagsumfeld nicht erlauben würde. So geht es mir nun nach etwa zwei Jahren im Hütekreis. 

Es war für mich gar kein kleiner Schritt, mich aus der Rolle der Abonnentin herauszuwagen. Gelockt hatte mich die Vorstellung, dass mit Geld auch ein anderer Umgang möglich sein könnte als üblicherweise. Zugleich war es mir nicht ganz geheuer, worauf ich mich da einlassen würde mit meinem Bekenntnis, »irgendwie näher dran« sein zu wollen an Oya. Wen hätte ich schon fragen können nach Erfahrungen mit einem sogenannten Hütekreis?

Inzwischen habe ich den begründeten Verdacht, dass sich das Hüten in ganz unterschiedlichen Ausprägungen zeigen kann: Aktivismus neben Lassenskraft, eine starke Orientierung an Themen neben der an Prozessen, finanzielle Unterstützung neben Hütequalitäten auf anderen Ebenen – soweit meine augenblicklichen Lieblingsbeispiele. 

Was heißt es, auf »den« Hütekreis zu schauen? Ich verzichte gerne auf eine Vorstellung vom großen Ganzen und freue mich daran, Mosaikstückchen zu entdecken. Mir gelänge es kaum, alles zu erfassen und es treffend zuzuordnen: Ist es denn wirklich nur dem Hüten zuzuschreiben, dass ich heute die aktuelle Oya im Reichenhaller Unverpackt-Laden ausgelegt habe? Vielleicht finde ich es einfach schön, lebensfördernde Samen um mich herum zu verstreuen?

Zwei meiner typischen Erfahrungen mit Hütenden sehen so aus: Der gemeinsame Boden ist bereitet durch das Lesen von Oya, ganz leicht finde ich hierüber Zugänge zu einer Gesprächspartnerin. Daraus entsteht ein Impuls, wie ich in meinem Leben vor Ort etwas gestalten oder neu bedenken möchte, und ich weiß mich begleitet und gestärkt darin. Umgekehrt erfüllt es mich, wenn wir uns austauschen und plötzlich deutlich wird, wie viel gegenseitiges Annehmen da gerade geschieht – nicht, weil alles, was wir einander offenbaren, deckungsgleich wäre, sondern weil hinter den verschiedenen Erzählungen spürbar wird, wie sehr wir als Menschen vielfältig und gleichzeitig miteinander verbunden sind.

Und so gefällt es mir, »mich jedem Hauch hinzugeben«, auf Festlegungen zu verzichten und mich stattdessen berühren und überraschen zu lassen von dem, was mir von anderen Hütenden entgegenkommt, manchmal zugemutet und oft geschenkt wird. 

Oder kürzer gesagt: Unter Hütenden fühle ich mich nicht wie in einer Beethoven-Symphonie, sondern wie in einer Jam-Session. //


Elisabeth König lebt in einem bayerisch-salzburgischen Doppelort im äußersten Südosten Deutschlands. Sie verbringt viel Zeit in den Welten von Rhythmus und Klang. Weitere Lebensthemen sind die Einübung ins rechte Maß und das Hinspüren zu einer guten Ordnung.


weitere Artikel aus Ausgabe #68

Photo
von Grit Fröhlich

Bei Rückenwind und Gegenwind verbundene Lernorte schaffen

In einem Land wie Deutschland, in dem es eine staatlich verordnete Schulpflicht samt Schulanwesenheitszwang gibt, kommt reformpädagogischen Schulen in freier Trägerschaft, die versuchen, grundgesetzlich garantierte Freiräume auszuschöpfen, eine besondere Rolle zu. Wie kann es

Photo
von Heike Pourian

Schuld und Scham zwischen den Generationen

Tabea Heiligenstädt  Ich begann, über Generationen nachzudenken, als ich für einige Monate in einer altersgemischten Gemeinschaft lebte. Viele der Menschen, mit denen ich dort kochte, herumblödelte, tanzte und denen ich mich anvertraute, waren so alt wie meine

Photo
von Theresa Leisgang

An der Schnittstelle zwischen Acker und Teller

»Na Herbie, wie geht’s«? Montagnachmittag in Berlin-Neukölln, Urbanstraße 100, zweiter Hinterhof, an den Plakaten mit Aufrufen für »Schlachthäuser schließen« und »Ende Gelände« vorbei, 23 Treppenstufen runter, da steht

Ausgabe #68
Schnittstellen hüten

Cover OYA-Ausgabe 68
Neuigkeiten aus der Redaktion