Vier Menschen aus vier Erdteilen finden Antworten auf die Klimakrise.von Theresa Leisgang, erschienen in Ausgabe #70/2022
Seit Ende Februar bestimmt das Kriegsgeschehen in der Ukraine die Nachrichten. Das macht mir Angst – vor allem, weil ein Gespräch darüber fehlt, was »Sicherheit« eigentlich bedeutet in diesen Zeiten. Sicherheit ist mehr als eine Frage von Krieg und Frieden. Um mich sicher zu fühlen, brauche ich zunächst ein Bett und ein Dach über dem Kopf, die Gewissheit, meine Miete zahlen zu können, etwas zu essen … Wenn Bomben auf die Heimatstadt fallen, ist das wohl die extremste Form von Unsicherheit. Gleichzeitig bedroht auch die Klimakrise diese Grundbedürfnisse – nicht erst in Zukunft, sondern schon heute, im nordrhein-westfälischen Ahrtal genauso wie im pakistanischen Sindh.
Auf meinen Recherchen durch alle Klimazonen habe ich Menschen getroffen, die sich für saubere Flüsse, fruchtbare Ackerböden oder Aufforstungsmaßnahmen einsetzen, weil sie selbst erlebt haben, wie sich der Kollaps von Ökosystemen oder die Folgen einer Klimakatastrophe anfühlen. Oya-Rätin Friederike Habermann spricht davon, dass eine gewisse »materielle Grundgeborgenheit« die Voraussetzung für ein gutes Leben sei (Oya 44). Den Begriff »Geborgenheit« findet sie hier besonders passend; er mache klar, »dass mir diese nur andere Menschen – oder die Natur – geben können. Dadurch drückt sich eine Verbundenheit aus, in der wir zwangsläufig leben. Wir sind eben nicht autonom, sondern aufeinander angewiesen.«
Psychologische Studien aus der Traumatherapie zeigen, dass eben jenes Gefühl von Geborgenheit einen großen Unterschied im Umgang mit einer Krise machen kann. Wer sich im Kreis der Familie oder in einer Gemeinschaft von Freundinnen oder Gläubigen aufgehoben fühlt, kann Schicksalsschlägen anders begegnen. In einer von Krisen geprägten Welt wird das eine immer größere Rolle spielen. Denn Vieles, was bisher selbstverständlich erschien, ist nicht mehr sicher: sauberes Trinkwasser, eine intakte Gesundheit, die warme Dusche am Morgen.
Als seien die Warnungen der Wissenschaft zu den Folgen der Erderhitzung nicht genug, loderten im Sommer Wälder in ganz Europa, bis Redaktionsschluss brannten über 700 000 Hektar. Noch nie seit Aufzeichnungsbeginn hat es innerhalb eines Jahres in Europa auf so viel Fläche gebrannt. Die Rauchwolken sandten eine klare Botschaft: Klimaschutz als Sicherheitspolitik zu verstehen, ist unabdingbar für eine friedliche Zukunft. Der wissenschaftliche Beirat der deutschen Bundesregierung für globale Umweltveränderungen (WBGU) schreibt: »Klimawandel verstärkt Mechanismen, die zu Unsicherheit und Gewalt führen.« Bislang spielte bei den Weltklimakonferenzen Sicherheit eine nebengeordnete Rolle. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen drängen darauf, dass beim diesjährigen COP27 in Ägypten ein Fokus auf Entschädigungszahlungen für den Globalen Süden liegt – was für die am schlimmsten betroffenen Regionen zumindest die Sicherheit brächte, Klimafolgeschäden nicht alleine stemmen zu müssen.
Evelyn Payaguaje, Riyaz Rawoot, Laura Brämswig und Dune Lankard haben längst verstanden, wie eng ein Sicherheitsgefühl mit ihrem Einsatz für das Klima zusammenhängt. Am Kap der guten Hoffnung, im Amazonasbecken, am Copper River Delta und in Berlin arbeiten sie daran, dass niemand in der Krise zurückgelassen wird. Statt mit dem alten System zu kämpfen, sorgen sie dafür, dass ein neues entsteht, in dem sie sich geborgen fühlen. Denn in einer Welt voller Unsicherheit ist nur eines sicher: Der Wandel kommt, ob wir wollen oder nicht. Noch können wir ihn gestalten.
Über Leben in der Ölpest
Evelyn Payaguaje, Shushufindi in Ecuador
Dort, wo Evelyn Payaguaje aufgewachsen ist, sorgen Militär und Polizei nicht für Sicherheit. Im Gegenteil, sagt die 25-jährige Aktivistin aus dem Amazonasgebiet: Sie treiben die Umweltzerstörung und die Klimakatastrophe voran, indem sie die Interessen großer Konzerne schützen, das Gelände der staatlichen Erdölfirma »PetroEcuador« sichern, Bagger und Ingenieure, die neue Ölfelder erschließen sollen, eskortieren. Das Geld aus der Ölproduktion, versprachen schon viele Präsidenten, würde in Bildung und Gesundheitswesen fließen. »Das einzige, was wirklich bei uns ankommt, ist das Öl aus den Öl-Lecks«, sagt Evelyn bitter. Jeden Monat berichtet das lokale Radio über verseuchte Flüsse nach einem Unfall. Die Krebsraten in den Provinzen Sucumbíos und Orellana sind unter den höchsten auf dem Kontinent. Drei ihrer Onkel und ihre Tante sind an Krebs gestorben.
Jede freie Minute arbeitet Evelyn Payaguaje deshalb für den aktiven Widerstand, bereitet Aussagen für Gerichtsfälle vor, engagiert sich im Frauenkreis. Als Repräsentantin ihrer indigenen Gemeinschaft – Evelyn ist eine Siekopai – reist sie im Oktober nach Venezuela zu einer Konferenz von »Oilwatch«, wo es auch um Repression gehen wird. Morddrohungen gegen Umweltschützerinnen sind in Lateinamerika an der Tagesordnung.
»Uns zusammenzuschließen, ist der einzige Weg nach vorne, um auch nur eine Chance zu haben, das zu verteidigen, was uns noch bleibt«, sagt Evelyne. Man hört die Trauer in ihrer Stimme, wenn sie von den verschmutzten Wassern des Rio Aguarico spricht, an dessen Ufern sie aufgewachsen ist.
Sie will anderen Frauen ein Vorbild sein, sich nicht allein mit ihrer Mutterrolle und der Haushaltsarbeit zufriedenzugeben, sondern sich auch für »Mutter Erde« zu engagieren. Sie sagt Sätze wie: »Wir Frauen haben mehr Charakter als die Männer«, und meint damit vor allem eine klare Haltung den Angeboten von großen Firmen gegenüber. Zu oft haben in der Vergangenheit Männer aus ihrem eigenen Dorf Jobs angenommen, die Teil des Problems sind: Sie haben sich als Kanufahrer für Ölexpeditionen angeboten, als Saisonarbeiter in der Raffinerie, haben das Land der Vorfahren an Palmölfirmen verpachtet – alles für die Aussicht auf ein kleines Monatsgehalt. »Aber was bringt dir Geld, wenn du krank bist?« Evelyn ist Gesundheit viel mehr wert als die scheinbare Sicherheit, die Geld bietet. Denn für sie ist nur eines sicher: Um Kranke in der Familie müssen sich die Frauen kümmern. Und dann bleibt weniger Zeit, um die Ölfirmen endlich doch noch zu stoppen.
Der Regenbogen über der Katastrophe
Riyaz Rawoot, Kapstadt in Südafrika
Kapstadt war die erste Großstadt der Welt, der das Wasser auszugehen drohte. 2018 war es nach Jahren der Dürre fast soweit, die meisten Speicher und Staudämme am südafrikanischen Kap waren ausgetrocknet, kein Regen war in Sicht. Was passiert in einer Bevölkerung, wenn Wasser auf 20 Liter am Tag pro Haushalt rationiert wird? Die Regierung warnte vor »Anarchie«, schickte präventiv Sondereinheiten der Polizei und Militär. Ein paar Jahre später steht Riyaz Rawoot vor der Newlands Spring, einer Quelle am Ende einer kleinen Straße. Der Gegensatz zur Hektik der Stadt ist hier verblüffend: Bäume und Bananenstauden spenden Schatten, und nichts ist zu hören als das Singen einiger Vögel sowie das leise Plätschern des Wassers.
Seit Jahren waren Menschen hierher gekommen, um Quellwasser zu zapfen, auch Riyaz Rawoot, doch was ihn als Physiotherapeuten immer gestört hatte, war, wie tief sich alle bücken mussten, um das Wasser abzufüllen. Um einen bequemeren Zugang zu schaffen, installierte er ein langes Rohr.
Als sich die Wasserkrise 2018 zuspitzte, schien es, als löse die Quelle und Riyaz’ Konstruktion ein Versprechen ein, das sich das Land vor 30 Jahren mit dem Ende der Apartheid selbst gegeben hatte: Schwarze und Weiße, Arme und Reiche, Menschen aus den weitentfernten Townships und aus der eher wohlhabenden Nachbarschaft – sie alle kamen hier zusammen. Sie brachten Flaschen, Eimer und Kanister, halfen einander beim Befüllen; wer ein Auto hatte, nahm andere mit. Es wurden Tipps zum Wassersparen ausgetauscht und Freundschaften geknüpft. An der Newlands Spring lebte sie für eine Weile, die vielbeschworene »Rainbow Nation«.
Doch einige Nachbarn begannen sich über die vielen Menschen in ihrer Straße zu beschweren – als sei das Falschparken das Problem der Stadt und nicht der sonst grassierende Rassismus oder die Wasserkrise. »Die Stadtverwaltung hat mein Projekt zerstört«, sagt Riyaz heute. Dort, wo die Menschen in Krisenzeiten kostenlos Wasser holten, ist jetzt nur noch grauer Beton. Doch die Erinnerung an die Community-Quelle ist ihm viel wert: Sie hat gezeigt, dass Menschen sich selbst organisieren können, ohne angesichts der Krise in Panik zu geraten. Diese Fähigkeit könnte in Zukunft wertvoll sein. Denn wer sagt, dass auch in der nächsten Dürre der Regen gerade rechtzeitig zurückkommt, um den »Day Zero« abzuwenden und die Staudämme wieder zu füllen?
Mehr Zeit für Revolution?– Probieren wir’s aus!
Laura Brämswig, Berlin
Laura Brämswig ist nicht mit Geldsorgen aufgewachsen – aber sie macht sich Sorgen um die Welt in der Krise. Und Krisen sieht die 32-Jährige überall: auf dem Wohnungsmarkt, bei der ungleichen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, in der Eskalation der Klima-krise. Deshalb hat sie den gemeinnützigen Verein »Expedition Grundeinkommen« mitgegründet, der per Volksentscheid eine Utopie zur Realität machen will: Alle Menschen bekommen monatlich 1200 Euro aufs Konto überwiesen, vom Staat, geschenkt – als Vertrauensvorschuss am Anfang des Monats, nach dem Motto: »Ab hier entscheidest du, was du tust.«
Um genug Unterschriften für einen Volksentscheid zu sammeln, hat das Team von Laura Brämswig überall in der Hauptstadt bunte Schilder aufgehängt: »Mehr Sex durch ein bedingungsloses Grundeinkommen? Probieren wir es aus!« Lauras Lieblingsplakat zeigt ein Katzen-Emoji mit aufgerissenen Augen. Darüber steht: »Weniger Existenzangst durch ein bedingungsloses Grundeinkommen?«
Die studierte Politologin und Wirtschaftspsychologin ist sich sicher: »Menschen treffen bessere Lebensentscheidungen, wenn sie finanziell abgesichert sind.« Dabei gehe es um Fragen wie: Kann ich es mir leisten, noch einmal zu studieren? Werde ich jetzt Mutter? Mache ich diesen Job weiter, der mich nicht erfüllt und der den Planeten zerstört? Ein Grundeinkommen erweitere den Rahmen, in dem Transformation überhaupt gesellschaftlich diskutiert werden kann. Laura Brämswig sagt: »Es gäbe plötzlich keine Diskussion mehr darüber, ob wir Kohlekraftwerke schließen können, weil die Angestellten nicht abgesichert sind.« Ein Grundeinkommen würde nicht nur die Zeit überbrücken, bis eine Region wie die Lausitz den Wandel geschafft hat. Es könnte auch die nötigen Kapazitäten in der Klimabewegung schaffen, um diesen Wandel überhaupt systematisch und langfristig zu organisieren.
Glaubt man Laura Brämswig, stehen viele Zeichen auf Grundeinkommen. Das 9-Euro-Ticket sei in diese Richtung gegangen, ebenso wie der Energiebonus, der nun ausgezahlt werden soll, um die Folgen der neuesten Krise abzufedern. »Je größer die Krise, umso außergewöhnlicher werden auch die Maßnahmen«, sagt sie mit Blick auf die Zukunft. Das sei erst einmal keine gute Nachricht. Aber genau aus diesem Grund ist die Pionierarbeit von Initiativen wie Expedition Grundeinkommen so wichtig: Denn wenn alte Systeme erst einmal kollabieren, reicht es nicht, eine radikale Idee vorzustellen. An diesem Punkt müssen alternative Modelle schon erprobt, Fehler gemacht, Erfahrungen gesammelt haben, damit schließlich auch die Politik den Mut aufbringt, neue Wege zu gehen.
Eine Gemeinschaft aus Lachsen und anderen Leuten
Dune Lankard, Copper River Delta, Alaska, USA
Dune Lankard hat viele Geschichten zu erzählen aus seinem Leben am Golf von Alaska. Seine eigene erzählt er so: »Mein erstes Gehalt hat mir der Ozean bezahlt. Damals war ich Hilfsjunge auf einem Kutter.« Seine ganze Art zu sein verdanke er dem Verbund des Lebens unter Wasser: Von den Lachsen hat er gelernt zu reisen, von den Gezeiten den Wechsel zwischen Höhen und Tiefen im Leben. Wer wie seine Vorfahren von der Fischerei lebt, muss ewiger Optimist sein, sagt Dune und lacht: »Du musst daran glauben, dass der nächste Fang, der nächste Tag, die nächste Saison besser wird als heute.«
Positiv in die Zukunft zu blicken, war keinesfalls eine einfache Übung für die Gemeinden der indigenen Eyak in Alaska, die nicht nur mit dem Rassismus der Gesellschaft, sondern auch mit mehreren Naturkatastrophen zu kämpfen hatten: erst das Erdbeben von 1964, dann 41 Millionen Liter Rohöl im Meer und das Fischsterben, das auf die Exxon-Valdez-Havarie von 1989 folgte.
»Es war der Tag, an dem der Ozean starb – und gleichzeitig erwachte in mir etwas zum Leben«, erinnert sich Dune Lankard an den Tanker-GAU. Viele Kämpfe um Landrechte an der Küste hat er seither für die Community vor Gericht gewonnen. Trotzdem droht die Lebensart seiner Großeltern auszusterben: Die steigenden Wassertemperaturen und die Versauerung der Ozeane macht den Lachsen – ohne die die Kultur der Eyak nicht denkbar wäre – zu schaffen. Deshalb hat sich der 62-Jährige etwas ausgedacht. Seine Vision geht weit über das Ziel der Vereinten Nationen hinaus, Ernährungssicherheit für ländliche Regionen zu schaffen. Mit seiner Organisation »Native Conservancy« hat er angefangen, die indigene Jugend darin auszubilden, unzählige Aqua-Farmen zu bewirtschaften. Ein nachhaltiges Einkommen aus Seetang, auch Kelp genannt, soll den Jugendlichen nicht nur ein selbstbestimmtes Leben eröffnen, sondern sie auch wieder in Kontakt mit der traditionellen Küche bringen. »Es ist eine Win-Win-Win-Situation«, sagt Dune Lankard überzeugt. Der Seetang bietet nämlich auch vielen anderen Organismen und Wasserleuten Unterschlupf – die ursprünglichen Kelpwälder sind absolute Biodiversitäts-Hotspots. Gleichzeitig speichern sie große Mengen Kohlenstoff, ohne Gefahr zu laufen, abzubrennen und das CO2 wieder freizusetzen. Dadurch könnten sie, wenn sie intensiver als Klimalösung eingesetzt werden, fünf bis zwanzig Mal so viel CO2 speichern wie Wälder auf derselben Fläche Land.
Kelp-Farming zahlt sich also aus. Doch Dune sind nicht die Zahlen wichtig, sondern die Beziehungen, die hier entstehen und Stabilität schaffen, wenn alles andere ins Wanken kommt. //
Theresa Leisgang (33) ist Journalistin, Autorin und Campaignerin. Abgesehen von der Küste Alaskas kennt sie die hier beschriebenen Lebensrealitäten durch eigene Erfahrungen vor Ort: die Gasfackeln im Amazonasgebiet, die staubigen Straßen Kapstadts, die Wohnungsnot in Berlin. Gerade sucht sie mit ihrer Gemeinschaft einen Ort vor den Toren der Hauptstadt, der zum sicheren Hafen werden kann.