Bildung

Von Schuld und Strafe zu Beziehung und Gemeinschaft

Ein Gespräch mit dem Institut für Restorative Praktiken.von Dennis Trendelberend, Ivo Sodji, Maj Vethacke, erschienen in Ausgabe #70/2022
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© Dennis Trendelberend

Dennis Trendelberend  Maj und Ivo, ich freue mich sehr, mit euch zu einem Gespräch zusammenzukommen. Aktuell bildet ihr mit vier weiteren Mitarbeitenden das »Institut für Restorative Praktiken« in Berlin. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Ivo Sodji  Restorative Praktiken sind ein Spektrum von Möglichkeiten, die für das Aufbauen und Wiederaufbauen von Beziehungen genutzt werden können. Es gibt einen proaktiven Teil, in dem es darum geht, sich besser kennenzulernen und das Vertrauen ineinander zu stärken. Verbindung kann hier durch Kreisgespräche, Kooperationsspiele, Übungen oder gemeinsame Waldspaziergänge entstehen. Außerdem gibt es den reaktiven Teil, die »Restorative Justice«: Hier geht es darum, dass Schaden verursacht wurde und in der Folge die Beziehung zwischen der Person, die den Schaden verursacht, und der Person, die ihn erlitten hat, wiederhergestellt wird. 

Es ist wichtig, dass alle Beteiligten gehört werden, damit Verständnis dafür entstehen kann, wie es zu dem Konflikt kommen konnte, welcher Schaden entstanden ist – und um gemeinsam herausfinden zu können, welche Art der Verantwortungsübernahme gebraucht wird.

Maj Vethacke  Die Beziehung zwischen Opfer und Täterin oder Täter muss in den Restorativen Praktiken nicht unbedingt wiederhergestellt werden, wenn das Opfer dies nicht wünscht. Es geht vor allem darum, dass eine Situation entsteht, mit der sich alle anfreunden können. Der große Unterschied zum konventionellen Bestrafungsansatz besteht darin, dass die Betroffenen gemeinsam erarbeiten, was sie brauchen, damit es wieder gut ist. Ganz verschiedene Lösungen sind da denkbar. 

Folgendes Beispiel macht das deutlich: Jugendliche besprühten einen LKW mit Farbe – klare Sachbeschädigung. Der LKW-Fahrer und die Jugendlichen fanden zusammen die Lösung, dass die Jugendlichen den LKW nach Geschmack des Fahrers erneut übersprühen.

DT  Wie stehen die Restorativen Praktiken zu Gegensätzen wie Recht und Unrecht, Opfer und Täter, Schuld und Strafe?

IS  Mir fällt ein berühmtes Zitat des Mystikers Rumi ein: »Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns.« Das heißt: Es ist wichtig, dass wir uns miteinander verbinden, ohne dass es darum geht, dass der eine oder die andere richtig liegt. Es geht darum, die jeweiligen Perspektiven zu teilen – dann können sich Dinge auch verändern.

MV  Schuld gibt es als Konzept in den Restorativen Praktiken so nicht. Schuld wird ersetzt durch Verantwortung. Diese Verantwortung kann aber nur empfunden und übernommen werden, wenn sogenannte Täterinnen oder Täter wirklich spüren können, was sie anderen angetan haben. Das tun sie nicht, wenn sie bestraft werden.

DT  Wie entstand das Konzept der Restorativen Praktiken beziehungsweise der Restorative Justice?

MV  Restorative Justice, was im Deutschen mit wiederherstellender, ausgleichender oder auch heilender Gerechtigkeit übersetzt wird, hat ihren Ursprung in verschiedenen indigenen Kulturen aus Kanada, den USA und Neuseeland. Die direkt und indirekt Betroffenen eines Konfliktes kommen im Kreis zusammen, um voneinander zu hören und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Die Restorativen Praktiken sind eine Weiterentwicklung der Restorative Justice: Die Kraft der Kreisgespräche wird hier auch proaktiv für Beziehungsaufbau und -stärkung sowie für Gemeinschaftsbildung genutzt.

DT  Also umfassen die Restorativen Praktiken sowohl konkrete Methodik und Strategie als auch eine Grundhaltung, wie in Gemeinschaft gelebt und mit Konflikten umgegangen werden kann. Könnt ihr die Grundhaltung weiter beschreiben?

MV  Mir kommt als erstes der Begriff der Gleichwürdigkeit in den Sinn. Die erste der fünf Restorativen Fragen lautet: »Was ist aus deiner Sicht passiert?« Jede Sicht und jede Stimme zählen gleichermaßen.

IS  Jemand begeht eine Gewalttat nicht, weil er ein schlechter Mensch ist, sondern aus Hilflosigkeit und weil er nicht weiß, wie er anders mit einer bestimmten Situation umgehen soll. 

MV  Es wird ein Paradigmenwechsel versucht: weg von Schuld und Strafe, hin zu Beziehung und Bedürfnis. Es geht immer wieder darum, zu merken, wie man das Prinzip von Schuld und Strafe verinnerlicht hat. Man muss sich bewusst dafür entscheiden, davon abzurücken.

DT  Worin besteht euer Modellprojekt, das ihr aktuell durchführt, und warum geht ihr in Schulen?

MV  Restorative Praktiken werden an einigen Schulen – vor allem im englischsprachigen Raum – bereits eingesetzt. In -Deutschland gibt es das bisher nur wenig. Mit der Förderung durch das Bundesprogramm »Demokratie leben!« ist es uns möglich, an einer Berliner Grundschule die Restorativen Praktiken modellhaft einzuführen. Mein Hauptanliegen besteht darin, für den Ansatz von Schuld und Strafe in der Schule eine Alternative -anzubieten. In unseren Workshops, Seminaren und Fortbildungen steht der Verbindungs- und Beziehungsaufbau im Vordergrund. Wenn etwa ein Kind zu spät zum Unterricht erscheint, zum zehnten Mal vielleicht, kann ich durch die Stärkung der Beziehung – beispielsweise in Kreisgesprächen – erfahren, warum das Kind zu spät kommt, und komme nicht auf die Idee, es bloß dafür zu bestrafen.

IS  Konflikte als Möglichkeiten für Wachstum und soziale Bereicherung zu sehen, ist der Kern des Ganzen. Aus Angst weichen Menschen Konflikten oft aus. Wir wollen Räume kreieren, in denen Menschen sich sicher fühlen und sich trauen, Dinge anzusprechen.

MV  In der Schule bestehen Machthierarchien, und viele Kinder fühlen sich deshalb unsicher. Es ist Ziel unserer Arbeit, ein sicheres Schulklima zu schaffen. Die Art und Weise, wie oft mit dem Machtunterschied umgegangen wird, mit der bestrafenden, autoritären Grundhaltung im Schulsystem, ist gefährlich für Kinder und auch für die Erwachsenen selbst. Unsere Hauptzielgruppe sind daher nicht die Kinder, sondern die Erwachsenen und ihr Umgang mit herausfordernden Situationen.

DT  Für mich drängt sich die Frage nach den Machtverhältnissen in einer Institution wie der Schule ebenfalls auf. Wie reflektiert ihr eure Position?

MV  Ich sehe meine Rolle nicht als die einer Expertin und auch nicht als die einer Person, die den Lehrerinnen und Lehrern an der Schule etwas beibringt. Ich möchte eine Raumöffnerin und Begleiterin sein. Wir versuchen, herauszufinden, wo es Raum braucht, und versuchen dann, einen solchen Raum in die bestehende Struktur einzubauen.

IS  Ich würde uns durchaus als Expertinnen und Experten bezeichnen, ich glaube das ist wichtig. Doch wollen wir nicht belehren, sondern anerkennen, dass es gute Gründe gibt, warum an Schulen mit Strafnarrativen operiert wird. Wie Maj sagte, wollen wir gemeinsam herausfinden, wie es anders gehen kann. Wir gehen außerdem hin mit dem Blick für das, was schon da ist, wo schon Restorative Praktiken bestehen – um dann zu schauen, wie wir an das bereits Vorhandene anknüpfen können. 

DT  Wie kann ich mir euer Wirken in den Klassen konkret vorstellen?

MV  Erst einmal finden Kreisgespräche zum Kennenlernen statt. In diesen lernen die Kinder die Struktur kennen, können sich zunehmend sicherer fühlen und sich die Frage stellen, wie sehr sie sich – auch in ihrer Verletzlichkeit – zeigen möchten. Konkret beginnen wir die Stunde mit einer »Check-In-Runde«, in der alle sagen können, wie es ihnen geht. Dann stellen wir bestimmte Fragen, zum Beispiel: »Wann fühle ich mich hier in der Klasse richtig wohl?« Oder: »Was würde ich gerne teilen, wozu ich mich bisher nicht getraut habe, in der Klasse darüber zu sprechen?« In der Schule gibt es damit einen Raum, in dem nacheinander jedes Kind ungeteilte Aufmerksamkeit bekommt. Wenn wir länger in den Klassen sind, schauen wir uns auch Konflikte an und führen reaktive Kreisgespräche. Wir sind zwölf Wochen in jeder Modellklasse. In dieser Zeit bilden wir die Lehrkräfte aus, damit sie die Kreisgespräche danach selbst und in ihrem Stil anleiten können. 

DT  Wie läuft ein solches reaktives Kreisgespräch in der Klasse ab?

MV  Auch bei einem reaktiven Kreisgespräch geht es darum, dass alle Perspektiven gehört werden, und die Frage, wer wie betroffen ist. Bei stärkeren Regelverstößen wird eine Restorative Konferenz einberufen, zu der alle direkt Betroffenen und auch indirekt Betroffene, wie weitere Lehrerinnen, Lehrer und Eltern eingeladen werden. Bislang liegt unser Schwerpunkt allerdings auf dem proaktiven Teil: Wenn wir einander wirklich sehen, besteht eine geringere Wahrscheinlichkeit, einander zu verletzen.

DT  Maj, du hast nicht nur Erfahrungen in Gewaltfreier Kommunikation gesammelt, sondern auch in der Gestalttherapie. Ich selbst erlebe die Gestalttherapie mit ihrem unmittelbar körperlich-emotionalen und gegenwartsorientierten Ansatz, der damit auch ein lösungs- und beziehungsorientierter Ansatz ist, als sehr produktiv. Inwiefern kannst du deine gestalttherapeutischen Erfahrungen in deine Arbeit mit den Restorativen Praktiken einbringen?

MV  Durch die Gestalttherapie bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass es in Ordnung ist, zwei unterschiedliche Perspektiven nebeneinander stehen zu lassen. Sie können sich sogar widersprechen und dürfen trotzdem beide sein – alles darf sein, und was sein darf, kann sich verändern. Ich habe in der Gestalttherapie außerdem zum ersten Mal Kreisgespräche erlebt, die sehr heilsam waren und in denen heftige Themen innerhalb der Gruppe Platz hatten. 

In der politischen Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen während dieser Zeit wurde mir klar, was für ein großes Potenzial darin liegt, die Arbeit in Gruppen mit der Gestalttherapie zu kombinieren. Vor anderthalb Jahren habe ich an einem Workshop zu Restorativen Praktiken in Schulen teilgenommen und gemerkt, dass es mich reizt, einen Raum zu eröffnen, in dem sich Menschen zeigen können, so wie sie sind – und auf diese Art miteinander lernen. 

DT  Ivo, du hast unter anderem an der Entstehung einer Montessori-Schule mitgewirkt. Hier stellt sich mir die Frage, inwiefern die Restorativen Praktiken selbstbestimmtes Lernen unterstützen.

IS  Ich glaube, dass Selbstbestimmung viel mit Selbstbewusstsein zu tun hat und mit der Erfahrung, in der Lage zu sein, eigene Entscheidungen zu treffen. In den Restorativen Praktiken versuchen wir Räume zu öffnen, in denen Menschen für das, was ihnen wichtig ist, einstehen können.

DT  Gab es eine besondere Erfahrung, die euch motiviert hat, eure jetzige Arbeit zu tun?

MV  Nebenberuflich gebe ich Seminare und Workshops zu verschiedenen Themen; ab und an auch Mediationsseminare für Kinder und Jugendliche. Vor einigen Monaten habe ich in einer achten Klasse Kreisgespräche angeleitet. Später erzählten mir sogar die Jugendlichen, von denen ich es gar nicht erwartet hatte, wie schön es für sie war, und fragten, ob wir nochmal diese Sache mit den Kreisfragen machen könnten. Die Jugendlichen, die sonst einen Schutzpanzer und Verteidigungsmechanismen für ihren Alltag brauchen, haben sich getraut, sich zu zeigen und sich gegenseitig zu sehen. Ein Teilnehmer beispielsweise sagte im Kreisgespräch, dass es sein größter Traum sei, endlich abzunehmen.

DT  Das ist wirklich berührend. Wie ist eigentlich euer persönliches Verhältnis zur Schule?

MV  Ich empfinde viel Wut. Ich habe mich damals wenig selbstbestimmt, gesehen und wertgeschätzt gefühlt. Am Schulsystem mit seinen Machtstrukturen habe ich früh gezweifelt und darüber Verzweiflung, Wut und Ärger empfunden. Wie viele Diskussionen hatte ich mit meinen Lehrerinnen und Lehrern!

IS  Bei mir kommt vor allem Trauer. Ich war an vielen Schulen und hatte viele Konflikte, vor allem mit den Lehrenden. Ich habe mich anders gefühlt, auch aufgrund meiner Hautfarbe. Ich war in fast jeder Klasse der einzige mit dunkler Haut. Das Gefühl der Unzugehörigkeit wurde dabei nicht aufgefangen und ich habe mich nicht sicher gefühlt. 

Heute möchte ich Menschen, die sich selbst als Außenseiter fühlen, zeigen, dass sie schön, wichtig und wertvoll sind, etwas schaffen und ihren eigenen Weg finden können.

DT  Ich selbst habe in meiner Schulzeit die Schule als ein unlebendiges System empfunden und war später an freien wie öffentlichen Schulen tätig. Zuletzt arbeitete ich in einer Psychiatrie und beschulte Kinder und Jugendliche, die dort längere Zeit in Behandlung waren. Viele von ihnen hatten schon in frühem Alter keine Lust mehr auf die Schule und aus ihrer Angst und Frustration heraus sogar selbstverletzendes Verhalten angenommen. Ist es möglich, mit eurer Arbeit nachhaltig konkrete Konflikte zu bewältigen, ohne die größeren, systemischen Voraussetzungen und das Anstaltsdenken zu verändern? 

MV  Ich glaube, durch Beziehung und das Wahrnehmen einer Person verstehe ich erst richtig, was Diskriminierung, zum Beispiel in Form von Rassismus, in größeren Strukturen bedeutet. Indem ich als Lehrerin meine Schülerinnen und Schüler höre und sehe, kann ich verstehen, wie sehr ich sie vielleicht unterdrücke. Das ist für mich, was die Kreisgespräche geben können: sich zu zeigen. 

Unser Modellprojekt ist ein Versuch, an der Beziehungsebene anzusetzen, auf der alle Probleme, Konflikte und großen Strukturen zusammenkommen. Im bestehenden System sehe ich unsere Rolle darin, Empathieräume zu schaffen. Und natürlich finde ich es wichtig, dass gleichzeitig neue, freie Schulen gegründet werden und es eine Schulfrei-Bewegung gibt.

DT  Ist der lösungsorientierte, pragmatische Wiedergutmachungsansatz der Restorative Justice im bestehenden Regelschulsystem und in der bestehenden Schulgemeinschaft nicht trotz allem zu mechanistisch gedacht? Nehmen wir einmal an, es wurde jemand aus der Klasse ernsthaft geschädigt und nun entscheidet die Gemeinschaft zusammen über die Maßnahmen gegenüber dem Schädigenden. Sind die Kinder wie die Lehrenden nicht noch zu sehr in überkommenen Denkstrukturen verhaftet, um in so einem Prozess fair und umsichtig gegenüber den einzelnen Menschen zu urteilen?

MV  Es geht nicht um eine Art Abstimmung, ob der Schädigende jetzt dies oder jenes machen muss. Mitgefühl kann Gefahren entschärfen. Und ja, gleichzeitig lernen die meisten Kinder als einzige Art der Konfliktbewältigung die Bestrafung und wollen ihrerseits dann ebenso bestrafen. Wir begleiten die Modellschule daher drei Jahre lang und hoffen, dass unser Versuch gelingt, indem wir mit den Lehrenden in einem engen, nicht verurteilenden Kontakt bleiben. Wir möchten sie und auch die Kinder immer wieder einladen, ihre Haltung zu überprüfen, bis ein sicherer, empathischer Raum geschaffen ist.

IS  Wir sind selbst nicht frei von den angesprochenen Denk- und Handlungsmustern und rutschen teilweise auch immer wieder in diese hinein. Es ist davon auszugehen, dass das auch den Lehrerinnen und Lehrern passiert, mit denen wir zusammenarbeiten  – und es ist wichtig, ihnen dann zu sagen, dass es in Ordnung ist, wenn sie Fehler machen.

DT  Was bedeuten Scham und Trauma in diesem Zusammenhang?

MV  Uns ist es ein Anliegen, den Erwachsenen Wissen über Entwicklungs- und Bindungstraumata sowie über Schamreaktionen von Kindern zu vermitteln. Wir bilden uns hier auch selbst kontinuierlich weiter; zum Beispiel nehme ich gerade an einer Weiterbildung von »TransParents« teil. 

IS  Wenn mir bewusst ist, dass ein Kind grenzüberschreitend gegenüber einer anderen Person handelt, weil es nicht anders kann und gewisse Traumata mit sich herumträgt, kann ich besser mit ihm in Kontakt bleiben. Außerdem nehme ich grenzüberschreitendes Verhalten dann generell nicht persönlich. Der Grundsatz, dass alles sein darf und sich durch diese Einstellung Dinge von selbst lösen können, heißt dabei nicht, dass ein Kind andere Menschen verletzen darf. Es kann heißen, dass ich ihm eine klare Grenze setze, ihm allerdings gleichzeitig in einer bezeugenden, willkommenheißenden Art begegne – ich kann Verständnis geben, indem ich sage: »Es hat gute Gründe, dass du dich so verhältst. Und ich habe aufrichtiges Interesse zu hören, was bei dir los ist. Aber jetzt ziehe ich diese klare Grenze, damit niemand zu Schaden kommt.«

DT  Der Anreiz, als Schädigender wieder Teil der Gruppe zu werden, erscheint mir stark. Gibt es auch Kinder, die die Angst vor dem Prozess der Wiedergutmachung im Sinn der Restorativen Praktiken – der ja gleichzeitig eine mehr oder weniger intensive Konfrontation mit sich selbst bedeutet – nicht überwinden können und stattdessen lieber einfach bestraft werden wollen?

IS  Ich habe das schon erlebt. Man kann niemanden zwingen, sich zu öffnen und sich zu zeigen. Deswegen ist es wichtig, immer wieder in Kontakt zu gehen und dazu einzuladen. 

 Lehrkräfte bestrafen, damit es Kontrolle und Sicherheit gibt. Auch Kinder ziehen Sicherheit aus Strafe, da sie eine klare Konsequenz darstellt, auf die sie sich verlassen können. Wenn nicht mehr bestraft wird, fällt diese Sicherheit weg. Deswegen braucht es Vertrauen. Es ist etwas ganz schön Neues: vom Sich-Verstecken zum Sich-Zeigen.

DT  Das ist ein schöner Schlusssatz. Ich bedanke mich für den anregenden Austausch. //


Mehr zu Restorativen Praktiken
irp-berlin.de

Maj Vethacke (25) hat nach dem Abitur ein Freiwilliges Soziales Jahr in Ecuador gemacht, Soziologie studiert und nebenher in der politischen Bildung mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet. Seit einem Jahr ist sie Teil des Modellprojekts »Mit Restorativen Praktiken ein positives und sicheres Schulklima fördern«.

Ivo Sodji (29) hat Grundschullehramt studiert und befasst sich seit zehn Jahren mit der Gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg. Er ist dankbar, Teil des Projektteams zu sein und so zu einem Kulturwandel hin zu mehr Gemeinschaft beitragen zu dürfen.

Dennis Trendelberend (30) ist Schriftsteller und Bildungsentwickler. Er interessiert sich für lebendige Formen des Lernens und ist auf der Suche nach einem guten Leben für alle.


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