Pilgerin Mara Fischer ist Mithüterin einer Herberge und setzt damit auf gemeinschaftsgetragene Infrastrukturen.von Sigrun Preissing, erschienen in Ausgabe #71/2022
Im Juli 2022 war ich mit einer Gruppe von Jugendlichen unterwegs auf dem Schweizer Jakobsweg. Erschöpft vom Gehen mit Gepäck bei über 35 Grad Celsius erreichten wir eines Abends die Pilgerherberge in Rapperswil. Wie wohltuend war da der herzliche Empfang von Mara Fischer in der kleinen gemütlichen Herberge, wenige Meter vom Zürichsee entfernt! Schnell landete ich mit der 24-Jährigen am Küchentisch der Herberge, und sie erzählte mir bei einer Tasse Tee ihre Geschichte.
Schon seit sechs Jahren ist Mara in Etappen auf dem Jakobsweg unterwegs. Immer, wenn sie Ferien hat, legt sie ein weiteres Stück Weg zurück. Pilgerherbergen sind außerhalb Spaniens eine Seltenheit, meistens kommen die Wandernden in Hostels oder Jugendherbergen unter. Auf einer ihrer Etappen ist sie durch Rapperswil gekommen, damals war die Herberge bis aufs letzte Bett belegt. Wie ich, setzte auch Mara sich nach dem Essen mit einem Tee in die Küche und erlebte dort einen besonderen Abend: Immer mehr Pilgernde kamen hinzu und tauschten sich über Stunden hinweg angeregt aus. »Dass wir die Wandererfahrung teilten, hat uns sehr verbunden«, erzählte Mara. Als Mara am nächsten Tag weiterwanderte, beschäftigte sie eine Information der Hospitalera, der Herbergshütenden: Die Pilgerherberge wird, wie viele andere Herbergen entlang des Wegs, allein durch Freiwillige betrieben. Zurück in Deutschland nahm sie Kontakt auf und wurde in die Gruppe jener, die die Infrastruktur der Pilgerherberge pflegen, einbezogen. Jedes Jahr wird per Mail ein Kalender herumgeschickt, in dem alle Willigen eintragen können, wann sie das Hüten der Herberge übernehmen können. Gibt es Lücken oder wird jemand krank, werden alle kurzfristig informiert. Als im Juli 2022 eine Helferin ausfiel, kam Mara nach Rapperswil, sie hatte Lust – und auch Zeit – beizutragen. Jeden Tag ab 16 Uhr empfängt sie die Pilgernden, wickelt alles Organisatorische ab, steht mit Rat und Tat zu allen Fragen rund ums Pilgern zur Seite. Am nächsten Morgen unterstützt sie die Pilgernden bei der Abreise und putzt ab 10 Uhr die Herberge. Dann hat sie einige Stunden frei, die sie meist im Strandbad verbringt, bis alles von vorne beginnt. Für die übernommene Aufgabe bekommt keine der beteiligten Hütenden Geld. Alle Einnahmen sind ausschließlich für Nebenkosten und den Erhalt der Herberge gedacht. Auf die Frage nach ihrer Motivation antwortete Mara: »Ich wollte anderen Menschen auch so ein schönes Erlebnis ermöglichen, indem ich sie in meinem ›Zuhause auf Zeit‹ willkommen heiße.« Als ich Mara von dem Commonsmuster »Auf gemeinschaftsgetragene Infrastrukturen setzen« erzählte, nickte sie mehrmals. »Ich habe noch nie davon gehört, aber es ergibt für mich Sinn. Das Gemeinschaftsgetragene hier merke ich einfach an der Atmosphäre. Alle sind freiwillig da. Die gemeinsame Erfahrung, auf dem Jakobsweg unterwegs zu sein, verbindet alle, die hier zusammen kommen: egal ob Hospitalera oder Pilgernde, ungeachtet der Unterschiede von Alter oder Lebensumstände. So entsteht hier innerhalb eines Abends ein vertrauter und inniger Umgang untereinander, was ich so bisher nicht einmal in einem herzlich geführten Landgasthof erlebt habe. Es ist eine sehr besondere Atmosphäre.«
Welche Infrastrukturen werden genutzt und aufgebaut?
Gemeinschaftsgetragene oder peer-to-peer-Infrastrukturen sind elementar. Sie decken auch ab, was der Markt ignoriert, und werden als Voraussetzung und Mittel der Produktion von den Beteiligten selbst kontrolliert. Das schafft soziale Sicherheit, verringert Abhängigkeit und erleichtert die Kooperation in großem Maßstab.
Anschlussmuster: Gemeinsam erzeugen & nutzen, Konviviale Werkzeuge nutzen, Auf Heterarchie bauen, Commongsgemäß finanzieren, Einhegungen & Vereinnahmungen dazwischenfunken
Muster erkunden
Silke Helfrich und David Bollier: Frei, fair und lebendig. Die Macht der Commons, transcript, 2019 Die Muster gibt es auch als Kartenset: kurzelinks.de/musterkarten