Der in Irland geborene Architekt und Städtebauer Declan Kennedy ist ein Pionier der Permakultur in Europa. In der von ihm mitbegründeten Gemeinschaft »Lebensgarten Steyerberg« erzählte er aus seinem Leben.von Matthias Fersterer, Declan Kennedy, erschienen in Ausgabe #71/2022
Matthias Fersterer Declan, du wurdest 1934 in Dublin in eine kinderreiche Familie hineingeboren. An welcher Stelle in der -Geschwisterreihe stehst du?
Declan Kennedy Ich wuchs als sechstes von acht Kindern auf, hatte aber noch zwei weitere Geschwister, die vor oder während der Geburt gestorben sind. Allerdings habe ich letzteres erst in meinen Vierzigern erfahren, meine Mutter sprach nie darüber.
MF Vergangene Woche war ich in Berlin auf der Beerdigung der Tochter von Freunden, die zwei Tage nach der Geburt gestorben war. Ich empfand den Rahmen als berührend und angemessen, er bot Raum, um der Trauer Ausdruck zu verleihen.
DK Manches ist im Lauf der Zeit also doch besser geworden …
MF Bei der Trauerfeier habe ich Gedichte gesprochen, unter anderem von Wendell Berry – dem Landwirt und Poeten aus Kentucky, der im selben Jahr wie du geboren wurde.
DK Ich kenne und schätze Wendell, wir sind uns einmal auf -einer Veranstaltung begegnet.
MF In einem autobiografischen Essay schrieb er: »Mein Leben begann in der alten Zeit, als deren letzte Vertreter starben. Wäre ich fünf Jahre später zur Welt gekommen, wäre ich in eine andere Welt hineingeboren und sicherlich ein anderer Mensch geworden.« In welche Welt wurdest du hineingeboren?
DK Was mich sehr prägte, waren die Geschichten meines Vaters. Besonders in den Jahren des Zweiten Weltkriegs, als es immer wieder Stromausfälle gab, saßen wir um den Kamin herum und mein Vater erzählte uns von der irischen Unabhängigkeits-bewegung, an der er selbst beteiligt gewesen war. Er war ein begnadeter, gewitzter Erzähler. Der Schriftsteller George Bernard Shaw schrieb einmal: »Die Iren haben traurige Lieder und lustige Kriege.« Da ist etwas dran. Meine Mutter spielte derweil Klavier und sang. Außerdem tanzte ich viel – jedes Wochenende wurde in der Nachbarschaft zum Tanz aufgespielt. Noch heute unterrichte ich Tänze aus verschiedenen Traditionen, die ich in meinem Leben zusammengesammelt habe.
Mein Vater leistete im Irischen Bürgerkrieg, der nach der Teilung des Landes entbrannte, als Kurier der »Irish Republican Army« Widerstand gegen die Engländer. 1923 floh er nach Übersee und meine Mutter folgte ihm. So kam es, dass meine vier älteren Geschwister in Kalifornien geboren wurden. 1931 kehrten meine Eltern zurück und bauten in einem Vorort von Dublin ein Haus. Dort wurden wir jüngeren vier Geschwister geboren. In den ersten Lebensjahren habe ich nur Gälisch gesprochen, erst in der Schule lernte ich Englisch. Nicht nur Deutsch, auch Englisch war für mich eine Fremdsprache. Deshalb wähle ich auch heute meine Worte noch sehr bedacht. Der Kontrast fiel mir besonders an deutschen Universitäten auf. Ich erzähle einfach viel ausführlicher, langsamer, assoziativer … Durch meine vielen Geschwister habe ich früh den Umgang mit Verschiedenheit und den Wert konstruktiver Kritik kennengelernt.
Tabea Heiligenstädt Der Bürgerkrieg in Irland war ja auch ein religiöser Konflikt zwischen katholischen Iren und protestantischen Engländern.
DK Dazu fällt mir eine Geschichte ein: Mein bester Freund während des Architekturstudiums in Darmstadt war Engländer. Irgendwann fanden wir heraus, dass sein Vater und mein Vater sich im Irischen Bürgerkrieg mit gezogenen Waffen gegenübergestanden hatten … Das ist für mich ein schönes Bild für transgenerationale Verständigung. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ein Gott uns sagen würde: »Du bist richtig, und du bist falsch!« Nein. Wir sind alle richtig. Wir haben nur unterschiedliche -Perspektiven und Vorgehensweisen. So viele Kriege wurden um der Religion oder um des Geldes Willen geführt!
MF Der Kapitalismus ist auch eine Religion, wie uns der Schriftsteller Walter Benjamin in Erinnerung rief …
DK Und weißt du was? Die Permakultur ist das Gegenteil des Kapitalismus! Adam Smith und Charles Darwin haben die ganze Welt als Konkurrenzkampf beschrieben – in der Permakultur hingegen wird die Welt als Tanz aufgefasst. In einem Biotop unterstützen alle einander, selbst wenn sie sich gegenseitig auffressen. Der Grund, warum ich immerzu versuche, Verbesserung und Verbindungen zu schaffen, ist, dass ich es nicht ertrage, dass wir Menschen die Natur – die für mich etwas Göttliches ist – ausbeuten und zerstören. In diesem Sinn ist mein Tun spirituell. Deshalb habe ich auch schon sehr früh versucht, Städtebau und natürliche Kreisläufe zusammenzudenken.
TH In den 1970er Jahren wurdest du als Professor für Städtebau an die Technische Universität Berlin berufen und später sogar zum Vizepräsidenten der TU gewählt. Wie hast du diese Zeit erlebt?
DK Ja, das war ein regelrechter Zu-fall – etwas, das mir zugefallen ist. Als ich 1972 aus Pittsburgh nach Berlin kam, war die TU noch eine Hochburg der Studentenrevolte. Fast alle Studierenden waren Marxisten, also theoretisch versierte, oft durch Eigentumswohnungen abgesicherte Nobelmarxisten … Es gab eine Abstimmung, und die Studierenden haben mir in letzter Minute mehrheitlich ihre Stimme gegeben, trotz der überwiegend politisch konservativen bis rechten Professorenschaft. Dabei war ich zwar progressiv, aber nie Marxist. Erst in Berlin las ich Marx, um mit meinen Studierenden mithalten zu können. In dieser Zeit fühlte ich mich einerseits allein, andererseits war alles in mir bereit für die Permakultur.
TH Immerhin ist es dir zu verdanken, dass die Permakultur in Deutschland bekannt geworden ist. Wie genau kam das?
DK Ich hatte schon lange nach einem ganzheitlichen Entwurfssystem im Städtebau gesucht. Meine Frau Margrit erzählte mir gegen Ende der 1970er Jahre, dass sie von diesem Australier gehört hätte … Wenig später bekam ich einen Brief von einem UN-Beamten aus London. Er wolle Bill Morrison nach Europa einladen, falls sich noch ein weiteres Land an den Kosten beteiligen würde. Also habe ich mit meinen Studierenden das nötige Geld aufgetrieben. Die Begegnungen mit Bill Mollison und später mit David Holm-gren haben mein Leben verändert!
TH Was fasziniert dich an der Permakultur?
DK Die Polykultur! Das größte Problem unserer Zeit sind die Monokulturen: Wir müssen weg vom monokulturellen Denken, vom monokulturellen Städtebau und von der monokulturellen Landwirtschaft! Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts hüteten Bäuerinnen und Bauern die landschaftliche Vielfalt. Heute hingegen pflanzen auch viele Biohöfe Monokulturen an. Deshalb organisiere ich für Herbst kommenden Jahres eine »Öko-Landbau-Convergence« (siehe Seite 16) – eine Zusammenkunft, um biologische Anbauverbände und die Permakultur zusammenzubringen.
Meine Botschaft lautet: »Lebe mit der Natur!« Das sagen zwar viele, aber was bedeutet das in der Tiefe? Die Suche nach Antworten führte uns Mitte der 1980er Jahre zu dieser halbverfallenen Siedlung aus den 1930er Jahren, aus der dann der »Lebensgarten Steyerberg« hervorging. Die Decke in diesem Raum war verschimmelt, der Boden löchrig, die Fensterscheiben waren zerschlagen. Aber Margrit und ich erkannten das Potenzial. Das Gewächshaus gleich hier neben der Küche und dem Esszimmer ist nun schon 35 Jahre alt. Anfangs hieß es im Gemeinderat, ich dürfte kein Gewächshaus in die Fassade integrieren, weil davon nichts in der Bausatzung stünde. Ich erwiderte, dass in der Bausatzung auch kein einziges Mal das Wort »Fenster« erwähnt würde. Wenn ich das Gewächshaus nicht bauen dürfte, dann müssten auch alle Fenster in der Siedlung entfernt werden. Schließlich durfte ich es bauen. Ich war immer beharrlich, aber nie dogmatisch: Ein Nein habe ich nicht so schnell hingenommen – wenn etwas auf dem einen Weg nicht gelang, habe ich es auf einem anderen versucht.
MF Während wir hier in deinem Gewächshaus sitzen, muss ich an Christopher Alexander denken. In seiner »Mustersprache« hat er viel über die Verbindung von Innen- und Außenräumen geschrieben. Was ist dir aus der Begegnung mit ihm besonders in Erinnerung geblieben?
DK Die Kollaboration! Er hat alle seine Entwürfe und Bücher im Team erarbeitet. Niemand bringt allein ein Buch oder einen Entwurf in die Welt – aber er ging transparent damit um. Bei ihm habe ich das Wort »Ko-labor-ation«, also »Zusammenarbeit«, zum ersten Mal wirklich verstanden. Als Architekt hatte er keine Starallüren, sondern hat viel aus der Beobachtung und dem gesunden Menschenverstand geschöpft. Das verband uns.
MF Declan, mich interessiert, wie Margrit und du zusammengewirkt habt. Ihr geltet als Koryphäen in den Bereichen Komplementärwährungen und Permakultur. Dabei sind beide eng verbunden, weil sie mit Kreisläufen zu tun haben. Sicher habt ihr auch viele Gedanken gemeinsam entwickelt.
DK Margrit hat mich durch ihre Arbeit stark inspiriert. Sie war sehr flexibel, und unsere Beziehung war immer auf Augenhöhe. Sie setzte sich früh für Emanzipation ein. Das kam daher, dass sie einen ungewöhnlich strengen Vater hatte. Sie wollte nicht nur sich selbst befreien, sondern auch andere Frauen unterstützen. In Berlin arbeitete sie Mitte der 1970er Jahre in einem Frauenstadtteilzentrum; ich war der einzige dort zugelassene Mann, weil ich das Gewächshaus betreute und gemeinsam mit den Frauen den Dachraum umbaute.
Margrit und ich konnten super miteinander diskutieren! Wir ergänzten und unterstützten einander darin, unsere Themen in die Welt zu bringen. Sie fing an, sich mit der Geld-Thematik auseinanderzusetzen, weil so viele gute Bauprojekte mit dem Argument »Das rechnet sich nicht!« abgewiegelt werden. Sie gründete das Netzwerk »Monneta« und brachte in ihren Büchern und Vorträgen brillant auf den Punkt, wie die Geldvermehrung durch Zinseszins alle Grenzen des Wachstums sprengt und die Schere zwischen Arm und Reich immer größer werden lässt. Anfangs hatte sie jedoch keine große Reichweite. Also habe ich sie dabei unterstützt, 13 Tagungen zu organisieren und sich international zu vernetzen; und sie hat mich finanziell unterstützt, weil sie aus einer wohlhabenden Familie kam.
MF Auch als Liebespaar wirktet ihr so innig verbunden.
DK Woher auch immer sie gekommen sein mag, die Liebe zwischen Margrit und mir war riesig! Wir haben aber auch viel an unserer Beziehung gearbeitet: Inspiriert durch die Forschungen der Anthropologin Margaret Mead zu temporärer Ehe in Polynesien, setzten Margrit und ich alle zehn Jahre einen neuen Ehe-vertrag auf. Wir nahmen uns immer ein ganzes Wochenende dafür Zeit, sagten alle Termine ab und verhandelten neu. Meist haben wir nur Kleinigkeiten geändert. Zum Bespiel haben wir uns morgens oft in die Haare gekriegt. Dann erkannten wir, dass es besser wäre, wenn ich das Frühstück mache, denn Margrit war ein Morgenmuffel, während ich morgens gleich aus dem Bett springe. Nach dem Frühstück war sie dann bereit für die Welt, und ich brauchte ein Päuschen. Ich bin weitsichtig, sie war kurzsichtig – wir haben unsere Unterschiede gefeiert! Aktives Zuhören und andere Methoden der Gewaltfreien Kommunikation unterstützten uns dabei, uns gut miteinander auszutauschen und einander als Individuen zu sehen.
MF Welch großes Glück, mit einem seelenverwandten Menschen leben zu können! Wenn ich dir zuhöre, wird mir bewusst, wie Margrit und du durch die Art und Weise, wie ihr gelebt, geliebt und gearbeitet habt, auch patriarchale Strukturen und Rollenbilder aufgelöst habt.
DK In Irland gibt es unter dem Katholizismus ein tragendes matriarchales Fundament. In irischen Familien ist es oft so, dass eigentlich die Frau die Entscheidungen trifft, aber so tut, als hätte der Mann entschieden. Dabei ist er eher der Repräsentant.
Margrit gegenüber wurde ich eigentlich nur einmal autoritär: Als sie 1973 in den USA an ihrer Dissertation arbeitete, lebte ich ein Jahr lang in Berlin mit unserer Tochter Antja, die dort auf eine zweisprachige Schule ging. Dann wurde Margrit schwer krank. Als wir sie in den Schulferien in Pittsburgh besuchten, wurde sie schlagartig gesund. Nach unserer Abreise wurde sie wieder krank. Da sagte ich bestimmt: »Du musst mit zurückkommen!« Also schrieb sie ihre Doktorarbeit in Berlin zu Ende. Von da an war klar, dass wir als Familie zusammen in Deutschland bleiben würden. Margrits Wurzeln waren hier – ich konnte überall Wurzeln schlagen, weil ich meine Wurzeln in mir selbst trage.
TH Was von Margrit ist noch lebendig in dir?
DK Wahnsinnig viel! Wir haben so viel zusammen gearbeitet und gedacht. Auch das Haus hier, bis hin zu den Details des Fußbodenbelags. Nachdem Margrit gestorben war, rieten mir Freunde, ich solle mir eine neue Partnerin suchen, aber ich messe jede Frau an ihr – ich vermisse Margrit jeden Tag. Sie ist mir ständig präsent. Vor allem fehlt mir ihre konstruktive Kritik. Dafür ist meine Gemeinschaft heute mehr für mich da. Manchmal denke ich, dass Margrit mir durch ihren frühen Tod auch Freiheit geschenkt hat, um meine Botschaft stärker in die Welt zu bringen.
TH Was lässt dich hoffen? Woraus schöpfst du Zuversicht angesichts sich weltweit ausbreitender Monokulturen?
DK Die junge Generation gibt mir Hoffnung. Meine Generation muss sich dafür entschuldigen, so eine vergiftete Welt zu hinterlassen! In Paris habe ich mal die Gruppe »OuiShare« kennengelernt, die nur Menschen bis 35 und ab 70 Jahren aufnimmt, da die mittlere Generation zu sehr dazu neige, zu sagen: »Das haben wir schon ausprobiert«, »Das funktioniert nicht«, »Das ist zu teuer« … Diese Gruppe war ein Augenöffner für mich. Dort wird auch versucht, das Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männern auszugleichen. Wenn es etwa ums Aufräumen oder Kochen ging und sich vor allem Frauen meldeten, dann hieß es: »Nee, ihr macht das jetzt nicht, sondern die, die sich nie melden.«
TH Mich berührt es, dich als so fürsorglichen Vertreter deiner Generation zu erleben – das gibt wiederum mir Hoffnung. Herz-lichen Dank für das Gespräch! //
Seit fast vier Jahrzehnten wirkt Declan Kennedy (88) in dem von ihm und seiner Frau Margrit (1939–2013) mitbegründeten Ökodorf »Lebensgarten Steyerberg« an der Mittelweser. Das Gespräch wurde dort im Esszimmer von Declans Wohnhaus sowie im wärmedämmenden Wintergarten geführt, der als Gewächshaus in die Fassade integriert ist. Anschließend ging Declan mit Fotografin Annett Melzer aufs Versuchsfeld des nahegelegenen Permakulturparks. Im Folientunnel, in dem inzwischen jüngere Gärtner-innen und Gärtner für Mangold und andere Blattgemüse sorgen, erklärte -Declan, wie das ausgeklügelte Bewässerungssystem funktioniert. Seit vielen Jahr-zehnten setzt sich der Architekt, Städteplaner, Permakulturist und Netzwerker an-gesichts grassierender Monokulturen für Vielfalt und Lebendigkeit ein.