von Christiane Wilkening, erschienen in Ausgabe #71/2022
In ihrem Buch »Birdgirl« beschreibt Mya-Rose Craig ihren Vater als begeisterten »Twitcher«, einen »Birder«, also einen Vogelbeobachter. Der Engländer entfachte diese Leidenschaft auch bei seiner aus Bangladesch stammenden Frau sowie der gemeinsamen Tochter, und schon im Grundschulalter beobachtete Mya mit ihren Eltern heimische Vögel in ihren Habitaten rund um Bristol. Rasch wurde die Familie Teil der großen Twitcher-Community Englands, die sich via Pager-Technik über erwartete Vogel-Sichtungen informiert. Mit Ferngläsern und Teleobjektiv ausgerüstet, fuhr die Familie weite Strecken, um seltene Vögel zu sichten: Schneeeule, Beringmöwe, Albatros… Bald reisten sie gar auf ferne Kontinente, um etwa in Ecuador den Schwertschwalbenkolibri oder den Gelbkopfhüpfer in Ghana zu sichten.
Was wie ein verrücktes, typisch englisches Hobby daherkommt, entpuppte sich als Glücksfall für die Familie. Denn auf den Birder-Reisen kann die Mutter mit ihrer bipolaren Störung leichter umgehen, so dass die Familie trotz dieser Belastung in Balance bleibt und zunehmend mehr zusammenwuchs.
Mya wurde zur Vogelliebhaberin mit einem umfangreichen Wissen. Sie beschreibt alles sehr genau: ihre Reisen und Erlebnisse, die Entwicklung in ihrer Familie. Persönlich, fundiert, mit einer lebendigen bildlichen Sprache – und so spannend, dass es schwerfällt, das Buch aus der Hand zu legen! Wer das Buch liest, erfährt nicht nur unglaubliche Details über zahllose Vögel und die Kunst des Twitching, sondern auch über den Zustand der Natur und das Leben der indigenen Völker in den besuchten Ländern. Langsam ist Mya dann in ein Engagement als Klima- und Umweltschützerin hineingewachsen: Mit elf begann sie einen erfolgreichen Blog; mit 16 stand sie mit Greta Thunberg auf der Bühne. Mit 17 wurde sie mit der Ehrendoktorwürde der Bristol University als Ornithologin ausgezeichnet.
Mya verschweigt nicht, welchen Spagat es für sie bedeutete, ein ganz normales Mädchen in der Pubertät zu sein und zugleich eine bipolare Mutter zu haben sowie Freundinnen, die ihre Birding-Leidenschaft nicht teilen; ausserdem stand sie zunehmend in der Öffentlichkeit und musste zuweilen rassistisches Mobbing ertragen.
Bei Familienbesuchen in Bangladesch hat sie Kontakt zu dortigen Birdern und Umweltschützerinnen gefunden und fragte sich: Wo sind eigentlich die jungen People of Colour (PoC) in der englischen Twitcher-Community? Wo sind sie im Naturschutz? Wo sind sie in der Natur? Mya zeigt, dass es sich um ein systemisches Versagen handelt und schildert, wie sie als Vierzehnjährige mit Unterstützung ihrer Familie die Organisation »Black2Nature« gegründet und Strategien für ihr Ziel – Diversität und Inklusion von PoC im Naturschutz – entwickelt hat. Myas Fragen möchte ich an die Klima-und Umweltschutz-Organisationen in Deutschland – und an den Oya-Kreis – weitergeben: Wo sind bei euch die eingewanderten Menschen und die People of Colour?
Birdgirl ist ein Buch, das in Familien mit jungen Menschen und bei Mitgliedern und Entscheiderinnen im Umwelt- und Naturschutz nicht auf dem Gabentisch fehlen sollte.
Birdgirl Meine Familie, die Natur und ich. Mya-Rose Craig Krüger 2022, 399 Seiten ISBN 978-3810500601 23,00 Euro