Hoffnung ist nicht dasselbe wie Optimismus. Sie ist das tiefe, verkörperte Wissen darum, dass etwas sinnhaft ist und sich ereignen kann, wenn die Zeit dafür reif ist.
Wir hoffen, das Warten hat sich gelohnt – herzlich willkommen zum ersten Oya-Almanach!
In diesem Jahrbuch gehen wir der Frage nach, was Menschen in erschütternden Zeiten hoffen lässt. Dabei verschließen wir die Augen nicht vor dem Vielen, das uns verzweifeln lässt – denn Hoffnung ist nicht dasselbe wie Optimismus. Aktives Hoffen heißt, Gefühle von Verzweiflung, Schmerz und Abwesenheit in dem Wissen zuzulassen, dass sich etwas ereignen kann, wenn die Zeit dafür reif ist; und es heißt auch, in der Zwischenzeit nach besten Kräften das zu tun, was sinnvoll ist, egal wie etwas ausgeht – so verstanden, kann uns das Hoffen ein Wegweiser sein.
Nachdem klar geworden war, dass Oya aufgrund innerer Kapazitäten – vielfältige Sorge- und Subsistenztätigkeiten – wie äußerer Umstände – drastisch gestiegene Druck- und Papierpreise – ihre Form würde ändern müssen, fragten wir uns im Redaktionskreis, welche Gestalt und Erscheinungsweise künftig angemessen sein würden.
Der folgende Dialog spielte sich so oder so ähnlich bei einer Oya-Redaktionskonferenz vor anderthalb Jahren ab:
»So können wir nicht weitermachen.« »Welcher Rhythmus würde denn dann unseren derzeitigen Möglichkeiten entsprechen?« »Ein Jahrbuch, eine Jahresgabe.« »Ein Almanach – den kenne ich aus meiner Kindheit!« »Mit kurzen und ausführlichen Texten; dazu Lieder, Gedichte und Geschichten, die durchs Jahr führen …« »Ein Beutel Gedrucktes!«
Die Idee des Oya-Almanachs war geboren.
Was ist ein Almanach? Ein »Almanach« ist ein Jahrbuch. Das arabische Wort bedeutet »Kalender« oder »(Neujahrs-)Geschenk«. Eine Antwort auf unsere Frage, wie und ob Oya subsistent werden kann, ist: durch Einbettung in die jahreszeitlichen Zyklen. Die Almanachform unterstützt das.
Im »Commons Atelier Silke Helfrich« in Neudenau, wo wir ein halbes Jahr darauf als Redaktionskreis tagten, feilten wir weiter an der Idee. Durch den Linoldruck dieses Hauses, der dort im Esszimmer hing, lernten wir die Arbeit von Gina Paysan kennen, deren eigens angefertigte Schnitte nun auf den folgenden Seiten als künstlerischer roter Faden durch den Jahreskreis führen.
Dabei streiften wir auch andere Jahrbücher. Mehr noch als zeitgenössische themenzentrierte Almanache – wie der Phantastische Almanach oder der FuturZwei-Zukunftsalmanach 7 – haben uns Beispiele historischer und regionaler Almanache begleitet, darunter der von Wilhelm Hauff zwischen 1826 und 1828 herausgegebene Märchen-Almanach, in dem sich berühmte Kunstmärchen wie »Das kalte Herz« finden; oder Der Rheinländische Hausfreund, ein zwischen 1807 und 1834 von dem Schriftsteller Johann Peter Hebel herausgegebener Volkskalender mit berühmt gewordenen Kalendergeschichten wie etwa »Unverhofftes Wiedersehen«. Auch moderne regionale Jahrbücher, die versammeln, was Menschen einer bestimmten Region wissen sollten, um gut durchs folgende Jahr zu kommen, waren in unseren Hinterköpfen.
Eingebettet in Raum und Zeit Oya steht zwar nicht für eine bestimmte Region im geografischen Sinn, aber für bestimmte Weisen – oder Regionen – des Denkens, Lebens und und Handelns, und diese haben sehr viel mit räumlicher wie zeitlicher Verortung zu tun. Wie sollte es auch möglich sein, das gute Leben im umfassenden Sinn vorauszuleben und vorauszulieben, wenn Menschen nicht an konkrete Orte und in die Tiefe der Zeit eingebettet sind?
Aus der Tiefe der Zeit – nämlich jener der Inkunablen (Wiegedrucke) des 15. Jahrhunderts, als auch die Almanach-Form entstand –stammt übrigens die Praktik, Anmerkungen – sogenannte Marginalien (von marginalis, »randständig«) – an die Ränder der Buchseiten zu setzen. Diese Praktik greifen wir hier auf, so dass jene, die weiterführende Informationen suchen, diese finden, und jene, die sie nicht wünschen, diese ignorieren können.
In einer Reihe von Jahreskreisgeschichten, die durch die dreizehn Monde führen, erzählen Mitglieder des Redaktionskreises und weitere Beitragende einige persönliche jahreszeitliche Stationen. Unser Jahr fängt dabei am 1. November an und endet am 31. Oktober. Wir freuen uns darauf, von Ihnen und euch, liebe Lesende, selbst erlebte Jahreskreisgeschichten geschickt zu bekommen!
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Im vergangenen Jahr ging Oya-Gründerin Lara Mallien (1973 – 2023) überraschend aus dem Leben. Tief erschüttert durch ihren Tod und inspiriert durch ihr Andenken, beginnen wir diesen Almanach mit einem Gedenkmosaik. Wir bedanken uns für die mitfühlende Anteilnahme aus dem Oya-Kreis.
Wie geht es mit Oya weiter? Wir danken allen Lesenden: Die allermeisten haben das vergangene Jahr des Wandels wohlwollend begleitet! Knapp 3000 Menschen sind derzeit Teil des Oya-Kreises, darunter rund 300 im Hütekreis, nur etwa 200 Lesende haben gekündigt – sie alle ermöglichen, dass es Oya weiter geben kann! Eine Unterscheidung zwischen Abonnierenden und Hütenden wird es künftig so nicht mehr geben: Alle, die Oya erhalten wollen, können dies ab jetzt – analog zur solidarischen Landwirtschaft – in Form eines Jahresbeitrags tun. Zudem sind wir seit dem 1. Januar 2024 gemeinnützig.
Nun wünschen wir eine anregende Lektüre! Wir lesen uns zum nächsten Commoniebrief sowie zum zweiten Oya-Almanach wieder.